Landwirte passen sich dem Klimawandel an
In Süddeutschland bauen einige Landwirte bereits Soja und Sorghum-Hirse an. Der Weinanbau rückt dagegen nach Norden. Knapp 40 Prozent der Landwirte gibt an, dass sie schon heute klimatische Veränderungen bei ihrer alltäglichen Arbeit spüren.
Christoph Felgentreu blickt in den Himmel, kneift die Augen zusammen: Die Sonne blendet, nur wenige Wolken sind zu sehen. Ein warmer Wind weht über die hügelige Landschaft. Stresswetter für Ackerpflanzen. Der Landwirt lächelt. Zeigt auf die Versuchsflächen.
"Hier sind wir in einem Versuch, wo wir gucken, die Spezialkultur Rauhhafer, wie wir die sicher ins Feld stellen, um hohe Erträge, sichere Erträge zu produzieren."
Felgentreu fährt sich mit der Rechten über den Tom-Selleck Bart, mustert den wogenden Rauhafer.
"Ertragshöhe ist immer das eine, aber Ertragssicherheit ist unter Brandenburger Bedingungen meist viel wichtiger und deshalb spielen wir hier ein bisschen mit den Aussaatstärken, wir haben also von 25 Kilo pro Hektar bis 60 Kilo verschiedene Aussaatstärken und gucken, ob wir möglicherweise mit weniger Pflanzen vielleicht doch einen sichereren oder höheren Ertrag produzieren können als mit 60 Kilo, wo wir dann weit über 300 Pflanzen pro Quadratmeter haben."
Mehr Ernte mit weniger Saatgut? Durchaus möglich, sagt Christoph Felgentreu. Auf jeden Fall einen Versuch wert. Feldversuche sind sein tägliches Geschäft. Der Landwirt arbeitet für die Deutsche Saatveredelung, leitet die Außenstelle Bückwitz in Brandenburg. Was hier angebaut wird, muss zeigen, dass es zukünftig auf dem Acker bestehen kann. Trotz Klimawandel.
"Wir spüren es. Ich bin jetzt über 40 Jahre in der Landwirtschaft. Und wir merken einen deutlichen Unterschied. Und wir sehen es natürlich auch an unseren Wetteraufzeichnungen, 20 Meter weiter steht ne‘ Wetterstation."
Niederschläge zu den falschen Jahreszeiten
Seit vier Jahrzehnten notiert er jeden Tag seine persönlichen Wetterdaten, ergänzt sie um offizielle Meldungen, sammelt Zeitungsartikel. Ein akribisches Klimabild der Region Ruppiner Land:
"Das Kuriose ist: Wir werden hier nicht trockener, also in den letzten 26 Jahren seit der Wende, werden wir definitiv auch hier statistisch sicher, nasser. Aber die Niederschläge kommen zu anderen Jahreszeiten. Nämlich im Herbst, Winter."
Dann, wenn die Acker-Pflanzen kein Wasser brauchen.
"Und dass bedeutet, wir müssen mit diesem Wasser arbeiten. Und dieses Wasser muss weitestgehend im Boden bleiben. Es darf nicht durchlaufen nach unten. Und es muss dauerhaft, wenn es geht, konserviert werden, bis die Kultur eben wieder Wasserbedarf hat. Das ist die große Herausforderung.
Winter-Wasser fürs Frühjahrswachstum speichern. Und für die Pflanzen erreichbar machen. Das ist die Aufgabe:
"Und da kann sich jeder vorstellen, wenn man mit sehr schwerer Technik zur Unzeit auf dem Acker sind, Unzeit heißt, wenn die Böden zu feucht sind, beispielsweise, dann kann es passieren, dass wir Bodenverdichtungen verursachen. Und dann ist diese Gründigkeit nicht gegeben, das heißt, die Pflanzen können nicht ungehindert in tiefe Schichten wurzeln, dann können sie diesen Wasservorrat dort, der im Winter angelegt wurde, im Boden, nicht nutzen.
Das Land Brandenburg ist für die Landwirtschaft der Zukunft eine Testregion. Ein Hotspot, an dem Klima-Effekte schneller und heftiger auftreten als in anderen Gebieten. Lehmige Sandböden, unterdurchschnittliche Ackerqualität, dazu Kontinentalklima. Mal extreme Trockenheit, dann Starkregen und Wind.
"Deswegen ist der Sommergetreideanbau in Brandenburg extrem zurückgegangen, wir haben fast kein Sommergetreide mehr hier. Kartoffel hat Brandenburg, glaube ich, noch 15.000 Hektar, also Zuckerrübe ist auch viel weniger. Dann gibt es noch ein bisschen Sonnenblume, die auch nur einen begrenzten Anbau hat. Und alle anderen Sommerkulturen sind vom Prinzip her aus Brandenburg fast verschwunden, ja."
Einzige Ausnahme: der Mais. Als sogenannte C4-Pflanze ist sein Stoffwechsel ungleich effizienter als bei den anderen Arten. Trockenheit kann ihm da weniger anhaben.
Blicke in die Klimageschichte
"Das ist die Erntesichel. Und dann hier in der Tasche ist eine Grundausstattung an Probebeutelchen, Bonitur, Schemata für Krankheiten, Messtabellen und so."
Rudolf Vögels Expeditionsausrüstung. Wenn er aufbricht. Vom Brandenburger Landesumweltamt in die Wildnis. Auf der Suche nach verborgenen Schätzen. Aus der Vergangenheit:
"Ich habe ganz was Charmantes da, das habe ich gestern mitgebracht, das ist eine Art Spergula arvensis, Ackerspörgel, eine alte Kulturart für die nordost-norddeutsche Agrarwirtschaft."
Historische Pflanzen. Und ihren wilden Verwandten. Für den Biologen Klimabotschafter der Vergangenheit. Mit angepasstem Erbgut. An Wetter- und Klimakapriolen.
"Klimageschichtlich gehen wir davon aus, dass wir im Mittelalter, im Hochmittelalter, eigentlich die günstigsten Temperaturwerte hier für diese Region vorhanden waren."
Da wurde Brandenburg zum Weinland. Exportierte den Traubentrank bis ins Baltikum.
"Um das 12., 13 Jahrhundert hat sich halt der Weinanbau vom früher eher mediterranen Bereich nach Norden und Osten ausgeweitet. Und diese Historie bildet man in Guben ab, aber auch in Pommern, in Polen, noch ein bisschen weiter nördlich ab, ja."
Doch dann fielen die Temperaturen. In ganz Nordeuropa.
"Wir reden klimageschichtlich von der sogenannten kleinen Eiszeit, die um 1700 eingesetzt hat, 1800 also besonders ausgeprägt war. Diese harten Fröste haben dann ja letztendlich den Weinabbau, der ja bis ins 17., 18.Jahrhundert entgegen aller Klimawidrigkeiten überlebt hat, in Polen, die haben ihn dann ja erledigt."
Der Klimawandel auf deutschen Äckern
"Die muss ich noch abhängen, das ist ja meine Folterkammer."
Frank Ellmer lacht verschmitzt. Im alten, dunkel getäfelten Hörsaal hängen drei große Plakate an der Wand. Davor lässt der Professor regelmäßig seine Studenten schwitzen.
"Drittes Semester, die haben das erst mal was von Pflanzen, wie es da denn beispielsweise eine Rapspflanze morphologisch geschaffen, oder eine Kartoffelstaude, oder wie ist der Unterschied der Ährchen zwischen Gerste, Hafer und Roggen."
Ellmer blickt durch die große Fensterfront auf die Wetterstation, die Versuchsfelder. Seit mehr als 130 Jahren experimentieren hier Agrarwissenschaftler. Erst auf der Staatsdomäne Dahlem, jetzt am Albrecht-Daniel-Thaer-Institut der Berliner Humboldt-Universität. Ellmer leitet den Bereich Acker- und Pflanzenbau.
"Das Thema Klimawandel ist jetzt überall präsent, ich habe selbst einen Kollegen, der Projekte auf diesem Gebiet bearbeitet, zuletzt mit der Frage des Obstanbaus in Hessen momentan gerade zur Frage, Auswirkungen des Klimawandels auf die Honigbiene, hochspannende Angelegenheit."
Weltweit beobachten Agrarwissenschaftler die Folgen des Klimawandels. Dürren in Australien und Südafrika, Überschwemmungen in Südindien und Bangladesch - immer mehr fruchtbarer Boden verschwindet, Missernten drohen, warnt die Welthungerhilfe. Auch auf den deutschen Äckern ist der Klimawandel spürbar, glauben die Landwirte. Das zeigt eine Umfrage, die Ellmer mit seinen Studenten gemacht hat.
"Es kam doch mit großer Deutlichkeit heraus, dass die Landwirte der Meinung sind, sich ändernde klimatische Verhältnisse wahrzunehmen, insbesondere tendenziell trockenere Sommer, frühere Frühjahre und längere, wärmere Herbste."
Schwankende äußere Einflüsse haben schon immer die landwirtschaftliche Arbeit bestimmt, sagt Wissenschaftler Ellmer. Doch heute erleben wir den Anfang einer langfristigen Veränderung.
"Wir werden sicherlich mit einer Mitteltemperatur von 2, 2,5 Grad mehr zur heutigen Zeit rechnen müssen. Und das geht eben einher mit zunehmenden extremen Ereignissen, von Niederschlägen aber auch Trockenheit. Aber ganz sicher sind die Verfrühung des Vegetationseintritts im Frühjahr und wärmere Herbste, d.h. die Vegetationsperiode für den Pflanzenbau wird länger, was a priori nicht schlecht ist. Man kann also jetzt schön über mehrere Ernten pro Jahr nachdenken, was auch die gesamten Anbausysteme beeinflussen wird."
Mehr CO2- Gehalt in der Luft kurbelt das Pflanzenwachstum an. Verlängerte Vegetationsperioden ermöglichen Mehrernten. Keine schlechten Aussichten für deutsche Landwirte. Auf den ersten Blick.
Höhere Temperaturen, mehr Schädlinge
"Die Crux dabei ist, das Klima schleppt ja an neue Krankheiten, neue Schädlinge, Kalamitäten. Wir erleben das bei Schädlingen, die früher ausschließlich als Gewächshausschädlinge galten, die erleben wir heute im modernen Gemüseanbau im Freiland."
Rudolf Vögel vom Brandenburger Landesumweltamt auf der Spur der Schädlinge in den Zeiten des Klimawandels.
"Wir haben mehr Generationen von bekannten Schädlingen, weil die mittlerweile nicht nur eine zweite Generation aufbauen können über eine Verlängerung der Vegetationszeit, sondern eine Dritte. Das sind ganz neue Aspekte dabei."
"Man geht davon aus, dass Arten, auch Pflanzenarten wandern, im Rahmen von Klimaverschiebungen. Das kennt man von der letzten Eiszeit, erstmals das Wegtreiben durch Klimaungunst, und durch Gletscher und dann wieder die Rückwanderungsbewegung, die ja nicht abgeschlossen ist, die wir bis heute sehen."
"Ich will mal eben hier das Wasser umstellen, hier die Gurken, ... weil die Folientunnel ganz neu sind. Und - vorsichtig es könnte nass werden …"
Christian Heymann stapft durch seinen neuen Folientunnel. Zwischen den Gurkenpflanzen hindurch. Greift sich den Wassersprenger. Und versucht ihn an einer Querstrebe zu befestigen. Wassermanagement per Handarbeit. Die Folientunnel stehen erst seit ein paar Wochen.
Der Sprenger hängt. Das Wasser verteilt sich in die richtige Richtung. Der 32-Jährige nickt zufrieden.
"Schöne Wärme, den Gurken gefällt es auch schon ganz gut, eine Woche nach denen die Folientunnel standen, sind hier auch gleich die Gurken reingekommen und als so kleines Pflänzchen und jetzt stehen sie hier schon prächtig da."
Das freut den Landwirt. Ich bin gelernter Bauer, sagt der gebürtige Sachse. Heymann besuchte die Landwirtschaftsschule, arbeitete vor allem auf Biobauernhöfen. Zu der Zeit als der Klimawandel von der Vermutung zur Gewissheit wurde. Doch in seiner Ausbildung ging es weniger um Vermeidungs-, sondern mehr um Verdienststrategien.
"Zu meiner Zeit als ich die Ausbildung vor 15,17 Jahren gemacht habe, da war ganz groß im Kommen der Energiewirt, da war ganz neu die Biogasanlagenthematik. Wie kommt man an Fläche, wie muss man sowas optimal betreiben. Da wurde man in der Ausbildung ganz scharf drauf vorbereit, wo verdient man halt Geld und wo nicht."
Heymann wollte kein Energie-Landwirt werden, sondern Lebensmittel anbauen. Möglichst klimafreundlich. Die Landwirtschaft trägt heute in Deutschland rund sieben Prozent zum Treibhausgas-Ausstoß bei. Klima-Einheizer sind vor allem Methan und Lachgas, Quellen sind die Tierproduktion und die intensive Düngung. Rechnet man die Emissionen aus dem Energieverbrauch und der Düngemittel-Herstellung sowie die Ausgasung von landwirtschaftlich genutzten Moorflächen hinzu, steigt der Anteil auf 15 bis 17 Prozent. Heymanns persönlicher Gegenentwurf: biologisch anbauen und regional anbieten.
"Solidarische Landwirtschaft"
"Je nachhaltiger wir hier draußen arbeiten, desto besser ist das für den Klimaschutz. Und das ist ja nicht nur in der Landwirtschaft, ob ich groß spritze oder mit Schleppern übern Acker düse, es geht ja bis zur Vermarktungsstruktur, habe ich große Kühlhäuser, wo ich Sachen zwischenlagere. Und haue ich da die Energie wieder raus, die ich sozusagen reinwirtschafte."
Der Bauer tritt aus dem Folientunnel, blickt über ein Gemüsefeld. Rechts wachsen Weißkohl, Rotkohl und Schwarzkohl, links die Lauchpflanzen. Zwischen den Dämmen knien drei Helfer, rupfen Melde- und Franzosenkraut, um dem Lauch Platz zu schaffen. Alle sind sie Mitglieder bei "Speisegut", einem Verein. Sie zahlen Beiträge, um die Arbeit des Landwirts zu finanzieren. Dafür bekommen sie einen Teil der Ernte und tragen einen Teil der Risiken.
"Die Teilnehmer, die hier bei uns sind, die zahlen einen Jahresbeitrag und es tun sich die äußeren Faktoren, die Risikofaktoren, wie wenn Hagelschlag oder wenn sonstiges ist, was wir ja heutzutage bei diesen Wetterthematiken, die wir im Moment erleben, öfter vorkommen kann, tut sich das sozusagen auf alle gleichmäßig verteilen."
"Solidarische Landwirtschaft" nennt sich das Modell, das vor allem im Gemüseanbau Konjunktur hat. Landwirtschaftliches Knowhow, direkte Kundenbindung, geteiltes Risiko - ein neuer Weg in der Landwirtschaft. Heymann deutet auf einen schmalen Ackerstreifen. Da wachsen seine Testpflanzen."
"Das Klima hat sich so gewandelt, dass wir tatsächlich auch hier in Europa Soja anbauen können. Und ich finde, dass wird immer wichtiger dieses Thema werden, nicht nur um eigenen Soja für Sojaprodukte zu haben, sondern auch für die Fütterung im Tierbereich."
Als Eiweißquelle landen jährlich rund vier Millionen Tonnen Sojafuttermittel in den Trögen der Massentierhalter. Auch Vegetarier und Veganer schwören auf den pflanzlichen Eiweißersatz. Ein großer Tofu-Hersteller aus Süddeutschland versucht jetzt den Anbau der Bohnen hierzulande voranzutreiben. Zusammen mit der Universität Hohenheim startete er im Frühjahr das sogenannte 1000-Gärten-Projekt. Ein Feldversuch für Freiwillige: Quer durch Deutschland wird an 1000 Standorten unterschiedlichstes Soja-Saatgut erprobt, um die klimatisch am besten angepassten Pflanzen zu ermitteln.
Christian Heymann hat sich sofort als Testanbauer gemeldet. Er bekam 12 Samentüten à 100 Bohnen, die er auf Parzellen aussäte. Kräftig grün wachsen da nun die Pflanzen. Regelmäßig werden sie kontrolliert, die Beobachtungen protokolliert:
"Wir haben die Körner ausgezählt, wir werden jetzt warten, bis die ersten Blüten da sind, werden dann schauen, wie der Blütenstatus ist. Ich finde es spannend, weil ich in dem Forum von den 1000 Gärten immer mal reinluntsche und schaue, wie die anderen, wie es bei den anderen so läuft, die teilweise durch Vogelfraß und so weiter, richtig Ausfall haben."
"Wir haben viel später als die anderen ausgesät", sagt er schulterzuckend. Landwirte und Gärtner seien immer etwas hibbelig und würden deshalb dann oft zu früh das Saatgut in die Erde bringen. Gerade bei Soja rächt sich das. Denn sinkt die Temperatur unter zehn Grad, droht der Totalverlust. Zwei Faktoren entscheiden für den Landwirt über den Erfolg, sagt Heymann:
"Das eine ist, er arbeitet mit dem Klima und mit dem Wetter. Und das andere ist, er sollte sich seinen Bodenverhältnissen anpassen. Und nicht der Boden an den Landwirt."
Chemie verlangt nach mehr Chemie
"Die Gerstenpreise fallen noch weiter jetzt, unmöglich was da läuft …"
Kopfschüttelnd kommt Dieter Helm ins Wohnzimmer. Die Gerstenpreise fallen mal wieder. Der Landwirt legt das Telefon zur Seite, setzt sich an den alten Holztisch.
"Wir haben das ja so, dass die Getreideerträge im Durchschnitt eigentlich sinken, im großen Durchschnitt es geht nicht vorwärts und das ist eigentlich ein Alarmzeichen, das hier einiges im Argen ist und die Landwirte versuchen natürlich jetzt über Chemie das auszugleichen. Und es gibt ja einen Grundsatz: Chemie verlangt nach mehr Chemie. Ja, das ist ein Teufelskreis."
Der 70-Jährige blickt streng. Das Wort Teufelskreis benutzt er oft. 700 ha bewirtschaftet Helm mit seinen beiden Söhnen. In der Prignitz. Helm beugt sich nach vorne, legt eine Hand auf zwei dicke, braune Bücher.
"Also da freue ich mich ganz besonders. Das sind also die Grundsätze der rationellen Landwirtschaft von Abrecht Daniel Thaer."
Ein Geschenk. Von Studenten der Humboldt Universität. Die forschen laufend auf seinen Feldern, so wie vor 170 Jahren Agrarwissenschaftler Thaer: altes, aktuelles Wissen, das sich auch Helm erst mühsam wieder erarbeiten musste."
"Wir sind ja alle über die Jahrzehnte auch von der Wissenschaft und der Politik, mehr oder weniger die ganze Landwirtschaft mechanisch chemisch geprägt, d.h. der Faktor Biologie wurde völlig unterbelichtet, kaum behandelt auch nicht von der Wissenschaft, das ist ganz dramatisch. Denn nur durch Biologie erhalte ich und mehre ich die Bodenfruchtbarkeit. Nicht durch Technik und nicht durch Chemieeinsatz, leider ist das in Vergessenheit geraten."
Der "Bodenversteher"
Aber nicht bei Helm. Er kennt jeden Quadratmeter seiner Felder. Jeden Winter stiefelt er mit einer Sonde durchs Gelände, um unerwünschte Bodenverdichtungen aufzuspüren. Regelmäßig nimmt er Stichproben, analysiert das Bodenleben.
"Wenn zum Beispiel bekannt ist, dass wir von den Bodenlebewesen, von der Mikrobiologe und von dem gesamten Edaphon, die Gesamtheit der Bodenlebewesen nur fünf Prozent bekannt sind, obwohl wir auf den Mond fliegen, dann muss ich mir doch die Frage stellen, ist es nicht an der Zeit, dass wir uns der Basis, dem Boden und dem Bodenleben einmal intensiver zuwenden sollen, denn das ist die Grundlage für unsere Ernährung."
Wenn der alte Landwirt erzählt, bekommt das Wort "Bodenständigkeit" eine neue Bedeutung. "Bodenversteher" nennt ihn die Landwirtschaftspresse.
"Wir haben im Bodengefüge eine Schichtung der biologischen Aktivität. Durch die Menge und Intensität der Bodenbearbeitung bringe ich diese natürliche Schichtung, die dort gegeben ist, durcheinander. Und auch die Lebensbedingungen für die Bodenbiologie werden ständig gestört. Das heißt also mit anderen Worten: Jede Bodenbearbeitung schadet dem Boden."
Darum hat die Familie Helm ihren Pflug schon lange abgeschafft. Ihr Boden wird nicht gewendet, sondern vorsichtig gelockert. Die Hauptarbeit erledigen tierische Helfer im Untergrund:
"Ich bezeichne den Regenwurm als das eigentliche Haustier der Landwirtschaft, er ist nicht zu sehen, aber er leistet eine unwahrscheinlich wertvolle Arbeit. Wir haben einmal kontrolliert, die Regenwurmlosung ist ja eigentlich mit die wertvollste Erde, die wir haben, sie hat ja Blumenerde-Qualität mit dem richtigen Nährstoffverhältnis. Und wir haben errechnet, dass auf unseren Böden ungefähr 50 Tonnen jährlich Regenwurmkot pro Hektar produziert werden. Das ist eine unwahrscheinliche Menge."
Arbeitsteilung auf dem Acker. Der Regenwurm im Untergrund, der Landwirt an der Oberfläche. Alles versuchen, um die Bodenbiologie möglichst ungestört zu lassen. Ein permanenter Kompromiss. Zwischen ernten und erhalten
"Dann kommt natürlich noch eins dazu, was ich beachten muss: Die Natur kennt keine Einfalt, die Natur kennt nur Vielfalt. Wir haben also jetzt hier ganz intensiv den Zwischenfruchtanbau dazwischengeschaltet mit 10 bis 15 Einzelkulturen in der Mischung. Das heißt, alle vier Jahre kommt bei uns Vielfalt auf den Acker. Und dort rüsten wir unsere Böden auf und geben ihnen das, was eigentlich meist in der Landwirtschaft fehlt, die Vielfalt zurück."
Dann blühen Lupine, Ackerbohne und Sonnenblume. Eine schattenspendende Schutzschicht für den Boden, dessen Oberfläche sonst bis zu 60 Grad heiß werden könnte. Und gleichzeitig ein Energiespender für den Untergrund. "Konventionell organische Landwirtschaft" nennt Helm sein Modell. Und stellt klar, dass es ihm und seinen Söhnen vor allem um die betriebswirtschaftliche Komponente geht. Und die heißt: Kosten minimieren. Möglichst wenig Geld für Dünger und Spritzmittel ausgeben. Erträge stabilisieren oder ausbauen. Kurzum: Mit der Natur arbeiten, nicht gegen sie. Vor allem in den Zeiten des Klimawandels.
"Wir liegen im Rahmen mit den Kosten und alles, und wir sind also ganz gut aufgestellt. Und das zeigt sich auch in der Praxis draußen: dass unsere Bestände also ne Woche oder 14 Tage länger aushalten bei Trockenheit als die unserer Nachbarbetriebe."
Mit dem Rücken zur Wand
"Wenn sich das Schädlingsspektrum ändert und wenn sich die Klimadaten generell, durch verlängerte Vegetationszeit, erhöhte Temperaturen verändern, dann sind die bisher eingeführten Sorten bisher auch kritisch zu hinterfragen."
"Solche Kenntnisse und Probleme werden vor allem in den klassischen Weinregionen, den Erzeugerländern Griechenland, Italien, Frankreich diskutiert, die stehen da tendenziell fast mit dem Rücken zur Wand, wenn man die Klimaprognose weiter fortschreibt."
"Das Phänomen ist offenkundig, dass sich über die Klimaschwankungen, von denen wir früher geredet haben und dem Klimawechsel jetzt, die Anbaugebiete von Wein entsprechend verändern können."
Mit schweren Stiefeln stapft Henry Ebert durch seinen Weinberg. Das Ausbrecheisen am Gürtel, die Gartenschere in der Hand. Der hagere 50-Jährige beugt sich nach vorne, prüft eine Rotwein-Rebe.
"Das ist unsere Rotweinsorte Regent, ist ein bisschen schwer zu erkennen, hat jetzt noch keine Farbpigmente an den Trauben, aber man kann schon erkennen, dass da ordentlich was dranne hängt. Und in den nächsten Wochen werden wir mal ein bisschen Luft schaffen, damit die Trauben doch noch ein bisschen mehr Sonne abbekommen. Aber nicht zu viel, die können durchaus auch einen Sonnenbrand bekommen, ne harte Schale, das wollen wir nicht."
Sonnenbrand-Gefahr für Rotwein-Trauben. In Mecklenburg-Vorpommern. Im größten, nördlichen Weinanbaugebiet der Republik:
"Das ist ein sehr weiträumiges Gebiet. Soweit das Auge reicht, sieht man Reben, das sind die Mühlenberge, dann haben wir noch die Weinlagen Gartenberg, Froschberg und Storchennest."
Wobei die Berge hier in Mecklenburg-Vorpommern doch eher Hügel sind. Die Weinstöcke aber stehen dicht an dicht. Rund um das Schloss Rattey. Einem alten Herrenhaus, in dem 150-Seelenörtchen. Lange Zeit galt der nördliche 50. Breitengrad als Grenze für den Weinanbau. Die Klimaerwärmung verschiebt diese immer weiter nach Norden. Die Grundlage für das Weinexperiment in Mecklenburg Vorpommern. Es begann mit 500 Weinstöcken.
"Wir haben mittlerweile 20- bis 22.000 Rebstöcke auf fünf Hektar, und auch die Erntemengen, wir haben im ersten Jahr um die 2000 Liter gehabt, im letzten Jahr waren wir bei 18.000 Liter. Und wenn die Jungfelder noch Ertrag bringen, dann werden wir um die 22.000 Liter produzieren, das ist für uns sehr viel."
Als Mecklenburger Landwein wird der Trauben-Tropfen vermarktet. Ganz offiziell. Abgesegnet vom deutschen Bundesrat. Mittlerweile hat auch Niedersachsen Lizenzen für den Weinbau beantragt. Von einer "Bereicherung für das Land" spricht der grüne Agrarminister Christian Meyer. Vorerst stehen fünf Hektar zur Verfügung. Von lieblich bis trocken scheint vieles möglich, heißt es aus dem Ministerium. Mit einem ausdrücklichen Verweis auf die Erfahrungen in Mecklenburg Vorpommern. Henry Ebert nickt zufrieden. Auch der Weinkritiker Stuart Pigott hat den Rebentrunk aus dem hohen Norden schon verkostet. Dem Rotwein attestierte er "ansprechende Kirsch- und Brombeeraromen", den Weißwein lobte er als "rassig und erfrischend".
"Mich fragen viele: Trinken sie denn zuhause auch Wein, dann sage ich immer: Wenn ich einen ganzen Tag mit Wein zu tun hatte und ich muss ab und zu auch mal Wein probieren, im Keller muss ich auch mithelfen, dann bin ich froh, wenn ich abends nach Feierabend mal nen Bier trinke, und da stehe ich ja auch zu, ist ja nichts Schlimmes in dem Sinne."
Christoph Felgentreu und Dieter Helm blicken in den Himmel. Kein Regen in Sicht. Wie so oft. Felgentreu beäugt kritisch seine Versuchsfelder. Die Trockenheit hat einige Getreidesorten schon in die Notreife getrieben. Auf dem Feld daneben wiegen sich grüne Halme im Wind. Es ist der Weizen von Dieter Helm.
"Ist eigentlich ein recht ordentlicher Bestand. Für dieses Jahr können wir zufrieden sein, ich denke eine Durchschnittsernte wird es noch, und eine Durchschnittsernte heißt beim Weizen bei uns über 80 Dezitoinnen ... unsere Ansprüche steigen ..."
Bedrohlich hoher Verbrauch an Humus
Da lächelt Christoph Felgentreu. Die beiden Landwirte kennen sich seit Jahrzehnten. Der Boden in der Region verbindet sie. Oder vielmehr das, was von ihm übrig geblieben ist:
"Wenn man mal zurückgeht und Albrecht Daniel Thaer bemüht, der diese Böden so vor 170 Jahren untersucht hat, dann spricht er von einem Humusgehalt von vier bis acht Prozent. Und heute liegen wir bei 1,5 und 3 Prozent bei drei Prozent in der Spitze, das heißt also, wir haben in den letzten 150 Jahren sehr viel Humus verbraucht als Landwirtschaft. Diese Kritik müssen wir uns einfach gefallen lassen. Und die spannende Frage ist: Kann man das wieder rückgängig machen, kann man das wieder aufbauen. Ich sage mal, wenn man will ja, aber das ist ein sehr, sehr langwieriger Prozess, das dauert vielleicht länger als diese 150 Jahre."
Da wird die Land- zur Langwirtschaft. Und Felgentreu und Helms zu Boden-Botschaftern. Landwirte aus ganz Deutschland reisen mittlerweile nach Bückwitz.
"Es ist immer ein bestimmter Kreis, ich möchte sagen, zu 70 Prozent herrscht immer noch die Meinung vor, wir haben das immer so gemacht und wir machen das weiter so. Also das setzt sich sehr, sehr schwer durch."
Wir haben das System nicht reformiert, sondern es komplett umgestellt, bekommen die Landwirte von Dieter Helm zu hören. Weg von der Chemie, hin zur Bodenbiologie. Doch eine Umstellung braucht Zeit. Die aber fehlt bei vielen Betrieben. Die großen Agrarkonzerne müssen Rendite für die Anleger produzieren, bei vielen kleinen Bauern fehlt der finanzielle Puffer. Felgentreu nickt. Der Klimawandel ist Realität. Der Bewusstseinswandel eine Randerscheinung. Dabei wäre gerade jetzt bäuerliches Knowhow gefragt.
"Wenn der Landwirt sich als Lebensleistung vornimmt in seinen 40, 50 Berufsjahren den Humusgehalt um 1 oder 1,5 Prozent zu steigern, dann ist das machbar, weil wir wissen heute, wie die Systeme funktionieren. Dann sollte man das angehen. Dann ist man auch auf die Zukunft auch auf solchen Böden vorbereitet, dann sollte auch die Leistungsfähigkeit der Böden erhalten bleiben, selbst wenn der Klimawandel weitergeht, wie wir ihn jetzt erlebt haben."
"Das große Problem, dem wir ausgesetzt sind: Es geht erschreckend rasch. Das Lernen hat im Ackerbau, in der Ernährungs- und Anbaukultur man hat man immer lernen können, dadurch, dass es langsamer gekommen ist, man hat immer Zeit dafür gehabt."
"Man hat ein bisschen den Eindruck, dass wir dieses Mal sehr, sehr wenig Zeit haben, die Anpassungsstrategien müssen sehr rasch erfolgen. Man kann sich auch vor dem weltweiten Hintergrund der Ernährungssicherheit keine großen Fehler leisten."