Ohne Korruption keine Teilhabe
Thomas Ostermeier, der Direktor der Berliner Schaubühne, ist beim Internationalen Theaterfestival von Avignon ein immer wieder gern gesehener Gast. Im Juli hat er dort wieder Ibsen inszeniert. Jetzt hatte der "Volksfeind" auch in Berlin Premiere.
Stefan Stern zitiert als Badearzt Stockmann aus der Politfibel "Der kommende Aufstand" des "Unsichtbaren Komitees", das 2008 in Frankreich von der Regierung als Handbuch des Terrorismus" bezeichnet worden war. Die Honoratioren des Kurortes, in dessen Wasser Stockmann krankheitserregende Keime nachgewiesen hatte, sind von der Bühne in den Saal gekommen und unterbrechen die berühmte öffentliche Rede des Arztes für eine offene Debatte mit dem Publikum.
Ist Thomas Stockmann beim Faschismus angelangt, wenn er sagt, er wolle seine politischen Gegner zur Not "ausrotten"? Ostermeier sucht die plebiszitäre Klärung dieser Frage mit dem Publikum; der Erfolg dieses Versuchs hängt von der Tageslaune der Zuschauer ab. Bei der Premiere in Avignon war’s ein Renner, bei der Premiere in Berlin ein totaler Flop.
Jan Pappelbaum hat diesmal ein einfaches Gebilde aus schwarzen Wänden gebaut, auf die allerlei Skizzen und Worte gekritzelt sind. Das schicke Ibsen-Interieur früherer Ostermeier-Arbeiten ist dem Konzeptionellen gewichen, Provisorien fürs Agit-Prop. Stockmanns Daheim erinnert so eher an eine Wohngemeinschaftsküche auf deren Tisch unter anderem Rotwein, Megaphon und ein kleines Keyboard stehen. Thomas und seine Freunde aus der Zeitung sind nämlich nebenher Hobbymusiker. Alle irgendwie links, irgendwie jobgeil, irgendwie familienorientiert.
Am Ende sitzt Stefan Stern als hitzköpfiger Badearzt, über und über mit Farbbeuteln bespritzt und um eine politische Erfahrung reicher, stumm neben seiner Frau. Vor ihnen der lukrative Scherbenhaufen seiner Sturheit: Ein Bündel vom Schwiegervater billig erstandener Aktien der am Markt eingebrochenen Bäderbetriebe. Was tun? Dieses Erbe für die ökologisch-medizinische Wahrheit in die Tonne treten, oder die Bäderbetriebe nunmehr auch schön lügen, um sich an der Aktienerholung zu bereichern?
Die Entscheidung wird nicht gezeigt. Die Ahnung wächst: An der Eigentumsgesellschaft ist ohne Korruption der eigenen Überzeugungen keine Teilhabe möglich.
Kritiken zu weiteren Inszenierungen von Thomas Ostermeier auf dradio.de:
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Am Ende sitzt Stefan Stern als hitzköpfiger Badearzt, über und über mit Farbbeuteln bespritzt und um eine politische Erfahrung reicher, stumm neben seiner Frau. Vor ihnen der lukrative Scherbenhaufen seiner Sturheit: Ein Bündel vom Schwiegervater billig erstandener Aktien der am Markt eingebrochenen Bäderbetriebe. Was tun? Dieses Erbe für die ökologisch-medizinische Wahrheit in die Tonne treten, oder die Bäderbetriebe nunmehr auch schön lügen, um sich an der Aktienerholung zu bereichern?
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