Ohne Suhrkamp geht die Welt nicht unter

Von Eberhard Straub |
Der Suhrkamp Verlag ist gefährdet – nicht, weil ihm der Erfolg fehlt, sondern weil die Gesellschafter miteinander streiten. Einigen sie sich nicht, könnte der Verlag sogar aufgelöst werden. Viele Autoren zeigen sich entsetzt, Eberhard Straub sieht einem möglichen Ende dagegen gelassen entgegen.
"Serengeti darf nicht sterben". Das forderte 1955, als Siegfried Unseld noch gar nicht beim Suhrkamp-Verlag war, ein Dokumentarfilm von Bernhard und Michael Grzimek zur Rettung des Nationalparks von Tansania, der von allerlei Machenschaften bedroht war. Ununterbrochen appellieren jetzt in diesem Sinne Kulturbetriebsräte, die den Suhrkamp-Verlag wie einen deutschen Nationalpark verstehen wollen.

Mit mächtig raunenden Grabesstimmen bangen sie um ein privates Unternehmen, das gar nicht ungewöhnliche Schwierigkeiten unter Geschäftspartnern erlebt. Sie erheben diesen keineswegs gemeinnützigen Vertreiber von Drucksachen aller Art zur nationalen Institution als Repräsentanten des Geistes der Bundesrepublik. Deshalb dürfen die Geschicke dieses Hauses keinem gleichgültig bleiben.

Das ist eine dreiste Zumutung für jeden, der nicht Suhrkamps Kritikerabende während der Buchmesse in Frankfurt besucht. Dort umarmen sich die Geistigen und Geschäftigen, selig, einander so wunderbar zu ergänzen. Ein Verlag hat es mit Geld und Geschäft zu tun. Davon wird nur ganz verschämt im Zusammenhang mit Suhrkamp geredet.

Siegfried Unseld war ein brillanter Geschäftsmann, wie früher Samuel Fischer oder der Ahnherr aller deutscher Verleger, Johann Friedrich von Cotta, den er mit einer Biographie monumentalisierte. Der Geist braucht Liebe und Luft, aber davon allein kann er nicht leben. Wovon soll sonst der Schornstein rauchen? Auch bei Goethe oder Peter Handke.

Der Suhrkamp-Verlag gehört seit den fünfziger Jahren zu den achtbaren Verlagen neben anderen. Er besaß nie ein Monopol, und es gibt bedeutende Schriftsteller oder Wissenschaftler, die nie etwas mit diesem Repräsentanten des spiritualisierten Bundesrepublikanismus zu tun hatten. Im Nachhinein wird eine Suhrkamp-Kultur als goldene Legende erfunden, die es nie gegeben hat.

Mit ihr wird ganz bewusst die alte Bundesrepublik verzaubert, der erst Enzensberger und Habermas mit ihren dichtenden und denkenden Suhrkampianern einigen Glanz verschafft hätten. Diese Bundesrepublik als goldenes oder auch nur goldiges Zeitalter der Aufklärung, der Mitmenschlichkeit, der Lebensreform und der Dialogbereitschaft darf nicht untergehen. Der Suhrkamp-Verlag soll dessen Symbol sein.

Die BRD mag nicht vergehen. Sie kommt sich als Sieger vor. Aber seit 1990 gibt es ein anderes Deutschland. Die ehemalige DDR musste sich von heute auf morgen verändern. Die alte BRD hütet ihr Erbe, wie Wagners Fafner, der über seinen Schätzen schlief und sie auf diese beruhigende Art besaß. Die BRD verweigert sich einem neuen Deutschland. Deshalb kommt sie aus dem beunruhigten Staunen nicht heraus, wie weiland Honecker.

Was soll die Beschwörung der bunten Suhrkamp-Broschüren, die vor vierzig Jahren die Billy-Regale westdeutscher Sinnsucher füllten und zumindest optisch interessant machten? Wer möchte denn noch an seinen Suhrkrampf erinnert werden? Vergessen, überwunden!

Enzensberger, ein Hansdampf in allen Gassen wie hundert Jahre früher Gustav Freytag, ist der Welt, der Gegenwart in der vereinigten BRD-DDR so vollständig entrückt, dass längst seine früheren westdeutsch-kritischen Beiträge im Gedächtnisloch verschwunden sind. Für die BRD waren Quelle und Neckermann bedeutungsvoller, lebensnaher und wertvoller als Suhrkamp. Es gibt mittlerweile ein Leben ohne beide. Neues blüht aus den Ruinen.

Ein Leben ohne Suhrkamp - oder ganz anders aufgeputzt - ist keine schreckliche Drohung. Die Regenbogenfarben der einst kritischen Intelligenz – welche Tautologie! - verweisen längst auf Friedenssehnsucht unter den Geschmerzten dieser Erde oder auf schwulen Frohsinn rund um den Globus. Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei - und auf manchen Dezember folgt wieder ein Mai, ob mit oder ohne Suhrkamp nach all dem Tandaradei.

Eberhard Straub, geboren 1940, studierte Geschichte, Kunstgeschichte und Archäologie. Der habilitierte Historiker war bis 1986 Feuilletonredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und bis 1997 Pressereferent des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Heute lebt er als freier Journalist in Berlin. Buchveröffentlichungen u.a. "Die Wittelsbacher", "Drei letzte Kaiser", sowie "Das zerbrechliche Glück. Liebe und Ehe im Wandel der Zeit" und "Zur Tyrannei der Werte".
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