Ohne Farbe, voller Leben

Von Walter Kittel |
Die Bilder Ellsworth Kelly spielen mit Flächen, Formen und Kontrasten. Viele von ihnen sind ausschließlich in Schwarz und Weiß gehalten. Das Münchner "Haus der Kunst" zeigt eine groß angelegte Schau der Werke des 1923 geborenen Amerikaners, der einer der wichtigsten Vertreter der Farbfeldmalerei ist.
Schwarze und weiße Bilder: in vielfältigsten Formen und Verschränkungen. Schwarze Rundungen und Bögen auf grellem, weißem Untergrund. Oder eben umgekehrt: weiße Ovale und wie zerborsten wirkende Flächen auf tiefem Schwarz.

Teils spielt sich das Mit- und Nebeneinander von Schwarz und Weiß auf einer Leinwand ab. Teils montiert Kelly mehrere Leinwände schräg ineinander. Manchmal wirken seine Leinwände aber auch wie Skulpturen, die bogenförmig und spitz zulaufend aus den Wänden ragen. Scheinbar reduziert in der Formensprache und reduziert auf Schwarz und Weiß – aber dennoch so vielfältig und lebendig: Es sind faszinierende Eindrücke, die Kellys Schwarz-Weiß-Bilder hinterlassen. Für Okwui Enwezor ist die Ausstellung zugleich ein großartiger Auftakt für den Beginn seiner Arbeit im Münchner "Haus der Kunst".

"Es kommt nicht sehr oft vor, dass ich das Wort erhaben gebrauche, um eine Ausstellung zu beschreiben. Hier aber spreche ich im besten Sinne des Wortes davon. So wie die Kunst hier auf die Betrachter in dieser Architektur wirkt - und auch wegen der kuratorischen Entscheidungen, die Ulrich Wilmes getroffen hat."

Über zwei Jahre lang hatte Chefkurator Ulrich Wilmes die Ausstellung vorbereitet - in enger Zusammenarbeit mit dem fast 90-jährigen Maler Kelly, der von den USA aus die Ausstellung plante und dirigierte. Die von langer Hand so gut und präzise entwickelte Schau macht dem neuen Direktor den Einstieg in München sehr leicht. Fast wirkt sie wie ein Willkommensgeschenk seines Vorgängers Chris Dercon, der heute die Tate Modern in London leitet.

"Der großartige Chris Dercon, der mir das Leben hier zugleich leichter aber auch viel, viel schwerer macht. Weil es sehr schwer werden wird, ihm zu folgen und wie er das Haus während der letzten neun Jahre geleitet hat. Meine Absicht ist es, nicht so sehr in seine Fußstapfen zu treten, als den weichen Grund daneben zu testen."

Noch fehlt solchen Ankündigungen Enwezors die Substanz. Neue Impulse sind von ihm wohl auch erst in fernerer Zukunft zu erwarten, denn bis Anfang 2013 steht das Ausstellungsprogramm bereits fest. Bei seinem Antritt heute in München kam es Enwezor auch gar nicht in den Sinn, noch weiter in die Zukunft zu blicken oder eigene Ausstellungsideen vorzustellen.

"Ich möchte hier heute nicht von mir und meiner Arbeit sprechen. Ich hoffe vielmehr, dass der Fokus ganz auf Ellsworth Kelley liegen wird. Denn das ist der Grund, warum Museen existieren: dass es Orte gibt, wo sich Kunst und Künstler unserer Reflektion stellen."

Etwa 20 Prozent der Bilder im gesamten Werk von Ellsworth Kelly sind schwarz-weiß. Sie spielen mit Flächen, Formen und Kontrasten. Warum der New Yorker Künstler schwarz-weiß so schätzt, lässt sich etwa an einigen in der Ausstellung gezeigten Fotos ablesen: Es sind Schwarz-Weiß Aufnahmen aus Kellys Archiv, die Schatten oder neblige Landschaften zeigen. Faszinierende, melancholische Eindrücke sind zu sehen, die Flüchtigkeit demonstrieren.

In Kellys Bildern hingegen wirken die Schatten wie in Farbe gemeißelt. Grauzonen gibt es nicht, für Zwischentöne ist kein Platz. Grelles Weiß und tiefes Schwarz prallen stets hart aufeinander. Die schwarz-weißen Arbeiten seien das eigentliche Rückgrad in Kellys Werk, so Kurator Ulrich Wilmes. Denn hier sei die von Kelly angestrebte Abstraktion noch größer als bei den Bildern in Rot, Gelb, Grün oder Blau. Okwui Enwezor hob in seiner Betrachtung von Kellys Arbeiten nur ein Werk hervor: eine schwere Skulptur aus Metall.

"Eine 800 Pfund schwere Arbeit aus Bronze an der Wand. Eine Arbeit, die eine Verstärkung der Wände brauchte, bevor sie angebracht wurde. Leicht, wie ein Stück Papier wirkt sie nun an der Wand. Es ist die gleiche Leichtigkeit, mit der hier unser Team Ausstellungen zu dem macht, was sie sind."

Als wäre er selber gar nicht so wichtig, als würde er eigentlich noch gar nicht gebraucht. Okwui Enwezors Zurückhaltung und Bescheidenheit bei seinem ersten offiziellen Auftritt vor der Presse in München wirkten geradezu verblüffend und ein wenig rätselhaft. Ob er den hohen Erwartungen gerecht werden kann, wird sich also erst noch zeigen.