Olga Grjasnowa: "Gott ist nicht schüchtern"
Aufbau Verlag, Berlin 2017
307 Seiten, 22 Euro
Ein schmerzliches Buch über den Syrien-Krieg
Olga Grjasnowa erzählt in "Gott ist nicht schüchtern" von drei jungen Menschen, die der Gewalt des Syrien-Krieges entkommen wollen und schließlich als Flüchtlinge in Berlin enden. An diesem großen, schmerzlichen Buch ist so gut wie nichts erfunden, ein Roman ist es jedoch nicht.
Von Aristoteles stammt der Satz, dass man außerhalb der Polis nur als Gott – oder als Tier – leben könne. Eben das: wie Tiere zu leben – und dies nicht einmal sagen zu dürfen – haben die Menschen in Syrien satt, als dort im Februar 2011 der Arabische Frühling anbricht.
Das gilt auch für Amal, Youssef und Hammoudi, Olga Grjasnowas Protagonisten in ihrem Roman "Gott ist nicht schüchtern", der in Damaskus 2011 seinen Ausgang nimmt. Alle drei sind Mitte, Ende zwanzig. Alle drei werden in den Strudel der Ereignisse gerissen – und finden sich am Ende des Romans als Flüchtlinge in Berlin wieder, aller Träume von einem besseren Leben beraubt.
Das Buch beginnt in Damaskus im Jahr 2011
"Gott ist nicht schüchtern" wagt, so viel sei vorweg gesagt, einen großen Bogen. Er erzählt von der menschlichen Katastrophe in Syrien und davon, dass und wie dieser Krieg auch uns im Westen angeht. Noch aber scheinen 2011 Reformen möglich – wenn auch schon bald die Angst um sich greift. Amal – sie ist Schauspielerin – gerät ins Visier der Geheimdienste. Youssef – ein angehender Regisseur – wird bei einer Demonstration von Soldaten getreten und verprügelt. Hammoudi wiederum lebt eigentlich in Paris und kehrt in jenen Tagen nur zurück, um seinen Pass zu erneuern, doch der wird einbehalten, Hammoudi somit zum Verbleib im Land gezwungen.
Ihre Wege kreuzen sich, während Grjasnowa Schritt für Schritt nacherzählt, wie aus friedlichem Protest ein Bürgerkrieg wird und aus Demonstranten Kämpfer werden, die das Handwerk des Tötens zwangsweise erlernen. Hammoudi gründet ein illegales Lazarett und dokumentiert heimlich die Machenschaften des Regimes: nicht zuletzt Folter und Massenerschießungen. Sein Bruder Naji schließt sich der Freien Syrischen Armee an, paktiert dann mit dem IS, in der Hoffnung, Assad – jenen Gott, der nicht schüchtern ist – zu besiegen.
Erniedrigung, Demütigung, rohe Gewalt
Viele Szenen sind schwer zu ertragen – sie handeln von Erniedrigung, Demütigung, roher Gewalt. Schließlich fliehen sie: Amal und Youssef über das Mittelmeer in die Türkei, Hammoudi nimmt die Route nach Griechenland. Ihre Reise endet in Berlin – wo sie Teil jener Rasse werden, welche die Welt – so Grjasnowa – neu erfunden hat: "Flüchtlinge" einerseits, "Muslime" andererseits. Beiden begegnet man mit gutgemeinter Herablassung. Amal endet in einer Fernseh-Show mit dem sprechenden Titel "Mein Flüchtling kocht."
Alles ist also drin in diesem Roman: die Massaker in Daa’ra und Deir az-Zour 2011, aber auch jenes in Hama 1982. Fiese Schlepper, marode Boote, die Ignoranz des Westens, ein fremdenfeindlicher Übergriff auf eine Flüchtlingsunterkunft. Alles in diesem Roman geht einen an, in jedem Sinn des Wortes. Fast nichts darin ist erfunden. Und eben das wird dem Roman stellenweise zum Verhängnis: Man spürt das Bedürfnis der Autorin, Fakten zu vermitteln, ein genaues Bild dieser furchtbaren Katastrophe wiederzugeben.
Doch wird aus vielen Fakten ein überzeugender Roman? Und so stellt sich am Ende die Frage: Wie können wir – da man ja muss – von den schrecklichen Verwerfungen unserer Gegenwart erzählen? "Gott ist nicht schüchtern" ist deshalb beides zugleich: ein großes und ein schmerzliches Buch. Seine Lektüre möchte und darf man nicht missen. Und doch vermisst man den Roman, der auch daraus hätte werden können.