Österreichs Piefkes

Von Günter Kaindlstorfer · 19.01.2010
Sie sind die zweitgrößte Migrantengruppe nach den Türken in Österreich – eine gedemütigte und vielfach diskriminierte Minderheit: die Deutschen.
Zu Zehntausenden sind sie in den letzten Jahren und Jahrzehnten in die Alpenrepublik gekommen, um hier zu leben und zu arbeiten: als Servierpersonal in Skihotels und Alpengasthöfen, als Kammersängerinnen oder Burgtheaterdirektoren, auch als Numerus-Clausus-Flüchtlinge aus Greifswald oder Göttingen, die zu Zehntausenden die Hörsäle der österreichischen Unis überfluten.

Der Kabarettist Dirk Stermann, ein gebürtiger Duisburger, lebt seit 23 Jahren in Wien. Er hat in der österreichischen Hauptstadt eine glanzvolle Humoristen-Karriere gemacht.

"Als ich nach Wien gekommen bin, ist mir als Erstes aufgefallen, dass die Stadt total prachtvoll ist. Als Zweites ist mir aufgefallen, dass sich alle über mich Gedanken gemacht haben, weil ich Deutscher bin, ich mir aber nicht die geringsten Gedanken über Österreich gemacht hatte. Ich kannte nur die bunten österreichischen Briefmarken von meiner Oma, die sie uns immer aus dem Urlaub mitgebracht hatte. Ich wusste nichts über Österreich. Die Österreicher dagegen haben sich alle andauernd Gedanken über Deutschland gemacht. Das war das Irritierendste für mich."

Die österreichische Nationswerdung nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich vor allem in der Abgrenzung den vielgeschmähten "Piefkes" gegenüber vollzogen. Dirk Stermann hat die antideutschen Emotionen der Österreicher auch in den 80ern noch als unangenehm erlebt.

"Noch dazu ist es so, dass du als Deutscher im Ausland damals nicht gerne darüber reden wolltest, dass du Deutscher bist. Und hier wurdest du dazu gezwungen, weil du immer wieder darauf angesprochen wurdest. Noch dazu wurde immer gesagt, Deutsche sind präpotent. Ich kannte dieses Wort gar nicht. Und als ich erfahren habe, was es heißt, habe ich halt meinen ganzen Ruhrgebietsverwandten immer gesagt: Ihr seid schrecklich präpotent. Auch denen, die keine Hände und Finger mehr hatten, weil sie die in der Fabrik verloren hatten."

Dass es drastische Mentalitätsunterschiede zwischen Deutschen und Österreichern gibt, hat bereits Hugo von Hofmannsthal erkannt: Die Preußen seien perfekt in der geordneten Durchführung ihrer Vorhaben, aber sie neigten zu Anmaßung und Selbstgerechtigkeit und zu schulmeisterlichem Verhalten.

Die Österreicher dagegen seien in der Lage, sich in andere Menschen bis zur Charakterlosigkeit hineinzudenken und wichen Krisen und Problemen nach Möglichkeit aus, sie seien selbstironischer und genusssüchtiger.

Der in Lüneburg geborene Humorzeichner Tex Rubinowitz verweist hier auf die konfessionellen Unterschiede zwischen (Nord)-Deutschland und Österreich.

"Man sagt halt, dass die Deutschen protestantischer sind. Und Genussfreudigkeit und Hedonismus ist halt was Katholisches. Vielleicht kann man Österreich als Puffer zwischen Deutschland und Italien sehen."

Das Verhältnis zwischen den "verfreundeten Nachbarn" aus Deutschland und Österreich ist – zumindest aus österreichischen Perspektive – immer noch nicht wirklich entspannt. Am schönsten zeigt sich das vielleicht im Fußball: Egal, gegen wen die deutsche Nationalelf auch antritt, ob gegen Ghana, Finnland oder Aserbaidschan – 99,9 Prozent der österreichischen Fans werden die Daumen stets für Deutschlands Gegner drücken.