Bier, Promille und Vergewaltigungen
Die Statistik ist erschreckend: Auf jeden Oktoberfest-Tag kommt eine Anzeige wegen Vergewaltigung. Ein Schutzraum für Mädchen und Frauen soll Schutz vor sexuellen Übergriffen bieten.
Gläserne Flügeltüren schirmen die Reizüberflutung ab, der Oktoberfesttrubel verklingt. Eine Plastikrose klebt trostlos in der Aufzugkabine. Untergeschoss. Auf dem anthrazitgrauen Fliesenboden verhallen die Schritte von Kristina Gottlöber.
"Der Weg ist ein bisschen geheim, weil das natürlich ein Schutzraum sein soll für Mädchen und Frauen, die hierher kommen. Deswegen sagen wir immer nur: 'Es ist im Untergeschoss vom Servicezentrum'. Und wir verraten nicht, wo wir abbiegen, wo das hier unten ist. Das ist ja sehr verschachtelt hier, und nicht ganz einfach zu finden."
Die Tür fällt ins Schloss. Stille. Grüne Zimmerpflanzen schmeicheln dem Auge, blaue Polstersessel verbreiten einen wohligen Wohnzimmer-Charme auf nur etwa 20 Quadratmetern.
"Wir merken jetzt ja auch gerade: Der Raum ist sehr ruhig. Selbst wenn da draußen der Wahnsinn tobt und wir haben die Fenster offen, ist das hier immer noch relativ entspannt und leise. Man kann hier erst mal zur Ruhe kommen."
Die Ruhe nach dem Sturm, Sicherheit und Geborgenheit - von Bier will hier niemand etwas wissen, nicht mehr. In den nächsten zwei Wochen ist dieser Raum Zufluchtsort für notleidende Frauen aus aller Welt.
"Wir haben Frauen, die erstmal hier her kommen und sagen, sie haben ihre Freunde verloren, was dann auch oft der Fall ist. Und im Laufe des Gesprächs stellt sich heraus, während sie die Freunde gesucht haben, ist ihnen etwas zugestoßen auf dem Oktoberfest. Viele Frauen sind natürlich dann sehr aufgelöst, klar."
"Sichere Wiesn für Mädchen und Frauen" nennt sich diese Anlaufstelle. Fünf Sozialpädagoginnen und ein Team von fast 50 Ehrenamtlichen betreuten mit dieser Aktion im letzten Jahr 156 Frauen - verloren und verwirrt, traumatisiert. Fast auf jeden Oktoberfest-Tag kommt eine angezeigte Vergewaltigung:
"Und das sind auch nur die Vergewaltigungen, die auf dem Gelände statt finden. Man muss dazu wissen, dass im Bereich der Sexualdelikte die Zahl der Anzeigen wahnsinnig gering ist, weil die Scham oft wahnsinnig hoch ist. Und hier auf dem Oktoberfest ist es oft doppelt so hoch, weil man feiert, man hat ein kurzes Dirndl an, man flirtet vielleicht auch. Und irgendwann geht es einem dann zu weit und vielleicht akzeptiert dann derjenige kein 'Nein' mehr und viele Frauen machen sich dann selber Vorwürfe, sie seien selber Schuld. Was natürlich nicht stimmt: schuld ist immer der Täter. Die Frau hat jederzeit die Möglichkeit zu sagen: 'Jetzt reicht es mir, ich mag nicht mehr.'"
Manche Frauen suchen hier dann auch nur ein paar Stunden Erholung. Manchen reicht es, ihr Handy aufzuladen. Und viele sind ganz einfach nur überfordert mit den extremen Menschenmassen auf dem Oktoberfest. Sie wollen zur Ruhe kommen, sich wieder finden - an einem Rückzugsort mit ganz elementaren Dingen.
Es riecht wie in einer Apotheke
"Wir haben, wenn man reinkommt, erst mal zwei große Tische an denen unsere Mitarbeiterinnen sitzen. Dann haben wir hier einen relativ großen Schrank mit Süßigkeiten, Nüssen, Getränken, Lebensmitteln - auch Zigaretten, für Frauen, die selber rauchen und keine Zigaretten mehr haben, für das dann oftmals wichtig ist, eine Zigarette zu rauchen in einer aufgeregten Situation. Dann haben wir natürlich auch Hygieneartikel für Frauen, die sich übergeben müssen."
- "Wo ist das?"
- "Das ist hier versteckt, da oben, da ist es: Da haben wir Handschuhe, auch zu unserer Sicherheit, da haben wir Brechschalen, Kotztüten, die wichtigsten Medikamente: Bachblüten, Aspirin, Pflaster, Tampons."
- "Das ist hier versteckt, da oben, da ist es: Da haben wir Handschuhe, auch zu unserer Sicherheit, da haben wir Brechschalen, Kotztüten, die wichtigsten Medikamente: Bachblüten, Aspirin, Pflaster, Tampons."
Aus dem Schrank riecht es wie in einer Apotheke. Und einen Schrank weiter sind die Lebensmittel.
"Bei vielen Frauen ist es so, dass die dann trinken, trinken, trinken - im Zelt ist alles wahnsinnig teuer, da bestellt man sich eben nicht das halbe Hendl, weil es sehr viel kostet, und die dann unheimlich unterzuckert hier ankommen und sie dann ein Stückchen Schokolade essen, dann ist es oft schon wieder ein bisschen besser geworden."
"Das ist auch oft ganz wichtig, dass wir mit den Frauen 'raus gehen, hinters Haus, da kann man dann noch mal durchatmen, da kann man dann auch mal eine Zigarette rauchen, ein bisschen frische Luft schnappen und einfach mal durch schnaufen."
- "Wollen wir da auch kurz hin gehen?"
- "Ja, gerne."
- "Ja, gerne."
Der Regen prasselt auf die Schirme. An den Fahrgeschäfte blinken die Lichter. Rot, Gelb, Blau. In bunten Dirndl schlendern manche Frauen gedankenverloren über das Oktoberfest. Glitzer und Tracht, mit Glamour durch die Nacht. Erschreckend nur, die Naivität vieler junger Mädchen:
"Ich fühle mich sicher. Ich vertraue den Menschen, dass sie mir nichts tun."
"Ich weiß wo meine Grenzen sind mit dem Alkohol. Ich meine, ich bin schon gut beieinander, aber ich weiß wirklich wo meine Grenzen sind."
"Wenn man es nicht gerade provoziert und alleine als Mädchen durch die Gegend läuft, dann ist es schon eine sehr sichere Wiesn."
"Ich weiß wo meine Grenzen sind mit dem Alkohol. Ich meine, ich bin schon gut beieinander, aber ich weiß wirklich wo meine Grenzen sind."
"Wenn man es nicht gerade provoziert und alleine als Mädchen durch die Gegend läuft, dann ist es schon eine sehr sichere Wiesn."