Schreiben nach einem rassistischen Anschlag
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Das Attentat von Hanau hat viele Menschen entsetzt und sprachlos gemacht. Wie kann Literatur so eine Erfahrung in Worte fassen? Ein Gespräch mit Özlem Özgül Dündar, die an einem Roman über den Mordanschlag in Solingen 1993 arbeitet.
Özlem Özgül Dündar war zehn Jahre alt, als in ihrer Heimatstadt Solingen fünf Frauen und Mädchen türkischer Herkunft bei einem Brandanschlag ums Leben kamen. 17 weitere Menschen wurden zum Teil schwer verletzt, nachdem vier junge Männer aus rassistischen Beweggründen ein Haus in Brand gesetzt hatten.
Einige Tage nach dem Brandanschlag stand sie mit ihren Eltern und vielen anderen Menschen zusammen vor dem ausgebrannte Haus. "Es war der blanke Horror, zu wissen, dass die Gewalt, die da angewendet wurde, sich gegen Menschen richtet, die aus der Türkei sind oder muslimisch sind oder einfach 'nicht deutsch' sind."
Stimmen aus den Flammen
Der Gedanke, über diese Ereignisse zu schreiben, sei ihr schon früh gekommen, sagt Dündar, aber sie haderte lange mit der geeigneten Form: ohne schwarz-weiß zu zeichnen, ohne als Autorin im Vordergrund zu stehen und "die ganze Zeit deutlich hörbar" zu sein. Schließlich entschied sie sich dafür, möglichst vielen Beteiligten eine eigene Stimme zu geben.
Beim Ingeborg-Bachmann Wettbewerb 2018 wurde Dündar für einen Auszug aus ihrem Romanprojekt mit dem Kelag-Preis ausgezeichnet. "und ich brenne" hieß der Auszug, den sie vor der Jury las. Darin lässt sie unter anderem eine Mutter sprechen, die in der Nacht des Anschlags in dem brennenden Haus von Rauch und Flammen geweckt wird:
"ich rieche es es gehört nicht hierher immer stärker dringt es durch den raum und um mich herum stimmen laut und panisch ich öffne die tür und es kommt mir mit all seiner kraft entgegen das feuer es ist so stark es hat das haus eingenommen und verschlingt die luft die ich zum atmen brauche"
Die Geschichte wiederholt sich
Ursprünglich habe sie ein Theaterstück schreiben wollen, damit ihre Charaktere möglichst körperlich anwesend sind: "Sobald die Figuren selbst sprechen, ist es eben am unmittelbarsten, das schien mir für dieses Ereignis am besten zu sein."
Lange Zeit habe sie die Gedanken an den Anschlag von Solingen verdrängt und gehofft, so etwas nie mehr erleben zu müssen, sagt Özlem Dündar. Doch dann holten die Erinnerungen sie wieder ein: "Als ich 2015 nach Leipzig gekommen bin, um hier zu studieren, gab es viele Angriffe und Anschläge auf Flüchtlingsheime. Da habe ich gedacht: Es hört nie auf, das kehrt immer wieder, jetzt muss ich wirklich etwas darüber schreiben."
Das rassistisch motivierte Attentat von Hanau habe sie in der Grundidee ihres Buches schmerzlich bestätigt. "Es geht darum, dass Geschichte sich wiederholt", sagt Dündar. Die "Eskalation der Gewalt", die wir gegenwärtig erleben, sei leider "nicht ganz überraschend". Özlem Dündars Roman "türken, feuer" soll im kommenden Jahr erscheinen.
(fka)