Hilfsangebote für Menschen mit Depressionen, Suizidgefährdete und ihre Angehörigen:
Wenn Sie sich in einer scheinbar ausweglosen Situation befinden oder das auf einen Ihrer Angehörigen zutrifft, zögern Sie nicht, Hilfe anzunehmen bzw. anzubieten. Hilfe bietet unter anderem die Telefonseelsorge in Deutschland unter 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 (gebührenfrei) und im Internet unter telefonseelsorge.de.
"Ich war dem Tod nahe"
Erst nach einem selbstverschuldeten Autounfall, bei dem sein Hund fast ums Leben kam, konnte Sam Swinson sich von den Drogen lösen. Als Frontmann der Band Ohtis singt er über seine Zeit der Sucht, religiöse Indoktrination und die Macht der Musik.
Martin Böttcher: Ihr Album hat ein großes Thema, nämlich Ihre Zeit als Drogenkonsument. Sie singen vom Schlafen unter einer Brücke, immer wieder vom Alkohol – auch von einer Nadel, die in Ihrem Körper steckt. Was war das für eine Phase in Ihrem Leben, was war passiert?
Sam Swinson: Das war eine harte Zeit. Ich war dem Tod nahe, hatte keine Hoffnung mehr. Einige Jahre dauerte das an. Ich dachte, dass es mir nie wieder besser gehen würde, dass ich eh nicht damit würde aufhören können.
Das Glück erkennen
Böttcher: Wie sind Sie da hineingeraten beziehungsweise wie sind Sie da wieder herausgekommen?
Swinson: Ich glaube, ich hatte mich einfach daran gewöhnt. Mir gefiel, für einen Moment der Realität entfliehen zu können. Vielleicht war ich auch schon immer ein bisschen verrückt. Es hat mich nicht gestört, in die Szene abzurutschen. Die Drogenszene ist eine Art Gegenkultur – für Leute, die dem Mainstream entfliehen wollen. Aber dieses Leben ist gefährlich, alles andere als nachhaltig. Im Gegenteil: Nach einer Weile war ich suizidal.
Der Höhepunkt war erreicht, als mein Hund bei einem Autounfall beinahe ums Leben gekommen wäre. Ich saß am Steuer, betrunken. Bei dem Unfall landete das Auto auf dem Dach. Mich hat man mit dem Hubschrauber weggebracht, obwohl es mir eigentlich gut ging. Aber ich tat so, als sei ich verletzt, weil ich nicht wollte, dass man mir unangenehme Fragen stellt.
Mein Hund jedenfalls wurde direkt nach dem Unfall von einem Auto gerammt und ins Tierheim gebracht. Ein paar Tage später konnte ich ihn abholen. Als ich ihn wieder hatte, saßen wir zwei an einem Truck Stop. Ich sah ihn an und hatte verstanden, wie viel Glück ich hatte, dass es ihm gut ging. Er war damals alles, was ich hatte. Die einzige Form von Zuneigung, die mit damals zuteilwurde, kam von ihm.
Als ich ihn so ansah, wurde mir bewusst, wie schön es einfach ist, am Leben zu sein. Ein einfacher Gedanke, aber so hatte ich das vorher noch nie gesehen. Die Dankbarkeit, die ich damals spürte, hat mich schließlich dazu gebracht, Hilfe zu suchen.
"Ich war durchdrungen von Schuldgefühlen"
Böttcher: Mit der Sucht, wenn man von einer Sucht sprechen kann, da gehen ja auch Selbstachtung und Selbstwertgefühl verloren. Sie erzählen von Lügen, davon, dass Sie Menschen enttäuscht haben.
Swinson: Ja. Ich war durchdrungen von Schuldgefühlen, ausgelöst durch meine religiöse Erziehung. Die Schuld war mein täglicher Begleiter. In der Kirche, die ich als Kind besucht habe, hieß es: "Es reicht nicht, einfach nur ein guter Mensch zu sein. Du musst Dein Leben voll und ganz der Kirche widmen." Ich dachte, ich hatte mich nicht genug angestrengt.
Böttcher: Was war das denn für eine Kirche?
Swinson: Eine Art Evangelikale Kirche. Die nehmen die Bibel beim Wort. Fundamentalisten. Das sind im Grunde gute Leute, von denen ich auch etwas habe lernen können. Aber ich habe die Lehre in meinem Kopf irgendwie verdreht. Für mich war es unmöglich, dem Ideal zu entsprechen, ich war verwirrt, drogenabhängig, und habe Dinge getan, die ich bei klarem Verstand nicht getan hätte. Und weil die Schuld ohnehin so tief in mir verankert war, dachte ich mir später, als es um die Drogen ging: Was macht das schon noch?
Böttcher: Wie sieht das heute bei Ihnen aus, sind Sie ein gläubiger Mensch?
Swinson: Ich glaube daran, dass man ein guter Mensch sein kann, ironischerweise. Ich glaube, es geht im Leben darum, gut zu sein. Gott ist Liebe … Ich weiß nicht. Wer weiß das schon.
Vergangenheit nicht ausblenden
Böttcher: Auch in der Musik, da finden ja Menschen manchmal Halt und Hoffnung. Etwas, das andere aus der Religion ziehen. Wie ist das bei Ihnen? War die Musik auch Teil Ihrer Therapie?
Swinson: Die Musik war immer Ausdruck meiner Gefühle und in dieser Hinsicht auch eine Art Therapie. Als ich an meinem Tiefpunkt angelangt war, ohne Hoffnung und suizidal, habe ich einen Song geschrieben, und mir ging es gleich besser. Viele Songs auf dem Album sind so entstanden. Ich war am Ende und habe darüber gesungen. Aber ich war ehrlich. Und ich glaube, das war wichtig. Und auch, als es mir wieder besser ging, habe ich darüber gesungen. Es fühlt sich gut an, diese Lieder zu singen.
Böttcher: Wie geht es Ihnen denn nun damit, diese Songs zu performen? Sich im Grunde also auch immer wieder die Erinnerung an diese dunkle Periode in Ihrem Leben zu vergegenwärtigen. Ist das immer noch so eine befreiende Wirkung, die da bei Ihnen einsetzt?
Swinson: Manchmal, wenn ich die Songs singe, habe ich das Gefühl, immer noch diese Person von früher zu sein. Und es ist wichtig, sich daran zu erinnern. Besser jedenfalls, als die Vergangenheit zu verdrängen. In solchen Momenten können mich die Songs noch traurig machen. Manchmal macht es mir aber auch viel Spaß. Es gibt immer wieder Themen, über die man angeblich nicht spricht. Aber das sehe ich nicht so. Ehrlichkeit ist wichtig. Wir sollten auch über Tabu-Themen sprechen.
Böttcher: Sie singen von sehr düsteren Themen, aber Ihre Musik an sich ist gar nicht düster. Wie kommt dieser Gegensatz zustande?
Swinson: Ich weiß nicht. So schreibe ich die Songs einfach. Früher habe ich Country und Gospel-Musik gespielt, in der Kirche, und da gab es kaum Moll-Akkorde. Bei mir gibt es schon Moll-Akkorde. Aber ja, meine Songs klingen erst mal fröhlich. Zusammen mit den düsteren Texten führt das dann zu diesem krassen Kontrast, den Sie angesprochen haben.
Im Studio singt Sam Swinson den Song "Runnin" vom Ohtis-Album "Curve Of Earth" live.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.