Kommentar zu Olaf Scholz

Der ausdruckslose Kanzler

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Ein Mann läuft mit einer Aktentasche eine Treppe entlang.
Die Mimik von Olaf Scholz, insbesondere wenn er nicht selber spreche, drücke oft eine süffisante Überlegenheit aus, mein Simon Strauß. © picture alliance / dpa / Michael Kappeler
Ein Kommentar von Simon Strauß · 08.05.2023
Trotz aller Kritik - Angela Merkel hatte Persönlichkeit, meint Simon Strauß. Ihr Nachfolger Olaf Scholz wirke dagegen wie ein streberhafter Geschäftsführer. Dies läge nicht an fehlendem Charisma, sondern an einem Mangel tiefer historischer Prägung.
Bei der Leipziger Buchmesse war unlängst Angela Merkel zu Gast. Die deutsche Bundeskanzlerin a.D. saß auf der Bühne des Leipziger Schauspiels und sprach mit einer bestimmten Bescheidenheit über ihr Leben, ihre Kanzlerschaft und die offenen Fragen, die sie hinterlassen hat. Merkel schreibt gerade an ihren Memoiren und versucht, für sich selbst Klarheit zu bekommen über das, was sie erlebt und entschieden hat.

Angela Merkel hatte Persönlichkeit

Schon nach wenigen Minuten drehte sich das Gespräch um die für sie prägenden historischen Ereignisse: den Unrechtsstaat der DDR, die Deutsche Einheit, das Einfinden in die westlich dominierte Bundesrepublik. Das Gefühl im Raum war: Die Erfahrungen eines deutsch-deutschen Lebens bilden die Grundlage für ein starkes, stoisches Auftreten.
Die Geschichte hat hier ein Bewusstsein geprägt. Das Dagegen- und das Durchhalten bedingen einander. Man hat Merkel mit Blick auf ihre Politik zu Recht manches vorgeworfen. Aber an ihrer Persönlichkeit, ihrer Integrität und ihrem Format hatte man selten einen Zweifel.
Bei ihrem Nachfolger ist es genau umgekehrt. Die Politik, die Olaf Scholz macht, scheint einigermaßen in Ordnung. Sein Auftreten ist es irgendwie nicht. Das fängt an mit der schnippischen, mitunter arroganten Art und Weise, mit der er auf Fragen von Journalisten oder Parlamentsabgeordneten antwortet. Oft vermittelt er das Gefühl, als wäre die öffentliche Rede für ihn etwas, zu dem er sich herablassen muss.

Wie ein streberhafter Geschäftsführer

Seine Mimik, insbesondere wenn Scholz nicht selber spricht, sondern noch zuhören muss, drückt oft eine süffisante Überlegenheit aus. Es ist, als schaute man da in das Gesicht eines Mannes, der viel mehr weiß als seine Zuhörerschaft, der aber hochmütig darauf verzichtet, sie an seinem Herrschaftswissen teilhaben zu lassen.
Die Lippen sind fest zusammengepresst, so als würden sie nur das absolut Nötigste herauslassen wollen. Ein unterkühlter Ausdruck von Verschlossenheit umgibt den Kanzler, wo immer er spricht, Staatsgäste begrüßt oder in eine Menschenmenge winkt.
Oft wirkt er wie ein streberhafter Geschäftsführer, der nur widerwillig hinter seinem penibel sortierten Schreibtisch hervorgeholt wurde, um seiner Belegschaft noch ein paar Worte zu sagen. Außer dem einen – „Zeitenwende“ – sind uns von ihnen bisher ja auch nicht besonders viele in Erinnerung geblieben. Und auch bei der Frage, für welche Entscheidung Olaf Scholz eigentlich steht, was er leidenschaftlich durchgekämpft, wo er ein Machtwort gesprochen hat, herrscht bei den Eingeweihten Ratlosigkeit.
Nicht nur die Koalitionspartner, sondern auch viele Bürgerinnen und Bürger haben das stärker werdende Gefühl, es bei Scholz mit einer Verwaltungsinstanz zu tun zu haben. Einem Beamtentypus, der schon früh mit der Funktionsweise eines Automaten assoziiert wurde, weil er nur das Nötigste mitteilte und sich ansonsten hinter komplizierte Fachbegriffe und die Komplexität der Sachlage zurückzog.

Kanzler ohne historische Prägung

Und damit sind wir beim bisher entscheidenden Manko dieses Kanzlers: Er hat nichts, womit er heraussticht. Nichts, was er vertritt. Nichts, woher er kommt. Kohl war geprägt vom Ende des Zweiten Weltkrieg, Schröder von 68 und Merkel eben vom Umbruch des Mauerfalls. Olaf Scholz aber ist der erste deutsche Bundeskanzler ohne tiefere historische Prägung.
Nicht sein fehlendes Charisma ist das Problem, sondern seine Erfahrungslosigkeit, die er mit einem technokratischen Auftreten nur mühsam verdeckt. Mit Blick auf die politischen Werte-Rivalen weltweit ist ein solch funktionsbasierter Politikbegriff durchaus riskant. 
Scholz, der Gemäßigte, der Unscheinbare. Man könnte auch sagen: der Ausdruckslose. Sein Markenzeichen ist das persilweiße, falten- und fleckenlose Hemd. Dass er am selben Tag Geburtstag hat, wie der weltberühmte Revolutionär Che Guevara kann man kaum glauben.

Simon Strauß, geboren 1988 in Berlin, studierte Altertumswissenschaften und Geschichte in Basel, Poitiers und Cambridge. Er ist Mitorganisator des „Jungen Salons“ in Berlin. Seit Oktober 2016 ist er Redakteur im Feuilleton der FAZ. 2017 veröffentlichte er sein erzählerisches Debüt „Sieben Nächte“. Seit 2018 gehört er zum Vorstand des Vereins Arbeit an Europa e. V., im Januar 2023 erscheint sein neues Buch „zu zweit“.

Ein Mann im Anzug: der Journalist Simon Strauß
© Julia Zimmermann
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