Offenbach

Ein Boxclub als Integrationsprojekt

Boxhandschuhe in einem Boxclub.
Wie kann ein Boxclub integrationsfördernd sein? © picture alliance / dpa / Sebasian Widmann
Von Ludger Fittkau |
Die Jugendlichen merken schnell, dass der Boxclub am Offenbacher Hafen kein Schulungsraum für den Job als Türsteher ist. Er ist ein soziales Projekt: Die Jugendlichen leisten etwa neben dem Training freiwillig soziale Dienste in Altenheimen.
Simon Kutscher schlägt immer wieder in einer genau festgelegten Abfolge auf einen Sandsack ein. Seine Stimme unterstreicht den Rhythmus, der dabei entsteht. Nach wenigen Minuten läuft dem 18-Jährigen der Schweiß in Strömen von der Stirn. Seit einem Jahr trainiert der schmale Jugendliche zweimal in der Woche jeweils und zwei Stunden in der alten Lokhalle am Offenbacher Hafen.
"Ich bin hier mit einem Freund hingekommen, der ist zwar mittlerweile nicht mehr hier, aber mir hat es halt gefallen und ich bin einfach hier geblieben."
Simon Kutscher merkt schon nach dem ersten Jahr, wie ihn das Boxtraining verändert:
"Kann schon seit, dass man selbstbewusster wird. Vor allem lernt man, mit den Aggressionen besser umzugehen."
Aggressionen haben viele Jugendliche, die hier in den Boxclub kommen. Täter aber auch Opfer, wenn es um Gewalt auf der Straße geht. Wer hier trainiert, kommt aus einem der sozialen Brennpunkte Offenbachs.
Lernen, in Würde zu verlieren
"Unsere Idee war damals, dass wir Jugendliche, die man nicht im Jugendzentrum erreicht, die auch nicht den Weg zu uns finden, denen die Möglichkeit zu geben, was Adäquates zu finden. Das war die Idee. Ich war am Anfang schon skeptisch, weil ich ja nicht aus dem Boxen komme. Ich habe dann lange drüber nachgedacht und habe dann auch so für mich erkannt, dass Boxen ein Ganzkörpersport ist, wo sehr viel Respekt dazu gehört, Disziplin und Wertschätzung. Und vor allem bei den jungen Männern, die meistens Migrationshintergrund haben und oft auch ein sehr überzogenes Männlichkeitsbild, das sie lernen, in Würde zu verlieren."
Lernen, in Würde zu verlieren. Dass das nicht so einfach ist, wenn man von ganz unten kommt, kennt der städtische Sozialarbeiter Wolfgang Malik aus eigener Erfahrung. Malik, der ist seit gut zehn Jahren für den Boxclub verantwortlich ist, kommt selbst aus einem Offenbacher Problemstadtteil:
"Ich bin selber in einem Offenbacher sozialen Brennpunkt groß geworden, das ist der 'Essig'. Da hat man immer Ausgrenzung erfahren, das heißt, wenn wir als Jugendliche irgendwo waren, dann waren wir die Asozialen."
Wolfang Malik hat sich aus diesen bedrückenden Verhältnissen herausgekämpft und hilft nun seit langem dabei, dass dies auch anderen gelingt. Im Boxclub muss der Sozialpädagoge gemeinsam mit dem Trainerteam so manchen der Jugendlichen, die hier die Fäuste fliegen lassen wollen, oft erst einmal ein paar Illusionen nehmen. Insbesondere die Vorstellung, man könne hier im Boxring für eine handfeste Türsteher-Karriere in der Offenbacher Halbwelt ausgebildet werden:
"Da kamen natürlich schon am Anfang ein paar Jungs, die wollten sich Fit-Machen für die Tür. Das haben die aber ganz schnell gemerkt, dass das bei uns nicht so funktioniert, Fit-Machen für die Tür. Und ein Indikator war auch – da war ich dann auch von dem Projekt richtig überzeugt, dass das der richtige Ansatz ist – bei den Fortgeschrittenen gibt es nach jeder Trainingsstunde zum Abschluss Yogaübungen. Ich hätte es von diesen jungen Männern überhaupt nicht erwartet, dass sie sich auf so was einlassen. Dass sie auf dem Boden liegen, die Augen zu machen und ein Vertrauen zeigen. Und nebenan liegen die Handys und die Geldbörsen und niemand lästert und es wird nichts geklaut."
Kein Schulungsraum für eine kriminelle Karriere
Interessierte Jugendliche merken schnell, dass der Boxclub in der alten Lokhalle am Hafen kein Schulungsraum für eine kriminelle Karriere, sondern ein soziales Projekt ist. Das liegt daran, dass es längst nicht nur ums Boxen geht, erklärt Wolfgang Malik:
"Klar, Boxen bleibt Kampfsport. Boxen ist nicht Gewaltpräventiv, sondern es kommt ganz darauf an, was bietet man drum rum an Pädagogik an. Bei uns ist es bis heute darum, jeder junge Mensch der bei uns boxen will, da wollen wir erst die Zeugnisse sehen. Wer schlechter ist als vier, muss in die Nachhilfe."
Außerdem gehört es zu den Pflichten der jungen Boxer, regelmäßig freiwillig soziale Dienste in Offenbacher Altenheimen zu leisten. Denn Wolfgang Malik will auch einige seiner Schützlinge aus den sozialen Brennpunkten für eine Altenpfleger-Ausbildung begeistern:
"Mit dem Ziel, dass gerade junge Leute mit Migrationshintergrund, wenn man den demographischen Wandel anguckt, werden auch die Älteren hier alt, das auch einige von denen in die Altenpflege finden. Das ist immer so ein Ziel bei uns, bei dem, was wir machen, denken wir auch immer an die Berufsperspektiven der jungen Leute."
Auf einer kleinen Zuschauerempore über dem professionellen Boxring sitzen zwei Frauen und beobachten intensiv das Training einer Gruppe Jugendlicher. Petra Seifert und Vera Müller sind keine Mütter, deren Kinder unten kontrolliert aufeinander einschlagen. Es sind Forscherinnen aus dem Fachbereich Pädagogik der Frankfurter Goethe-Universität.
Nach dem Motto: Hart aber fair
"Wir beobachten unter dem Schwerpunkt Aneignung und Anerkennung und gehen davon aus, dass man lernt im Verhältnis auch zur Anerkennung von außen und wir beobachten das hier konkret. Wir haben den Eindruck, dass das hier ein sehr wertschätzender und respektvoller Umgang ist, aber auch autoritär. Also teilweise etwas streng wirkt. Wo wir uns erschrecken und zusammenzucken, aber merken, die Teilnehmer gar nicht. Das ist hier davon getragen insgesamt, dass man hart aber fair ist, das ist auch der Motto des Boxclubs."
Auf die Frauen achtet man im Offenbacher Boxclub besonders. Der Club ist im hessischen Boxverband inzwischen als Frauen-Leistungszentrum anerkannt. Die beiden Uni-Forscherinnen registrieren genau, wie die weiblichen Jugendlichen in die gemischte Gruppe aufgenommen werden:
"Richtig gut integriert, also mit dabei, gar kein Problem. Echt eine gute Gruppe erstmal. Wir sind das dritte Mal genau in dieser Gruppe und stellen auch fest, dass immer die gleichen da sind. Also scheint sich auch gefestigt zu haben."
Gefestigt ist auch die Zukunft des Boxclubs Offenbach, obwohl er bald eine andere Bleibe braucht. Die alte Lokhalle am Hafen muss dem neuen Wohnviertel weichen, das hier gerade entsteht. Klar ist: Viel zu tun gibt es für das Projekt auch in anderen sozialen Brennpunkten Offenbachs.
Mehr zum Thema