Ohne Liebe - ein banales Missverständnis
In "Turandot" mischen sich Tragödie und Komödie, Märchen und Exotik. Tilman Knabe inszenierte am Aalto-Theater in Essen unter völligen Verzicht auf die Märchenkomponente. Sein exotischer Realismus präsentiert ein grotesk überzeichnetes China-Bild.
Turandot, einzige Tochter des Kaisers von China in "vergangenen Zeiten", will sich nicht heiraten lassen. Daher errichtete sie für alle Bewerber eine hohe Hürde: sie müssen ihre drei Rätsel lösen. Wer ratlos bleibt oder irrt, wird - hoppla! - geköpft.
Drei Motive prägen das Handeln der durchaus mit modernen Zügen ausgestatteten Frau (das zuvorderst in einer großen Verweigerung besteht): Archetypische Angst und der Hinweis auf üble Erfahrungen der Vorfahrin Lou-Ling (diese wurde geraubt und vergewaltigt). Vor allem neurotisch genährte Verwöhntheit: sie will sich, was doch ihre einzige gesellschaftliche Funktion wäre, keinem Mann hingeben.
Und wenn sich die Vorbereitungen zur Fortpflanzung der Dynastie nicht vermeiden lassen, dann muss sich der Partner durch höchste Klugheit auszeichnen. Bis Kalaf ihre Rätsel und sie knackt, müssen viele Prinzen ihr Leben lassen. So der Kern der fiaba chinese von Carlo Gozzi (1762), das Giuseppe Adami und Renato Simoni nach Friedrich Schillers Turandot-Bearbeitung (1802) für Giacomo Puccini (1858-1924) zum Libretto arrangierten. Die Uraufführung der nicht ganz fertiggestellten Oper fand, unter Leitung von Arturo Toscanini, 1926 an der Scala in Mailand statt.]
In "Turandot" mischen sich Tragödie und Komödie, Märchen und Exotik. Tilman Knabe inszenierte unter völligen Verzicht auf die Märchenkomponente. Sein exotischer Realismus präsentiert ein grotesk überzeichnetes China-Bild: Im Rahmen des monströsen Bau-Booms wurde offensichtlich auch der Platz des himmlischen Friedens mit Tiefgarage versehen. Im ungastlichen Rohbau rottet sich eine Menschenmenge zusammen und ergeht die Proklamation an das Volk von Peking, das von Volkspolizisten oder Rotarmisten mit Maschinenpistolen in Schach gehalten und nach Bedarf durch Salven dezimiert wird.
Kaiser Altoum sieht aus wie der Vorsitzende der Militärkommission, ein bisschen auch wie ein lateinamerikanischer Militärdiktator. Das Ein-Zimmer-Appartement seiner Tochter befindet sich in der oberen Etage - Turandot zeigt sich schon einmal in Freizeitkleidung, hellblauer Bluse und rotem Jäckchen (alles wie vom Billigdiscounter Urban oder von der Altkleidersammlung). Nichts an ihr ist intransigent oder gar rätselhaft.
Man wartet auf die Hinrichtung des Prinzen von Persien. Der scheiterte, wie mancher vor ihm schon, an den Rätseln auf dem Weg zu Hand und Bett der Prinzessin: Bei Knabe muss er nackt, nur mit schwarzer Kapuze überm Kopf, zur Hinrichtung robben (die Episode spielt sichtbar auf das Spezialgefängnis von Abu Ghoreib an).
Die Exekution animiert das Volks von Peking zu ein bisschen Kannibalismus. Die Geister der vielen anderen Prinzen erscheinen, die Turandot bereits zum Opfer fielen: ein Trupp braungebrannter muskulöser nackter junger Männer. Die drei Minister Ping, Pang und Pong, verkleidet als Müllmänner, schaffen sie eigenhändig in die einschlägigen Entsorgungssäcke.
Prinz Kalaf aus der Tiefe des asiatischen Raums lässt sich nicht entmutigen. Er tritt trotz Einreden von allen Seiten zum Ratespiel auf Leben und Tod an. Und dann und wann probt bei Knabe das Volk den Aufstand, das heißt die Choristen fuchteln kräftig mit Stangen - aber das bleibt folgenlos. Noch übertriebener das periodisch wiederkehrende Herumfuhrwerken der Staatssicherheitsorgane mit Schusswaffen vor den Absperrgittern, die den Herrschenden den dummen Pöbel auf Distanz halten. In Anlehnung an Calixto Bieito wurde Brutalität ins Bild gesetzt - aber eben in teutonischer Second-Hand-Manier und Unerbittlichkeit.
Die Sklavin Liù, Reisebegleiterin (und bei Knabe auch Gespielin) des greisen Mongolen- oder Tartaren-Fürsten Timur, erhält Waffen- und Sterbehilfe vom Sohn Kalaf, um dessentwillen sie sich in unerfüllter Liebe umbringt. Bis zu diesem Moment ist die Oper von Puccini ausgearbeitet worden.
Knabe schiebt an dieser Stelle eine Sprech-Szene der drei leicht durchgeknallten Minister ein, in der diese den Fortgang des Abends diskutieren: Soll der von Luciano Berio neu komponierte Schluss gegeben werden? Oder der seit der zweiten Aufführung von 1926 übliche von Franco Alfano beziehungsweise eine kaum je zu hörende ausführlichere Schluss-Variante des Puccini-Schülers?
In Essen wird zur Musik, die das Zueinanderfinden der beiden Protagonisten nachzeichnet und erhöht, die Vergewaltigung Turandots durch Kalaf gezeigt und wie sich dann die beiden dem Volk präsentieren, während die Märtyrerin Liù als Mater dolorosa herausgeputzt wird - wie im Januar dieses Jahres die Elisabeth von Thüringen in Philipp Himmelmanns "Tannhäuser"-Inszenierung an der Staatsoper Hannover.
Der Regisseur vertritt die Meinung: "Man hört den Faschismus aus dieser Oper heraus". Dieser These stehen nicht nur Wortlaut und Intonation des Werks selbst entgegen, sondern auch der reale Dissens zwischen Duce beziehungsweise Mussolinis Movimento und dem von dessen Paladinen als "kleinbürgerlich-dekadent" geschmähten Maestro. Der war zum Zeitpunkt der "Machtergreifung" der Faschisten ein schwer kranker Mann und erfüllte mit "Turandot" alles andere als einen Propagandaauftrag.
Der offensichtlich noch nicht ganz erwachsen gewordenen Regisseur Knabe glaubt, mit dreistem Dummschwätzen ("Es ist ein großes Missverständnis, dass es in Turandot um Liebe geht") in der niederdeutschen Provinz ein Aufsehen erregen zu können, das seinen Bemühungen auf der Bühne bislang versagt blieb.
Angesichts der Gewalt-Revue macht sich schmerzhaft bemerkbar, dass der Essener Oper ein Kopf fehlt und dort hauptsächlich stabgesteuert wird. GMD Stefan Soltesz, in Personalunion Intendant am Aalto-Theater, profitiert vom hohen Präzisionsgrad der Essener Philharmoniker. Freilich befehligt er eine plakative Musik herbei, der nicht nur Nuancen abhanden kommen, sondern ganze Segmente der Farbpalette.
Die effektive Effekthascherei dieses Kapellmeisters beschert den Ressentiment-Hörern ein inneres Missionsfest, bleibt für Zuschauer von Geschmack und mit Vergleichsmöglichkeiten ein Ärgernis. Dario Volonté (Kalaf) ist ein stämmiger jugendlicher Liebhaber mit Belcanto-Qualitäten. In der Titelpartie berührt Iréne Theorin unangenehm durch allzu viel Schärfe und nicht immer sauber geführte Stimme. Dagegen erweist sich Olga Mykytenko als Lichtblick: eine trotz Inszenierungshemmnissen anrührende Liù.
Drei Motive prägen das Handeln der durchaus mit modernen Zügen ausgestatteten Frau (das zuvorderst in einer großen Verweigerung besteht): Archetypische Angst und der Hinweis auf üble Erfahrungen der Vorfahrin Lou-Ling (diese wurde geraubt und vergewaltigt). Vor allem neurotisch genährte Verwöhntheit: sie will sich, was doch ihre einzige gesellschaftliche Funktion wäre, keinem Mann hingeben.
Und wenn sich die Vorbereitungen zur Fortpflanzung der Dynastie nicht vermeiden lassen, dann muss sich der Partner durch höchste Klugheit auszeichnen. Bis Kalaf ihre Rätsel und sie knackt, müssen viele Prinzen ihr Leben lassen. So der Kern der fiaba chinese von Carlo Gozzi (1762), das Giuseppe Adami und Renato Simoni nach Friedrich Schillers Turandot-Bearbeitung (1802) für Giacomo Puccini (1858-1924) zum Libretto arrangierten. Die Uraufführung der nicht ganz fertiggestellten Oper fand, unter Leitung von Arturo Toscanini, 1926 an der Scala in Mailand statt.]
In "Turandot" mischen sich Tragödie und Komödie, Märchen und Exotik. Tilman Knabe inszenierte unter völligen Verzicht auf die Märchenkomponente. Sein exotischer Realismus präsentiert ein grotesk überzeichnetes China-Bild: Im Rahmen des monströsen Bau-Booms wurde offensichtlich auch der Platz des himmlischen Friedens mit Tiefgarage versehen. Im ungastlichen Rohbau rottet sich eine Menschenmenge zusammen und ergeht die Proklamation an das Volk von Peking, das von Volkspolizisten oder Rotarmisten mit Maschinenpistolen in Schach gehalten und nach Bedarf durch Salven dezimiert wird.
Kaiser Altoum sieht aus wie der Vorsitzende der Militärkommission, ein bisschen auch wie ein lateinamerikanischer Militärdiktator. Das Ein-Zimmer-Appartement seiner Tochter befindet sich in der oberen Etage - Turandot zeigt sich schon einmal in Freizeitkleidung, hellblauer Bluse und rotem Jäckchen (alles wie vom Billigdiscounter Urban oder von der Altkleidersammlung). Nichts an ihr ist intransigent oder gar rätselhaft.
Man wartet auf die Hinrichtung des Prinzen von Persien. Der scheiterte, wie mancher vor ihm schon, an den Rätseln auf dem Weg zu Hand und Bett der Prinzessin: Bei Knabe muss er nackt, nur mit schwarzer Kapuze überm Kopf, zur Hinrichtung robben (die Episode spielt sichtbar auf das Spezialgefängnis von Abu Ghoreib an).
Die Exekution animiert das Volks von Peking zu ein bisschen Kannibalismus. Die Geister der vielen anderen Prinzen erscheinen, die Turandot bereits zum Opfer fielen: ein Trupp braungebrannter muskulöser nackter junger Männer. Die drei Minister Ping, Pang und Pong, verkleidet als Müllmänner, schaffen sie eigenhändig in die einschlägigen Entsorgungssäcke.
Prinz Kalaf aus der Tiefe des asiatischen Raums lässt sich nicht entmutigen. Er tritt trotz Einreden von allen Seiten zum Ratespiel auf Leben und Tod an. Und dann und wann probt bei Knabe das Volk den Aufstand, das heißt die Choristen fuchteln kräftig mit Stangen - aber das bleibt folgenlos. Noch übertriebener das periodisch wiederkehrende Herumfuhrwerken der Staatssicherheitsorgane mit Schusswaffen vor den Absperrgittern, die den Herrschenden den dummen Pöbel auf Distanz halten. In Anlehnung an Calixto Bieito wurde Brutalität ins Bild gesetzt - aber eben in teutonischer Second-Hand-Manier und Unerbittlichkeit.
Die Sklavin Liù, Reisebegleiterin (und bei Knabe auch Gespielin) des greisen Mongolen- oder Tartaren-Fürsten Timur, erhält Waffen- und Sterbehilfe vom Sohn Kalaf, um dessentwillen sie sich in unerfüllter Liebe umbringt. Bis zu diesem Moment ist die Oper von Puccini ausgearbeitet worden.
Knabe schiebt an dieser Stelle eine Sprech-Szene der drei leicht durchgeknallten Minister ein, in der diese den Fortgang des Abends diskutieren: Soll der von Luciano Berio neu komponierte Schluss gegeben werden? Oder der seit der zweiten Aufführung von 1926 übliche von Franco Alfano beziehungsweise eine kaum je zu hörende ausführlichere Schluss-Variante des Puccini-Schülers?
In Essen wird zur Musik, die das Zueinanderfinden der beiden Protagonisten nachzeichnet und erhöht, die Vergewaltigung Turandots durch Kalaf gezeigt und wie sich dann die beiden dem Volk präsentieren, während die Märtyrerin Liù als Mater dolorosa herausgeputzt wird - wie im Januar dieses Jahres die Elisabeth von Thüringen in Philipp Himmelmanns "Tannhäuser"-Inszenierung an der Staatsoper Hannover.
Der Regisseur vertritt die Meinung: "Man hört den Faschismus aus dieser Oper heraus". Dieser These stehen nicht nur Wortlaut und Intonation des Werks selbst entgegen, sondern auch der reale Dissens zwischen Duce beziehungsweise Mussolinis Movimento und dem von dessen Paladinen als "kleinbürgerlich-dekadent" geschmähten Maestro. Der war zum Zeitpunkt der "Machtergreifung" der Faschisten ein schwer kranker Mann und erfüllte mit "Turandot" alles andere als einen Propagandaauftrag.
Der offensichtlich noch nicht ganz erwachsen gewordenen Regisseur Knabe glaubt, mit dreistem Dummschwätzen ("Es ist ein großes Missverständnis, dass es in Turandot um Liebe geht") in der niederdeutschen Provinz ein Aufsehen erregen zu können, das seinen Bemühungen auf der Bühne bislang versagt blieb.
Angesichts der Gewalt-Revue macht sich schmerzhaft bemerkbar, dass der Essener Oper ein Kopf fehlt und dort hauptsächlich stabgesteuert wird. GMD Stefan Soltesz, in Personalunion Intendant am Aalto-Theater, profitiert vom hohen Präzisionsgrad der Essener Philharmoniker. Freilich befehligt er eine plakative Musik herbei, der nicht nur Nuancen abhanden kommen, sondern ganze Segmente der Farbpalette.
Die effektive Effekthascherei dieses Kapellmeisters beschert den Ressentiment-Hörern ein inneres Missionsfest, bleibt für Zuschauer von Geschmack und mit Vergleichsmöglichkeiten ein Ärgernis. Dario Volonté (Kalaf) ist ein stämmiger jugendlicher Liebhaber mit Belcanto-Qualitäten. In der Titelpartie berührt Iréne Theorin unangenehm durch allzu viel Schärfe und nicht immer sauber geführte Stimme. Dagegen erweist sich Olga Mykytenko als Lichtblick: eine trotz Inszenierungshemmnissen anrührende Liù.