"Oft sind es Leute, die Multijobber sind"

Peter Plöger im Gespräch mit Stefan Karkowsky · 26.05.2010
Der Autor Stefan Plöger befasst sich in seinem Buch "Arbeitssammler, Jobnomaden und Berufsartisten" mit der neuen Arbeitswelt. Auch viele Hochqualifizierte haben "zwei, drei oder stellenweise auch zehn Jobs, die sie nebeneinander machen müssen", sagt Plöger.
Stefan Karkowsky: Früher war alles schlechter in der Arbeitswelt, sagen manche. Unsere Eltern hatten zwar lebenslänglich die gleiche Stelle, aber unter was für Bedingungen? Löhne und Gehälter waren niedrig, der Ton im Büro rau, die Arbeit eintönig. Heute haben Studierte oft mehr als einen interessanten Job, statt eines Arbeitsplatzes haben sie Auftraggeber und sind nicht selten ihr eigener Chef.

Dennoch wird diese neue Arbeitswelt meist negativ beschrieben, auch von Peter Plöger in seinem Buch "Arbeitssammler, Jobnomaden und Berufsartisten". Herr Plöger, Sie beklagen darin, dass auch Bildung heutzutage keine Garantie mehr sei für eine gesicherte Existenz. Wie würden Sie das denn definieren, dieses Ideal einer gesicherten Existenz?

Peter Plöger: Na ja, zuallererst ist eine gesicherte Existenz natürlich eine, wo ich mir nicht dauernd Gedanken darum machen muss, wie ich morgen noch lebe, wie ich auch überlebe vielleicht, um es mal ganz zugespitzt zu sagen. Es gibt natürlich Leute, die jeden Tag denken müssen: Wo kriege ich morgen mein Geld her, und wie verdiene ich meine Brötchen? Und das ist natürlich alles andere als eine gesicherte Existenz.

Karkowsky: Also, das ist noch bei Ihnen keine Unterscheidung zwischen Festangestellten und Freiberuflern?

Plöger: Noch nicht, nein, nein. Auch ein Freiberufler kann natürlich insofern eine gesicherte Existenz haben, dass er durch seine Flexibilität zum Beispiel sich eine gute Grundlage schaffen kann, dass er sagen kann: Ich habe zwar keinen festen Job, aber ich weiß zumindest immer, wo ich den nächsten herkriegen kann. Und das ist natürlich auch schon ein Maß von Sicherheit.

Karkowsky: Und immer mehr Festangestellte beziehen Hartz IV?

Plöger: Das ist richtig, genau, und das kann natürlich mit Sicherheit auch nicht allzu viel zu tun haben, wie wir mittlerweile wissen.

Karkowsky: Sie porträtieren in Ihrem Buch eine ganze Reihe von Menschen, die ihr Ideal von einer gesicherten Existenz nicht erreichen, obwohl sie hochqualifiziert sind. Wie unterscheidet sich der Arbeitsalltag dieser Leute vom Ideal einer gesicherten Existenz?

Plöger: Oft sind es Leute, die Multijobber sind. Das ist ja mittlerweile auch so ein geflügeltes Wort geworden, und es gilt mittlerweile auch nicht mehr nur für die sogenannte Unterschicht und die weniger Qualifizierten, sondern eben auch für die Hochqualifizierten, das heißt, auch die haben zwei, drei oder stellenweise auch zehn Jobs, die sie nebeneinander machen müssen.

Viele der Arbeitssammler sind aber auch Solo-Selbstständige, das heißt, Selbstständige ohne weitere Arbeitnehmer, und auch da gibt es natürlich ein gerüttelt Maß an Unsicherheit, weil das Einkommen einfach sehr niedrig ist und man oft nicht weiß, habe ich nächsten Monat noch ein so hohes Einkommen, dass es zum Leben reicht?

Karkowsky: Sie führen dabei den Begriff Arbeitssammler ein. Können Sie uns mal einen typischen Arbeitssammler und seine Jobs vorstellen?

Plöger: Bleiben wir ruhig bei dem Multijobber, den ich ganz gerne Parallelarbeiter oder Parallelarbeiterin nenne. Das sind Leute, die haben dann zwei, drei Jobs, einer bringt meinetwegen zwei Drittel des Einkommens, die anderen sind so noch nebenbei, um eben das restliche Drittel vollzumachen.

Karkowsky: Was für Jobs sind das? Sind das in jedem Fall Jobs, für die man nicht mit einem Hochschulstudium qualifiziert sein müsste?

Plöger: Das sind oft, genau, solche Jobs, die gar nicht zu dem Berufsfeld passen, was man einmal angestrebt hat mit seinem Studium. Oft ist das Studium gar nicht mehr so relevant, wenn man ins Berufsleben eintritt als Arbeitssammler, sondern dann sucht man sich eben da die Erwerbsmöglichkeiten zusammen, die sich gerade anbieten. Und das kann auch Straßenfegen sein, oder man guckt sich halt einen dieser berühmten Internetshops aus und näht meinetwegen Handtaschen aus Filz und verkauft die übers Internet, über Ebay.

Karkowsky: Aber Sie porträtieren ja ausdrücklich keine Arbeitslosen, sondern Menschen, die Arbeit haben, zum Teil sogar sehr, sehr viel Arbeit haben.

Plöger: Oh ja.

Karkowsky: Da könnte man ja zunächst mal feststellen: Die Politik hat recht, wenn sie sagt: Je besser einer gebildet ist, desto leichter findet er Arbeit.

Plöger: Na ja, diese berühmte IAB-Statistik, die dann jedes Jahr aufs Neue bestätigt, 96 Prozent oder sogar 97 Prozent aller Akademiker sind erwerbstätig. Na ja, da sind natürlich auch sehr viele Multijobber dabei, die gerade mal 800, 900 Euro – mit drei oder vier Jobs – verdienen, nicht wahr, oder selbstständig sind und meinetwegen noch weniger haben.

Es gibt ja Leute, die denken dann, eigentlich wäre es dann besser, Hartz IV zu nehmen, denn dann hätte ich mehr Geld. Aber das tun die Arbeitssammler eben nicht, sondern die arbeiten weiter, haben aber trotzdem dieses geringe Einkommen und die Unsicherheit oben drauf und fallen eben noch aus den Arbeitslosenstatistiken raus.

Karkowsky: Viele können das aber nicht sein, denn ich habe gelesen, die Akademiker verdienen im Schnitt 4156 Euro im Monat. Da hat unsere Elterngeneration selbst inflationsbereinigt sehr viel weniger. Für wie groß halten Sie die Gruppe, die Sie hier beschreiben?

Plöger: Das kann man statistisch natürlich sehr schwer sagen. Man kann sich immer so ein bisschen an anderen Statistiken orientieren, zum Beispiel die über die Solo-Selbstständigen, die in letzter Zeit einen großen Aufschwung genommen haben. Mittlerweile sind 55 Prozent aller Selbstständigen in Deutschland Solo-Selbstständige.

Aber mir geht es auch weniger um die Zahlen, sondern mir geht es mehr um die ... zu zeigen, dass dieser allgemeine Trend, der ja unbestritten ist, zu immer prekäreren Erwerbsverhältnissen, dass der eben auch die Hochqualifizierten betrifft mittlerweile und dass es unterschiedslos durch alle Gruppen, durch alle Berufsgruppen geht.

Karkowsky: Sie hören im "Radiofeuilleton" den promovierten Sprachwissenschaftler Peter Plöger. Sein Buch "Arbeitssammler, Jobnomaden und Berufsartisten" beschreibt das Prekariat der Akademiker.

Herr Plöger, Sie haben dieses Wort eingeführt, prekäre Verhältnisse. Ist nicht allein schon die Benutzung dieses Wortes problematisch für Menschen, die wirklich alle Chancen haben im Unterschied zu denen ganz unten?

Plöger: Na ja, auch wir Arbeitssammler – und ich schließe mich da jetzt bewusst mal mit ein –, wir haben ja nicht alle Chancen. Die Aufwärtsmobilität, die vielbeschworene, ist bei den Arbeitssammlern sehr gering. Wenn Sie selbstständig sind, dann krebsen Sie unter Umständen 30 Jahre lang auf diesem Status, und als Multijobber – wo wollen Sie da hin? Die Chancen, da rauszukommen oder hochzukommen im herkömmlichen Sinne, die sind eben zum Teil sehr gering. Diese Karrierechancen, wie man sie sonst sich so vorstellt, die gibt es da einfach auch gar nicht.

Karkowsky: Die "Frankfurter allgemeine Sonntagszeitung" zitierte am Wochenende den Kasseler Hochschulforscher Harald Schomburg – vielleicht haben Sie es gelesen –, der hat in einer großen Studie rausgefunden: Der Taxi fahrende Dr. phil. als Massenphänomen ist nichts als empirischer Unsinn. Noch mal die Frage: Ist da nicht das akademische Prekariat, das Sie in Ihrem Buch beschreiben, etwas, was in der Statistik gar nicht auffällt?

Plöger: Das glaube ich nicht. Ich glaube, er hat auch gesagt, hört auf zu jammern, nicht wahr? Das ist natürlich fast schon etwas dreist, weil letzten Endes sind es sehr viele Leute, die so arbeiten, die niemals gejammert haben, die auch in dieser Statistik natürlich nicht auffallen, weil sie vielleicht formell auch Jobs haben, die ausreichend sind.

Das gibt es ja auch, Scheinselbstständigkeit zum Beispiel, die erst mal formal hoch dotiert ist und die nach einem guten Job aussieht, aber wenn man hinter die Kulissen schaut, dann sieht man, dass die Statistik über die realen Verhältnisse eigentlich überhaupt gar nichts aussagt. Und dann zu sagen, hört auf zu jammern, finde ich – da gehört schon einiges an Mut dazu und auch eine gewisse Unkenntnis über die wirklichen Verhältnisse.

Karkowsky: Ich hatte ja in Ihrem Buch auch gar nicht den Eindruck, die wären alle am Jammern. Einige haben ja wirklich ihre Freiheit auch verteidigt und gesagt, das ist genau das, was ich machen möchte, viel besser als der Nine-to-five-Job, den ich vorher hatte.

Plöger: Und da muss man jetzt unterscheiden zwischen der privaten Ebene, wo eben nicht gejammert wird, sondern wo pragmatisch und mit zumindest vorsichtigem Optimismus an die Sache rangegangen wird – viele Arbeitssammler sind auch gerade begeistert von den Möglichkeiten, die das natürlich auch hat, von der Autonomie, die man auch hat als Selbstständiger meinetwegen –, aber nichtsdestotrotz: Die zweite Ebene ist die gesellschaftliche Ebene, auf der wir gucken müssen, wie sieht unsere Arbeitswelt aus und wo führt die noch hin letzten Endes, wenn jetzt selbst die Hochqualifizierten dran sind mit Prekarität sozusagen? Und da muss man natürlich kritisch sein und sagen: Das kann letzten Endes ja nicht bis ins Ewige so weitergehen.

Karkowsky: Ich muss noch mal die Arbeitslosenstatistik bemühen. Da tauchen diese Leute ja nicht auf, die Arbeitslosigkeit unter Hochschulabsolventen liegt konstant immer unter fünf Prozent. Sie beklagen in Ihrem Buch, deshalb würde sich die Politik auch nicht kümmern um diese Gruppe. Was sollte die Politik denn für die tun?

Plöger: Na ja, da gibt es verschiedene Dinge, also zum Ersten sind es natürlich Barrieren, die da im Weg liegen. Wenn wir schon so freigelassen sind und auf uns selber gestellt sind mit der prekären Arbeit, dann müssen natürlich gewisse Hindernisse abgebaut werden.

Das Sozialsystem, das System der sozialen Sicherung zum Beispiel, baut da mehr Mauern auf als dass es wirklich hilft, zum Teil. Auch das System der Steuerabgaben ist ja mehr auf Unternehmer gemünzt, wenn es um Selbstständige geht, als um diese kleinen Selbstständigen.

Wenn man sich selbstständig macht und bezahlt von 1000 Euro 500 an Steuern und sonstigen Abgaben, dann überlegt man sich natürlich, ob man das wirklich tut oder ob man es nicht lieber gleich lässt und irgendeinen anderen, geringer qualifizierten Job annimmt. Das sind alles so Hindernisse, da versucht die Politik, die Arbeit noch mehr in Raster zu packen, die letztendlich gar nicht mehr zeitgemäß sind und die uns Arbeitssammler letzten Endes nur behindern.

Karkowsky: Am Ende Ihres Buches geben Sie den Optimisten, und Sie geben den Arbeitssammlern Ratschläge. Das läuft ja vor allem auf ein "Kopf hoch!" hinaus. Sind Sie selbst womöglich am Ende davon überzeugt, na ja, die neue Arbeitswelt ist gar nicht so verkehrt, es kommt darauf an, wie wir uns in ihr einrichten?

Plöger: Solange die neue Arbeitswelt politisch nicht immer hingesteuert wird auf Eigenverantwortung und Eigenverantwortung letztendlich doch nur wieder ein Zwang ist zu mehr Risikoaufnahme und zu mehr Abstrichen und zu mehr Prekarität, da würde ich sagen, ist Selbstbestimmung natürlich ein gutes Ding, was jedem zugestanden werden sollte, der es haben möchte.

Aber erstens wollen es nicht alle so haben in dem Maß, und viele gehen daran auch psychisch zugrunde, muss man einfach sagen, und zweitens: Selbstbestimmung und Eigenverantwortung gehört einfach unterschieden. Die Eigenverantwortung, die uns jetzt die Politik und die Unternehmen aufdrücken, ist nicht die Selbstbestimmung, die wir eigentlich gerne hätten.

Karkowsky: Umgekehrt gefragt, Herr Plöger: Würden Sie selbst lieber jeden Tag ins gleiche Büro gehen, 40 Jahre lang?

Plöger: Ich verdiene jetzt nicht so viel, ich bin auch Arbeitssammler und ich habe diese Risiken alle und ich würde trotzdem sagen: Ich würde es jetzt trotzdem so weitermachen.

Karkowsky: Dann bedanke ich mich für dieses Gespräch beim promovierten Sprachwissenschaftler Peter Plöger. Sein Buch "Arbeitssammler, Jobnomaden und Berufsartisten. Viel gelernt und nichts gewonnen? Das Paradox der neuen Arbeitswelt" beschreibt eben diese. Erschienen ist das Buch im Hanser Verlag. Herr Plöger, vielen Dank!

Plöger: Ich danke auch!