Olafur Eliasson: Jeder ist ein VIP

Von Carsten Probst |
Unter dem Titel "Das Experiment als Lebensform. Wie Kreativität Wirklichkeit herstellt" sprach Olafur Eliasson bei den "Berliner Lektionen". Seiner Meinung nach kann nicht nur jeder künstlerisch tätig, sondern auch eine Very Important Person sein.
Zu den klassischen Theaterrollen, die der Kunstbetrieb zu vergeben hat, um auch ein an Kunst sonst vielleicht gar nicht besonders interessiertes Publikum zu gewinnen, zählt die des Malerfürsten. Eine andere ist die des großen Pädagogen, des Volkserziehers. Diese scheint Olafur Eliasson auf den Leib geschneidert zu sein. Wohin er auch kommt, umgibt ihn die Andacht freudigen Schauens und Lauschens.

Was er zu verkünden hat, mag vielen nicht neu erscheinen, doch es öffnet ihnen die Augen für Dinge, die sie bisher nicht verstanden, zum Beispiel für den praktischen Sinn von Kunst. Im Gegensatz zum anachronistischen Malerfürsten, der sich bekanntlich alles erlauben kann und sogar wie der Papst gegen den Zeitgeist sein darf, ist das Anforderungsprofil für den großen Pädagogen ein völlig anderes. Er muss seine Zeit verkörpern, er muss menschlich sein und kleine Schwächen zeigen, er muss die Fragen seines Publikums kennen und vor allem, er muss die Welt erklären können, nicht von oben herab, sondern allgemeinverständlich.

Eliasson ist humorvoll und geduldig, er ist demokratisch und gewaltfrei, er ist positiv und optimistisch und vor allem kreativ, ohne eigenbrötlerisch zu sein. Kurzum, er ist ein Künstler, wie ihn sich jeder Staat nur wünschen kann. Jeder, jeder darf bei ihm mitmachen.

Eliasson: "Ich hab ja mich lange dafür eingesetzt, dass das Atelier im Prinzip auch ein Museum sein kann. Oder das Museum wäre eigentlich besser, würden Künstler im Museum arbeiten. Die Schule wär besser, würde man in der Schule ausstellen. Die Schule wär besser, wär das Künstleratelier dort oder wäre das Atelier im Museum. Im Großen und Ganzen glaube ich, ist die Zeit schon seit einigen Jahren so, dass sich das lohnen könnte, diese Sachen eben institutionellerweise neu zu durchdenken."

Überschneidungen mit der aktuellen Bildungsdebatte im Wissenschaftsjahr sind vermutlich zufällig, aber auch nicht zu leugnen. Jeder, der Kinder hat, wird erkennen, dass dieser Künstler aus dem hohen Norden, wo die PISA-starken Schüler herkommen, eine reformpädagogische Vision hat:

"Die Schule ist auch eine gesellschaftliche Teilnahme, Bildung ist nicht außerhalb der Welt oder der Gesellschaft, das ist schon auch noch in der Welt drin und produziert die Welt mit. Und daher lohnt es sich, die Schule quasi fast auf der Straße zu machen."

Der Berliner Senat lässt sich die Zusammenarbeit des Künstlers mit der Universität der Künste in diesem Bereich inzwischen einiges kosten. Das seit einigen Jahren geplagte schlechte Gewissen der Stadt, dass sie gerade ihre berühmten Künstler nicht angemessen würdigt, mag dabei eine Rolle spielen. Eliassons Name wurde dabei immer wieder genannt. Doch Eliasson ist auch mehr als ein guter Pädagoge und zugleich erfolgreicher Künstler. Er ist ein ausgezeichneter Repräsentant gegen Politikverdrossenheit. Er zeigt, dass politisches Handeln Spaß machen kann. Und das in der Kunst ... So beschäftigt ihn auch die Frage:

"Wie schaffen wir einen tatsächlichen, öffentlichen, einigermaßen freien Raum, diesen nicht-normativen Raum, wo man quasi nicht den Unterschied als eine Verfremdung oder eine Gefahr sieht?"

Mit anderen Worten: Wie kann Kunst dazu beitragen, dass wir Respekt haben, um eines der Codewörter der derzeitigen Sozialdebatte aufzugreifen. Wie kann Kunst zu Demokratie, Toleranz, Freiheit, Naturverbundenheit, Friedfertigkeit führen? Es ist das Vokabelheft des guten Handelns, das Eliasson aus dem Effeff beherrscht. Er ist zudem ein vorbildlicher Arbeitgeber, was in Zeiten der Finanzkrise auch einmal besonders angemerkt gehört.

In seinem Atelier, das seine künstlerischen Wohltaten mittlerweile in alle Welt exportiert, beschäftigt Eliasson inzwischen rund 50 Personen. Die meisten sind seit vielen Jahren dabei. Ohne sie wäre sein weltweites Netz an Aktivitäten und Ausstellungen auch nicht zu bewältigen. Wo Eliasson auch hinkommt, ist Veränderung, ist Gemeinschaft, ist ein Hauch von "Change", den ein Obama immer nur versprochen hat. Für ein Großprojekt ließ Eliasson 2008 auf Einladung der Stadt New York vier künstliche Wasserfälle in Manhattan installieren.

"Speziell daran war, dass es eine Zusammenarbeit war mit der Stadt New York, mit dem Bürgermeister, was am Anfang von der Diskussion sehr stark auf Tourismus und Branding der Stadt, könnte man sagen, gesprochen hat. Und ich hab dann natürlich einerseits Angst gekriegt, aber ich hatte mir dann vorgenommen, mit ihm so lange darüber zu sprechen, (...) dass der immerhin eine Sensibilisierung angenommen hat, wo der auch ein wenig an Kunst als Kunst geglaubt hat."

Wenn schon New Yorks Bürgermeister Bloomberg anfängt, an die Kunst zu glauben, dann ist zweifellos einiges getan. Gleichwohl blieb am heutigen Sonntagvormittag der Redner Eliasson doch manches schuldig. Dass er in seiner Kunst mit physikalischen Phänomenen umgeht und sehr stimmungsvolle Lichtarbeiten herstellt, ist inzwischen wohlbekannt. Dass er damit einen kollektiven, demokratischen, freiheitlichen öffentlichen Raum erzeugen möchte, ehrt ihn, aber es klingt zugleich ein wenig so, wie wenn ein großes skandinavisches Möbelhaus seine zahlreichen Kunden unablässig duzt.

Eliasson duzt sein zahlreiches Publikum auch. Er hat sie mit seiner "Berliner Lektion" eigentlich alle nur einladen wollen zu seiner großen Berliner Ausstellung im April. Er breitet die Arme aus und sagt, es gebe keine Eröffnung für die VIPs, sondern die VIPs, das seien die Menschen, die hier wohnen. Man glaubt es ihm: Langer, sehr langer, sehr warmherziger Applaus.

Links zum Thema:
Olafur Eliasson bei den "Berliner Lektionen"
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