Ohne Bilder geht fast gar nichts mehr
Die Terrorangriffe vom 11. September 2001 haben sich als Flut von Bildern in das Bewusstsein der Menschen eingebrannt. W.J.T Mitchell hat sich in seinem Buch "Das Klonen und der Terror. Der Krieg der Bilder seit 9/11" mit dem Thema auseinandergesetzt.
Das, was George W. Bush als "Krieg gegen den Terror" lancierte, war von Beginn an auch ein Kampf um visuelle Leitbilder. Bilder dokumentieren nicht nur. Sie kommentieren und konnotieren durch Auswahl und Standpunkt die jeweilige Sicht auf ein Geschehen. Längst ist unser Geschichts- und Selbstverständnis entscheidend visuell geformt. Ohne Bilder geht in einer von Medien geprägten Welt im Blick auf Information und Kommentar fast gar nichts mehr.
Diese Wende hin zum Bild hat Mitchell als einer der Ersten beobachtet und sie schon 1992 mit dem Ausdruck "pictorial turn" treffend bezeichnet.
"Aus ikonologischer Sicht sind Bilder sowohl sprachliche als auch visuelle Gebilde, sowohl Metaphern als auch grafische Symbole. Sie sind zugleich Vorstellungen und Objekte, materielle Bilder und symbolische Formen. Einige von ihnen werden zu operativen Kräften in der soziopolitischen Realität und erlangen den Status von 'Ikonen‘, die jeder kennt und die starke Emotionen auszulösen vermögen."
Und so gilt es laut Mitchell neben der klassischen kunsthistorischen Untersuchung der Bilder in ihrem historischen Kontext verstärkt auch die (Wirkungs-)Macht der Bilder zu bedenken, also ihre Fähigkeit, "menschliches Verhalten zu beeinflussen". Wirklich neu ist vor allem Mitchell Plädoyer, ein älteres Verständnis wieder stärker zu berücksichtigen, und zwar jenes, "das im Bild etwas Lebendiges erblickt". Dass Bildern "Leben" innewohnt, ist eine alte mythologische Vorstellung:
"In den Schöpfungsgeschichten der meisten Weltreligionen findet sich ein Augenblick, in dem Bilder erschaffen und dann zum Leben erweckt werden."
Dieses Modell eines "lebenden Bildes" kann zwar eigentlich für den modernen, aufgeklärten Menschen nur in übertragener, metaphorischer Hinsicht gelten, so Mitchell. Doch im gegenwärtigen Zeitalter des Klonens erhalte es neue Gültigkeit.
Warum?
Im Zentrum von Mitchells Untersuchung steht eine Fotografie, die bereits auf dem Schutzumschlag in einer grafisch abstrahierten Variante abgebildet ist: das Porträt eines vermummten, auf einer Holzkiste postierten und mit Elektrokabeln an Händen und Penis versehenen Mannes. Der so genannte "Kapuzenmann" aus dem irakischen Militärgefängnis Abu Ghraib nahe Bagdad. Das Foto belegt die Folterpraxis der US-Armee im Irak und führte zu heftigen Protesten.
Für Mitchell stellt dieses Bild "die zentrale Ikone des Irakkriegs und sogar des gesamten Kriegs gegen den Terror" dar. Das Bild stehe für eine neue Qualität, weil es nicht bloß kopiert, sondern tatsächlich geklont und damit zum Leben erweckt wurde, so Mitchell:
"Wenn jemals ein Bild in den Kreisläufen der Massenmedien geklont wurde, dann dieses, und zwar sowohl im Sinne endloser Vervielfältigung als auch in dem weiteren Sinne, dass es ein 'Eigenleben‘ erlangt, welches sich den Absichten seiner Produzenten widersetzt und sie sogar in ihr Gegenteil verkehrt.
Der Mann mit der Kapuze tauchte in aller Welt auf, im Fernsehen, im gesamten Internet, auf Protestplakaten, in Wandmalereien, Graffitis und Kunstwerken von Bagdad bis Berkeley. Guerillakünstler in aller Welt fanden Wege, die Figur in einer erstaunlichen Vielfalt abzuwandeln und zu vervielfältigen."
So richtig es ohne Frage ist, die erweiterte politische Rolle und Funktion der Bilder in den Blick zu nehmen, so fragwürdig erscheint andererseits der Versuch des Autors, ihre Wirkkraft mit dem in diesem Zusammenhang atavistischen Begriff des Lebens neu zu bestimmen. Die neue Qualität dieser Bilder definiert Mitchell wie folgt:
"Das Biobild ist die Verschmelzung des alten 'geisterhaften‘ (unheimlichen, gespenstischen) Lebens der Bilder mit einer neuen Form technischen Lebens, das beispielhaft in zeitgenössischen Phänomenen des Klonens und der Entwicklung digitaler Bildproduktion und Animation zum Ausdruck kommt."
Der hier und da argumentativ holpernde Rahmen des Buches verdankt sich offenbar einer neuen philosophischen Ambition des Autors. Man könnte aber ohne Weiteres auf den thesenartig gefassten Haupttitel verzichten und sich an den sachlichen Untertitel halten: "Der Krieg der Bilder seit 9/11".
Denn die reichhaltig dargebotenen Materialien sowie die dichten Beschreibungen und gehaltvollen Detailanalysen lesen sich mit Gewinn. Sie sind die Stärken dieses Buches. Die Schwächen liegen im insgesamt leicht verqueren theoretischen Rahmen und regen zu Widerspruch und kritischem Nachdenken an.
Insofern ein empfehlenswertes, ein lesenswertes Buch.
W.J.T. Mitchell: Das Klonen und der Terror. Der Krieg der Bilder seit 9/11
Suhrkamp Verlag, 2011
Diese Wende hin zum Bild hat Mitchell als einer der Ersten beobachtet und sie schon 1992 mit dem Ausdruck "pictorial turn" treffend bezeichnet.
"Aus ikonologischer Sicht sind Bilder sowohl sprachliche als auch visuelle Gebilde, sowohl Metaphern als auch grafische Symbole. Sie sind zugleich Vorstellungen und Objekte, materielle Bilder und symbolische Formen. Einige von ihnen werden zu operativen Kräften in der soziopolitischen Realität und erlangen den Status von 'Ikonen‘, die jeder kennt und die starke Emotionen auszulösen vermögen."
Und so gilt es laut Mitchell neben der klassischen kunsthistorischen Untersuchung der Bilder in ihrem historischen Kontext verstärkt auch die (Wirkungs-)Macht der Bilder zu bedenken, also ihre Fähigkeit, "menschliches Verhalten zu beeinflussen". Wirklich neu ist vor allem Mitchell Plädoyer, ein älteres Verständnis wieder stärker zu berücksichtigen, und zwar jenes, "das im Bild etwas Lebendiges erblickt". Dass Bildern "Leben" innewohnt, ist eine alte mythologische Vorstellung:
"In den Schöpfungsgeschichten der meisten Weltreligionen findet sich ein Augenblick, in dem Bilder erschaffen und dann zum Leben erweckt werden."
Dieses Modell eines "lebenden Bildes" kann zwar eigentlich für den modernen, aufgeklärten Menschen nur in übertragener, metaphorischer Hinsicht gelten, so Mitchell. Doch im gegenwärtigen Zeitalter des Klonens erhalte es neue Gültigkeit.
Warum?
Im Zentrum von Mitchells Untersuchung steht eine Fotografie, die bereits auf dem Schutzumschlag in einer grafisch abstrahierten Variante abgebildet ist: das Porträt eines vermummten, auf einer Holzkiste postierten und mit Elektrokabeln an Händen und Penis versehenen Mannes. Der so genannte "Kapuzenmann" aus dem irakischen Militärgefängnis Abu Ghraib nahe Bagdad. Das Foto belegt die Folterpraxis der US-Armee im Irak und führte zu heftigen Protesten.
Für Mitchell stellt dieses Bild "die zentrale Ikone des Irakkriegs und sogar des gesamten Kriegs gegen den Terror" dar. Das Bild stehe für eine neue Qualität, weil es nicht bloß kopiert, sondern tatsächlich geklont und damit zum Leben erweckt wurde, so Mitchell:
"Wenn jemals ein Bild in den Kreisläufen der Massenmedien geklont wurde, dann dieses, und zwar sowohl im Sinne endloser Vervielfältigung als auch in dem weiteren Sinne, dass es ein 'Eigenleben‘ erlangt, welches sich den Absichten seiner Produzenten widersetzt und sie sogar in ihr Gegenteil verkehrt.
Der Mann mit der Kapuze tauchte in aller Welt auf, im Fernsehen, im gesamten Internet, auf Protestplakaten, in Wandmalereien, Graffitis und Kunstwerken von Bagdad bis Berkeley. Guerillakünstler in aller Welt fanden Wege, die Figur in einer erstaunlichen Vielfalt abzuwandeln und zu vervielfältigen."
So richtig es ohne Frage ist, die erweiterte politische Rolle und Funktion der Bilder in den Blick zu nehmen, so fragwürdig erscheint andererseits der Versuch des Autors, ihre Wirkkraft mit dem in diesem Zusammenhang atavistischen Begriff des Lebens neu zu bestimmen. Die neue Qualität dieser Bilder definiert Mitchell wie folgt:
"Das Biobild ist die Verschmelzung des alten 'geisterhaften‘ (unheimlichen, gespenstischen) Lebens der Bilder mit einer neuen Form technischen Lebens, das beispielhaft in zeitgenössischen Phänomenen des Klonens und der Entwicklung digitaler Bildproduktion und Animation zum Ausdruck kommt."
Der hier und da argumentativ holpernde Rahmen des Buches verdankt sich offenbar einer neuen philosophischen Ambition des Autors. Man könnte aber ohne Weiteres auf den thesenartig gefassten Haupttitel verzichten und sich an den sachlichen Untertitel halten: "Der Krieg der Bilder seit 9/11".
Denn die reichhaltig dargebotenen Materialien sowie die dichten Beschreibungen und gehaltvollen Detailanalysen lesen sich mit Gewinn. Sie sind die Stärken dieses Buches. Die Schwächen liegen im insgesamt leicht verqueren theoretischen Rahmen und regen zu Widerspruch und kritischem Nachdenken an.
Insofern ein empfehlenswertes, ein lesenswertes Buch.
W.J.T. Mitchell: Das Klonen und der Terror. Der Krieg der Bilder seit 9/11
Suhrkamp Verlag, 2011