Ohne Risiken und Nebenwirkungen

Von Lutz Reidt |
Die Brausetablette lässt pochenden Kopfschmerz verschwinden, die Pille schützt vor ungewollter Schwangerschaft und die Salbe hilft gegen quälende Rheumaleiden - Medikamente lindern, heilen und verlängern unser Leben. Doch ein Großteil davon bleibt nicht im Körper, sondern wird von den Nieren abgefangen und ausgeschieden. So landen unzählige Arzneimittelwirkstoffe in der Toilette statt in der Körperzelle.
Und da die Reinigungsmechanismen von Kläranlagen nicht auf Hormone, Antibiotika und Schmerzmittel eingestellt sind, fließt der Pharma-Cocktail weitgehend ungehindert in Bäche, Flüsse und Seen - zum Schaden von Fischen und Kleinlebewesen. Eine Lösung des Problems könnten neue Reinigungsverfahren in den Kläranlagen sein, die gegenwärtig in einem vielversprechenden Pilotprojekt im hessischen Gießen getestet werden.

Kristallklares Wasser plätschert aus einem schwarzen Plastikschlauch auf den Asphalt. Es ist frisch gereinigtes Abwasser, das aus einem blau lackierten, gut zwei Meter hohen Tank strömt, der auf dem Gelände der Kläranlage im hessischen Gießen steht.

Innerhalb dieses Reaktors sickert das Abwasser durch Kassetten mit hauchdünnen Membranen, die aussehen wie weiße Plastikfolien mit winzigen, unsichtbaren Poren. Vor allem Arzneimittelwirkstoffe will Professor Markus Röhricht von der Fachhochschule Gießen-Friedberg damit herausfiltern:

"Bei der Nanofiltration hat man schon so ganz kleine, feine Poren in der Membran drin. Mit der Nanofiltration können wir alle Stoffe entfernen, die größer sind als die Pore der Membran; Carbamazepin wird noch sehr schlecht zurück gehalten, da haben wir nur 30 Prozent; und Ibuprofen, ein Schmerzmittel, können wir bis zu 70 Prozent zurückhalten."

Das Antiepileptikum Carbamazepin und das Schmerzmittel Ibuprofen sind zwei von mehr als hundert Medikamenten, die im Körper der Patienten nur unvollständig oder gar nicht abgebaut werden. So landen sie über Toilettenspülung und Abwasser dort, wo sie eigentlich nicht hingehören: Und zwar im Wasser von Bächen, Seen und Flüssen. Dazu zählen Röntgenkontrastmittel, Betablocker und Antibiotika; Blutfettregulatoren, Rheumaschmerzmittel und Hormone aus Verhütungsmitteln

Einige Medikamente haben die Analytiker sogar schon in der Nordsee nachgewiesen, darunter den Blutfettabsenker Clofibrinsäure und das Schmerzmittel Ibuprofen. Laborchef Rolf-Alexander Düring von der Universität Gießen kann sogar noch den Milliardsten Teil einer Substanz im Wasser finden:

"Nanogramm pro Liter entspricht so etwa dem Zuckerwürfel im Bodensee, den finden wir noch! Also, wenn der sich fein verteilt, dann finden wir den noch finden mit den Methoden; es sind ja immer nur Nanogramm, über die wir sprechen; beim Ethinyl-Estradiol-Wirkstoff der Pille, da sind das zwei, drei, vier Nanogramm pro Liter, also unterster Nanogramm-Bereich; beim Carbamazepin ist es deutlich mehr, da bewegen wir uns in den Gewässern - je nach Zu- oder Ablauf der Kläranlage - vielleicht bei 500 Nanogramm pro Liter."

Diese äußerst geringen Konzentrationen mögen vordergründig betrachtet beruhigend sein. Doch haben die Analytiker bereits einige Substanzen im Trinkwasser nachgewiesen. So etwa Röntgenkontrastmittel und Blutfettregulatoren.

Um dies von vornherein zu verhindern, wäre es wichtig, die Medikamentenreste spätestens in der Kläranlage aus dem Abwasser zu entfernen - so etwa durch die Kombinationswirkung von ultraviolettem Licht und dem aggressiven Reizgas Ozon:

"Wir haben eben eine besondere UV-Anlage, die sich selber Ozon herstellt und dieses Ozon wird eingeblasen, so dass wir eine Kombination aus UV-Strahlen und Ozon haben; und dabei werden sogenannte Radikale gebildet, die eben sehr, sehr aggressiv sind und eben alle organischen Moleküle angreifen. Wir hoffen, dass die eben auch speziell auf die Medikamente gehen und dass wir dadurch eben diese Medikamente abbauen können."

Um den Medikamenten-Cocktail im Abwasser vollständig zu eliminieren, ließen sich beide Verfahren auch miteinander kombinieren. Jene Stoffe, die an den Membranfolien nicht hängen bleiben, könnten dann von den UV-Strahlen zerstört werden. Für den Wirkstoff der Anti-Baby-Pille zum Beispiel wäre spätestens in der UV-Anlage Endstation, sagt Laborchef Rolf-Alexander Düring:

"Diese Substanz, die haben wir dem UV-Versuch unterzogen und da haben wir eine sehr zügige Elimination festgestellt. Also, das war ein sehr schönes Ergebnis, dass wir hier also binnen weniger Minuten praktisch einen totalen Verlust der Ethinyl-Estradiol-Konzentration gesehen haben. Wir sehen aber auch, dass das Diclofenac als populäres Schmerzmittel - jeder hat´s wahrscheinlich schon genommen - sich unter UV-Bestrahlung gut abbauen lässt."

Noch ist das Projekt nicht abgeschlossen. Doch die Gießener Forscher sind zuversichtlich, das Problem der Medikamentenbelastung im Abwasser lösen zu können. Membranfiltration und UV-Strahlen plus Ozon könnten im Verbund eine weitere Reinigungsstufe in der Kläranlage bilden.

Was das zusätzlich kosten würde, lässt sich noch nicht genau beziffern. Doch ein Abwasser ohne Medikamente - und damit auch ohne Risiken und Nebenwirkungen - wird es zum Nulltarif nicht geben können.