Oktoberfestattentat vor 40 Jahren

Die Aufklärung der politischen Verantwortung steht aus

06:05 Minuten
Ein Sarg wird nach dem Bombenanschlag auf dem Münchener Oktoberfest am 26.09.1980 vom verwüsteten Tatort weggetragen. Die Bombe befand sich vermutlich in dem Papierkorb an einem Verkehrsschild rechts im Hintergrund.
Oktoberfestattentat vor 40 Jahren: Erst im Juli 2020 erklärte die Bundesanwaltschaft, dass die Tat rechtsextrem motiviert war. © picture alliance / dpa / Frank Leonhardt
Von Philipp Schnee |
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Am 26. September 1980 explodiert auf dem Münchner Oktoberfest eine Bombe. Zwölf Menschen und der Attentäter sterben. Die Polizei identifiziert schnell den Täter, doch bis heute bleiben Fragen offen. Es gab zu viele Ungereimtheiten bei den Ermittlungen.
"Um Viertel nach zwölf fährt ein kleiner Lieferwagen in das Gelände des Haupteingangs. Er bringt drei neue Zifferblätter für die Uhr. Jetzt mahnt außer den Blumen nichts mehr daran, was gestern geschah. Die Wiesn muss weitergehen."
Keine 24 Stunden nach dem schweren Anschlag herrscht am Tatort Normalzustand. Das Fest geht weiter. Und das, obwohl schon morgens feststeht: Gundolf Köhler, der Täter, ist ein Rechtsextremist, mit Verbindungen zur Wehrsportgruppe Hoffmann. Ausgerechnet zu dieser Gruppierung bayerischer Rechtsextremer, die erst im Februar 1980 vom Bundesinnenminister verboten worden war.

War Köhler wirklich Einzeltäter?

Und: Obwohl es laut Zeugenaussagen durchaus Mittäter gegeben haben könnte, konzentrieren die Ermittler sich bald nur noch auf Gundolf Köhler als Einzeltäter. Sein Motiv: Probleme mit Mädchen, an der Uni, soziale Isolation. Scheinbar eine unpolitische Tat.
"So steht es im Abschlussbericht Mai 81", sagt Werner Dietrich. "Das ist natürlich für die Ermittlungsbehörden auch das Bequemste. Und das ist auch für die politische Spitze, die da sicherlich mitgemischt hat, das Einfachste."
Werner Dietrich ist der Anwalt von einigen Überlebenden des Anschlags. Er kämpft seit fast 40 Jahren um Aufklärung und ist damit längst selbst Teil der Geschichte des Oktoberfestattentates.

"So muss man ermitteln wollen!"

Wie auch Ulrich Chaussy. Der BR-Journalist recherchiert seit Jahrzehnten die Hintergründe:
"Ich habe wirklich die Welt nicht mehr verstanden, als ich angefangen habe, mich dem Gundolf Köhler, der Familie, dem Freundeskreis anzunähern. Wenn einer sozial vollkommen isoliert ist, verstehe ich nicht so recht, wie der einen Ferienjob macht und Geld verdient, sich dann ein Interrail-Ticket kauft und durch Europa reist und diverse Freunde besucht. Wenn einer keine Sozialkontakte hat, dann gibt er keine Anzeige auf, er hat ja Schlagzeug gespielt, um eine neue Band zu finden, die ja auch dann gefunden hat, mit der in der Woche zweimal geübt hatte. Und von daher muss man sagen: Das ist einfach Schrott! So kann man nicht ermitteln, so muss man ermitteln wollen!"
Chaussy hat auch Hinweise, dass ein hoher bayerischer Staatschutzbeamter den Namen des Täters trotz einer verhängten Nachrichtensperre an die Presse weitergab. So waren mögliche Mittäter gewarnt, bevor die Polizei Durchsuchungen und Befragungen durchführen konnte:
"In der gesamten Szene rundum Gundolf Köhler war die Polizei also zwischen einem Tag und über einer Woche nach diesen Journalisten. Man kann sich ausrechnen, was es für die Ermittlungen bedeutet."

Neue Ermittlungen – mit einem neuen Ergebnis

Viele Ungereimtheiten also: Immerhin, 2014 erwirkte Werner Dietrich im Namen der Opfer des Anschlags, dass die Bundesanwaltschaft neu ermittelt. Und im Juli 2020 erklärte die Bundesanwaltschaft schließlich: Die Tat war rechtsextrem motiviert. Gundolf Köhler wollte die Bundestagswahl beeinflussen. Hinweise auf Mittäter hat sie aber keine gefunden.
Werner Dietrich lobt diese Ermittlungen ausdrücklich: Gründlich und ergebnisoffen sei der Fall untersucht worden, anders als vor 40 Jahren. Nach so langer Zeit sei eben nicht mehr alles juristisch sauber nachweisbar. Und: Auch viele der Verschwörungsmythen, zu einem Geheimdienstkomplott etwa, rund um das Oktoberfestattentat seien ausgeräumt worden.
Aber er ist weiterhin überzeugt: "Er war nicht Alleintäter. Ich denke, es würde sich heute noch lohnen, das Umfeld noch mal genauer unter die Lupe zu nehmen. Weil, da könnte man fündig werden."
Und Ulrich Chaussy? In wurmt nach wie vor, dass die fehlerhaften Ermittlungen in den 80er-Jahren noch nicht aufgearbeitet sind:
"Die Ermittlungen sind so katastrophal schlecht geführt worden und manipulativ. Und das, was geschehen ist, ist auf der Ebene von Pannen nicht mehr erklärbar. Und das muss untersucht werden."

Ungereimtheiten mit politischer Brisanz

Politisch brisant ist, worauf Werner Dietrich hinweist. Er konnte als Anwalt der Überlebenden bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe Akten der deutschen Geheimdienste einsehen, Verschlusssachen, mehr als 300.000 Seiten.
Details darf er nicht nennen. Aber sein Urteil ist klar. Die wussten alles über die rechtsextreme Szene jener Jahre:
"Und die Frage, die sich ergibt, ist natürlich: Haben diese ganzen Geheimdienste ihr Material unter den Teppich gekehrt als Verschlusssachen, das auf der unteren Sachbearbeiterebene oder auf dem Amtsleiterkorridor liegen blieb. Oder wurde das in irgendeiner Form weitergegeben an die politische Spitze. Und die hat dann gesagt, das lassen wir mal ruhen, weil organisierten Rechtsradikalismus in diesem großen Ausmaß soll es und darf es in Deutschland nicht geben", sagt Dietrich.
"Ich denke, es war nicht so, dass es auf einerniederschwelligen Ebene in den Verfassungsschutzämtern unisono nach Absprache liegen geblieben ist. Das halte ich für unrealistisch. Ich denke, es gab in der Bundesrepublik in den 60er-, 70er-Jahren bis in die 80er-Jahre trotz SPD-FDP-Regierung, den Konsens, es darf Linksterrorismus geben, das wird auch nicht geleugnet. Aber organisierten Rechtsradikalismus und in dieser Breite und mit dieser auf Waffenaffinität und mit dieser Gefährlichkeit, wenn wir das Aufdecken, das gibt Unruhe unseren Verbündeten."
Die Herausforderung für Historikerinnen und Historiker wird also zukünftig sein: die Aufklärung der politischen Verantwortung.
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