Den offenen Brief finden Sie hier:
Sofortige Freilassung von Deniz Yücel gefordert
Einst hatte der Journalist Deniz Yücel Türkei-Reisen für deutsche Journalisten organisiert. Nun sitzt der Welt-Reporter seit mehr als 200 Tagen in Haft. Lea Deuber von "journalists.networks" hat einen offenen Brief an den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gestartet, den 14 Journalistenorganisationen unterstützen.
Zahlreiche Journalistenorganisationen fordern in einem Offenen Brief an den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan die sofortige Freilassung des Welt-Reporters Deniz Yücel und der inhaftierten Journalistinnen und Journalisten, die aus politischen Gründen in türkischer Haft sitzen. Initiiert wurde der Offene Brief von "journalists.network", einem Verein, der sich seit mehr als 20 Jahren für eine ausgewogene Auslandsberichterstattung engagiert und Journalistenreisen organisiert.
Brief auch ins Türkische übersetzt
"Wir möchten vor allem ein Zeichen mit diesem Brief setzen", sagte Vorstandsmitglied Lea Deuber im Deutschlandfunk Kultur. Der Brief sei auch auf Türkisch übersetzt worden und werde auch in der Türkei veröffentlicht. Da "journalists.network" seit Jahren Reisen dorthin organisiere, habe man eine Fülle von Kontakten.
Yücel habe auch an Journalistenreisen in die Türkei mitgewirkt, die jetzt aufgrund der unklaren Sicherheitslage nicht mehr stattfinden könnten. "Wir können nicht darauf hoffen, dass morgen Deniz und die anderen Kollegen aufgrund unseres Briefes freigelassen werden", sagte Deuber. Dennoch sei es wichtig, weiter über die Fälle zu berichten und den Druck aufrecht zu erhalten.
Das Interview im Wortlaut:
Katrin Heise: "Schützen Sie die Presse- und Meinungsfreiheit in Ihrem Land. Sie sind feste Bestandteile einer Demokratie, gleichzeitig rufen wir sie dazu auf, Deniz Yücel und die deutsche Journalistin Mesale Tolu und alle anderen ausländischen Gefangenen, die in Ihrem Land aus politischen Gründen festgehalten werden, umgehend freizulassen."
Das ist ein kurzer Ausschnitt aus dem Offenen Brief, den Journalistenvereine gemeinsam an den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan gesandt haben. Lea Deuber von "journalists.network" hat diese Aktion initiiert, das ist ein Zusammenschluss junger Reporter, Redakteure und Autoren, die sich der Forderung der Auslandsberichterstattung verschrieben haben. Und da Lea Deuber selbst Chinakorrespondentin der "Wirtschaftswoche" in Schanghai ist, erreichen wir sie auch dort. Schönen guten Tag, Frau Deuber!
Lea Deuber: Hallo!
Heise: Glauben Sie denn, dass Präsident Erdogan den Brief tatsächlich auch bekommt und liest?
Deuber: Das kann man natürlich mit Gewissheit nicht sagen, aber er nimmt ja durchaus wahr, was in Deutschland passiert, und wir haben den Brief auch auf Türkisch übersetzt, und er wird auch in türkischen Medien erscheinen, insofern kann es natürlich sein. Selbst wenn nicht, wir möchten natürlich vor allem ein Zeichen mit diesem Brief setzen.
Heise: Also es gibt Chancen, den Brief in der Türkei zu lesen in der Öffentlichkeit. War da schwer, da Unterstützer zu finden?
Deuber: Im Gegenteil, wir haben ja eine lange Beziehung in die Türkei, kennen dort viele Kollegen, die waren sehr offen und haben sich direkt bereit erklärt, den Brief auch zu veröffentlichen.
Heise: In Deutschland beispielsweise in der "taz" wird er heute erscheinen, in Ihrem Brief appellieren Sie an einen Staatsmann, der Presse- und Meinungsfreiheit achtet oder zumindest als Grundwerte akzeptiert. Wir wissen, Präsident Erdogan tut das nicht unbedingt. Das klingt in Ihrem Brief so ein bisschen naiv, aber Sie sind ja nicht weltfremd. Was können Sie denn erreichen?
Deuber: Gut, wir können natürlich nicht damit hoffen, dass morgen Deniz und die anderen Kollegen aufgrund unseres Briefes freigelassen werden. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, dass wir weiterhin über diese Fälle berichten und in diesem Fall eben diesen Brief veröffentlichen, um den Druck weiter hochzuhalten. Die Kollegen sind jetzt mitunter schon mehr als 200 Tage in Haft, und wenn wir solche Aktionen nicht mehr machen, wenn wir keinen Anteil mehr nehmen, dann passiert halt nichts mehr. Das heißt, es ist wichtig, dass wir eben mit solchen Aktionen auch auf die Zustände in der Türkei hinweisen.
Mehr als 100 türkische Kollegen in Haft
Heise: Und damit meinen Sie ja eben auch nicht nur deutschstämmige oder Journalisten mit deutschem Pass, sondern auch andere, die in der Türkei in Haft sitzen.
Deuber: Genau. Wir haben ja lange Recherchereisen in die Türkei angeboten, wir kennen dort viele Kollegen, die uns immer wieder dort unterstützt haben, und es ist schon dramatisch zu sehen, nicht nur ausländische Kollegen, sondern auch türkische Kollegen – über 100 – sind seit dem Putschversuch inhaftiert worden, das heißt, die Situation verschlechtert sich rapide.
Heise: Sie haben es ja gerade gesagt, dass Sie sehr viele – und das ist auch der Sinn und Zweck Ihrer Vereinigung – Reisen organisieren, Informationsreisen organisieren. Der Zulauf, hat sich das eigentlich verändert im Moment?
Deuber: Nein, im Gegenteil, wir können sogar in ganz undenkbare Länder fahren mittlerweile, nach Myanmar beispielsweise, was so viele Jahrzehnte nicht möglich war. Viele Länder haben sich mittlerweile geöffnet. Es ist gerade deswegen so schockierend für uns, dass es nicht mehr möglich ist, in die Türkei zu fahren, was wir wirklich seit Jahrzehnten machen. Deniz Yücel hat selbst im Rahmen unserer Reisen Reisen in die Türkei organisiert, viele in den vergangenen Jahren, und dass es jetzt plötzlich nicht mehr möglich ist, ist besonders schlimm.
Keine Türkei-Reisen mehr im Programm
Heise: Also das tatsächlich bieten Sie momentan überhaupt nicht mehr an?
Deuber: Genau, wir hatten am Anfang des Jahres tatsächlich mal über eine Reise nachgedacht, aber nachdem wenige Tage später Deniz Yücel ins Gefängnis gekommen ist, haben wir gesagt, das können wir nicht mehr verantworten. Wir haben ja vor allem junge Kollegen dabei, das heißt, für die tragen wir auch Verantwortung, die können wir da nicht mehr in solche Länder nehmen, in denen es eben keinen Schutz mehr für Journalisten gibt.
Heise: Also Ihr Brief soll Druck aufbauen, Druck in der Türkei, also weil Sie wie gesagt ja … Also Erdogan nimmt wahr, was in Deutschland passiert, reagiert allerdings meistens oder häufig, wie wir es mitbekommen, dann mit überschießender Aggression. Das könnte ja vielleicht sogar in die falsche Richtung losgehen.
Deuber: Nun gut, unser Brief ist natürlich auch ein Appell an die Bundesregierung, dass sie sich eben weiterhin und stärker für unsere Kollegen einsetzt. Das ist jetzt wieder ein Thema im Wahlkampf geworden, aber wir wissen eben nicht, wird es dann wirklich konkrete Handlungen geben. Insofern hoffen wir natürlich, dass wir damit vor allem auch die Bundesregierung ansprechen, die sich weiterhin eben für die Rechte und die Sicherheit von deutschen Journalisten im Ausland einsetzen muss.
Kritik an deutscher Türkeipolitik
Heise: Da gibt es ja jetzt, auch dem Wahlkampf wahrscheinlich geschuldet, noch einen ganz neuen Aspekt: Martin Schulz und auch Angela Merkel haben sich ja für den Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ausgesprochen, was würde das Ihrer Meinung nach für die Kollegen wie jetzt Deniz Yücel oder Mesale Tolu eigentlich bedeuten?
Deuber: Aus meiner Sicht, denke ich, sollte man da sehr vorsichtig sein. Wenn die Beitrittsverhandlungen erst mal beendet sind, dann gelten ja auch die Kopenhagener Bedingungen nicht mehr. Und ob damit wirklich unseren Kollegen in der Türkei und den Menschen, die Erdogan noch sehr kritisch sehen, wirklich geholfen ist, das wage ich zu bezweifeln. Ich denke, da müsste man vorsichtig sein.
Heise: Ein Offener Brief an Staatspräsident Erdogan von deutschen Journalisten. Deniz Yücel selbst hat sich viele Jahre eben bei journalists.network engagiert, jetzt haben vom Deutschen Journalisten-Verband über Netzwerk Recherche bis Krautreporter viele Vereine diesen Brief von "journalists.network" sich angeschlossen, um ihn und den anderen in der Türkei inhaftieren Journalisten zu helfen. Danke schön an die Initiatorin Lea Deuber!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.