Olga Grjasnowa: "Gott ist nicht schüchtern"

Vom Irrsinn und von Grenzen

Olga Grjasnowa zu Gast beim "Bücherfrühling" von Deutschlandradio Kultur
Olga Grjasnowa zu Gast beim "Bücherfrühling" von Deutschlandradio Kultur © Deutschlandradio / Stefan Fischer
Moderation: Jörg Plath |
Für wen gilt Reisefreiheit, für wen nicht? Wer hat die Macht, Grenzen unüberwindbar zu machen? Das ergründet Olga Grjasnowa in dem Roman "Gott ist nicht schüchtern", der fliehenden Syrern auf dem Weg nach Europa folgt. Sie glaubt: "Wir wissen nie, welche Verzweiflung dahinter steckt."
"Gott ist nicht schüchtern" ist ein Roman über Flüchtlinge aus Syrien und über die Gründe ihrer Flucht. Olga Grjasnowa erzählt von einer Schauspielerin und einem Arzt, die in den Bürgerkrieg und in die Hände von Assad treu ergebenen Schergen geraten. Sie können unter Lebensgefahr fliehen. Grjasnowa, 1984 im aserbaidschanischen Baku geboren und mit vielen Weltgegenden vertraut, schenkt ihren Hauptfiguren eine Begegnung am Ende des Buches, nicht zuvor. Zurückhaltend, karg, nüchtern schildert sie Demonstrationen, Inhaftierungen und Belagerungen ganzer Stadtteile, den Irrsinn in einem klandestinen Krankenhaus, lässt an Hoffnungen, Ängsten und einem Mut teilhaben, der von Verzweiflung kaum zu unterscheiden ist.
In den Medien würden immer nur einzelne Ausschnitte oder dieselben Motive vom Krieg in Syrien und von den Geflüchteten gezeigt, sagte Grjasnowa:
"Ich dachte eigentlich, dass ich durch die Zeitungen sehr viel weiß, aber als ich mit der Recherche angefangen habe und vor allem nach Izmir und Lesbos oder auch nur in den Libanon gereist bin, habe ich festgestellt, daß ich überhaupt nichts weiß. Und was wir auch nie wirklich wissen, ist eigentlich, wie groß diese Fluchtbewegung tatsächlich ist oder war, mittlerweile gibt es ja kaum noch … und was es mit den Menschen macht, welche Verzweiflung dahinter steckt. Und dass es tatsächlich nicht nur Nummern sind, sondern einzelne Schicksale."

Ein Stück Papier macht den Unterschied

In Istanbul habe sie viele bettelnde Kinder auf den Straßen erlebt, dies seien fast immer syrische Kinder gewesen.
"Was ich auch sehr bedrückend fand: Das Einzige, was meine Tochter von diesen Kindern unterscheidet, ist einfach nur ein Stück Papier, das ist der deutsche Pass. (…) Das ist erschreckend, auch diese Willkür, dass es jedem zustoßen kann. Dass man wirklich nicht weiß, ob man nicht selber in zehn oder 20 Jahren um Asyl bitten muss oder fliehen."
Das Buch hat drei Karten, eine von Syrien, eine für den Nahen Osten, aber auch Russland und Mitteleuropa – und eine für den Sternenhimmel:
"Es geht ja immer vom Kleineren ins Größere. Die meisten Grenzen sind vollkommen willkürlich gezogen worden. Das ist etwas, worum es in meinem Buch geht: Die Bedeutung der Grenzen für den Einzelnen und die vermeintliche Reisefreiheit, die wir im Westen genießen, aber auch nur wir! Für wen gilt sie und für wen gilt sie nicht? Und weshalb? Dann sehnt man sich immer nach einem Ort, wo es die Grenzen nicht mehr gibt oder zumindest, wo sie viel einfacher zu überwinden sind. Das meint natürlich die Sternenkarte."
Als Vertreterin der "Migrationsliteratur" will Olga Grjasnowa nicht wahrgenommen werden:
"Ich finde den Begriff Migrationsliteratur extrem paternalistisch und vollkommen unpassend. Das ist ja etwas, was eigentlich stilistisch, inhaltlich und sonst nichts aussagt. Das Einzige, woran es immer festgemacht wird, ist das biografische Detail."

Olga Grjasnowa: Gott ist nicht schüchtern
Aufbau, 309 Seiten, 22 Euro

Mehr zum Thema