Siemens-Musikpreis für Olga Neuwirth

Pionierin und Feministin

10:02 Minuten
Olga Neuwirth, eine Frau mit lockigen, aus der Stirn nach oben gekämmten Haaren, schaut in die Kamera. Der Hintergrund ist unscharf. Sie trägt ein blauses T-Shirt und eine dunkelgraue Kapuzenjacke.
Olga Neuwirth gesteht, sie haben kurz vorm Aufgeben gestanden. "Es war wirklich eine bleierne Zeit", sagt sie über ihre frühen Jahre in der Musikbranche. Heute ist die 53-Jährige ein Star. © Rui Camilo
Olga Neuwirth im Gespräch mit Mascha Drost · 08.03.2022
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Der Ernst-von-Siemens-Musikpreis 2022 geht an die Komponistin Olga Neuwirth. Sie ist künstlerisch ebenso Vorreiterin wie bei der Emanzipation: "Das größte Problem ist das Durchhalten", sagt sie über ihren Erfolg in der männerdominierten Musikwelt.
Die Ernst-von-Siemens-Musikstiftung ehrt die österreichische Komponistin Olga Neuwirth für ihr Lebenswerk: Sie zeichnet damit "eine Künstlerin aus, die mit ihrer Musik radikal neue Wege einschlägt, die der zeitgenössischen Musik ein neues Gesicht verleiht, die sich aber auch einmischt, Stellung bezieht und sich nicht scheut, Missstände anzusprechen", wie es in der Pressemitteilung heißt.
Sie selbst würde sich allerdings nicht als radikale Künstlerin bezeichnen, sagt Neuwirth: Zum einen, weil sie sich nicht selbst Attribute zuweisen wolle – „das kann ich nicht leiden“, zum anderen sagt sie: „Radikal ist auch vielleicht etwas negativ gemeint, da bin ich mir nicht ganz sicher.“
Womöglich spricht da die Erfahrung langer emanzipatorischer Kämpfe: „Diese unangepasste Frau ist radikal, hat im Kontext mit einer Frau irgendwie auch einen negativen Touch“, sagt die 53-Jährige. Sie hoffe aber, dass es in der Begründung für die Auszeichnung doch positiv gemeint sei.

Vorreiterin in der Kunst und im Leben

Olga Neuwirth ist die erste Frau, die einen Kompositionsauftrag von der Staatsoper Wien bekommen hat. Ihre Klangsprache sei schonungslos offen gegenüber anderen Kunstformen wie Film, bildender Kunst oder Literatur, begründet die Ernst-von-Siemens-Musikstiftung die Auszeichnung der Künstlerin.
„Ich habe am Beginn nicht gewusst, ob ich Film oder Malerei studieren sollte“, sagt die gefeierte Komponistin heute. „Ich war sozusagen ein synästhetischer Typ, von Anbeginn an, und es war schwer, mich zu entscheiden.“
Heute wird Neuwirth als Pionierin gesehen mit ihrem Ansatz der Verschmelzung von Klängen, von Bildern, von ganz unterschiedlichen Techniken wie analog und digital. Früher wurde ihr dies als Frau angelastet, wie sie selbst schildert: etwa als sie 1989 ein Stück geschrieben habe, bei dem der Cellist in einem Raum sitzt und der Schlagzeuger in einem anderen – ein Duo mit medialer Kommunikation.
„Damals hat der Leiter des Festivals gemeint, ich würde das machen, weil ich mein Nichtkönnen des Kompositionshandwerkes verstecken möchte“, erzählt Neuwirth. „Dass das reine Absicht war, konnte man sich anscheinend nicht vorstellen.“

Bleierne Zeit in einer männerdominierten Welt

Ihre Karriere hatte viel mit dem Überwinden von Grenzen und Widerständen zu tun. „Ich glaube, das können sich viele junge Komponistinnen nicht vorstellen. Das war wirklich eine bleierne Zeit, ein von Männern dominiertes Feld“, erinnert sich Neuwirth.
Als ob Frauen nicht selber denken könnten und keine eigenen Ideen hätten, sei es gewesen – "besonders auch, wenn man mit Elektronik gearbeitet hat“. Es sei einfach unangenehm gewesen. "Man hat etwas gesagt, und es wurde schon verneint." Als Frau sei sie überhaupt nicht ernst genommen worden, sie sei behandelt worden, als hätte sie kein Hirn.
Sie habe sich wahrscheinlich behaupten können, indem sie den Blick geweitet habe: „Ich glaube, weil ich mir meine Vorbilder nicht in die Musikwelt geholt habe, sondern in anderen Branchen – wie die österreichische Schriftstellerin Elfriede Jelinek oder die bildende und Videokünstlerin Valie Export oder bei Betty Smith, also bei anderen Idolfiguren, die in meiner Musikwelt nicht wirklich vorgekommen sind.“ Es sei unangenehm gewesen, habe viel Kraft gebraucht und und mache über die Jahrzehnte auch müde.

Den Mund aufmachen gegen Widerstände

„Das größte Problem ist das Durchhalten“, sagt die Komponistin über ihre Branche, die Musik. In den 2000er-Jahren haben sie auch an Kapitulation gedacht, gesteht Neuwirth. „Aber dann muss man sich besinnen: Warum hat man begonnen?“
Bei ihr sei das Leiden bis zur Krankheit gegangen und bis zur Selbstausbeutung, letztlich habe sie aber irgendwie wieder zu sich gefunden: „Da habe ich gedacht: Ich mache jetzt einfach weiter, was ich will, wer ich bin, und wenn es ihnen nicht passt, dass ich etwas sage und eigene Gedanken habe, dann ist es nicht mein Problem.“

"Keine Kunst ist unpolitisch"

Bei einer Demonstration vor rund 20 Jahren gegen die österreichische Partei FPÖ hat Neuwirth einmal gesagt, mit Kunst könne man nichts ändern, aber mit Kunst könne man Erstarrtes aufzeigen und den desolaten Zustand von Gesellschaft und Politik sichtbar machen.
„Ich glaube, dass keine Kunst unpolitisch ist“, sagt sie heute. Ihr sei immer wichtig gewesen, wirklich etwas zu sagen, „gerade als Frau“, betont Neuwirth. „In dieser männerdominierten Welt ist das Schweigen der Maßstab gewesen. Als Künstlerin in dieser Branche etwas sagen zu dürfen – und es auch zu tun –, war eine absolute Grenzüberschreitung.“
Auch wenn sie sich mitunter ohnmächtig fühle, heute etwa angesichts des russischen Kriegs in der Ukraine, will sie etwas sagen: „Man kann eigentlich nichts tun. Das Einzige, was ich tun kann, ist, solidarisch zu sein und nicht zu schweigen. Und das ist schon etwas, auch wenn das natürlich ein Leid nicht lindert.“
Im Moment könne sie sich nicht zu etwas motivieren und auch nicht konzentrieren. Auch weil es sinnlos wirke, Kunst zu machen: „Sinnlos, arrogant, anmaßend. Es ist mir fast unangenehm, dass ich diesen Preis bekomme, obwohl es für ein Lebenswerk ist. Aber es zeigt, dass man mit Kunst eigentlich nur auf etwas hinweisen kann. Mehr kann man nicht.“

Grenzen der Kunst

Die Hoffnung, es ist Krieg, und keiner geht hin, sei leider nicht die Realität. „Wir können nur etwas sagen und immer sagen und noch einmal sagen – aber mehr können wir leider nicht tun."
In einem Moment des realen Leides und der realen Aggression und Zerstörung fühle sich das an wie ein lächerlicher Akt und auch die Motivation leide: „Warum soll ich Noten schreiben?", fragt Neuwirth sich. „Andere Menschen haben ganz andere Probleme.“
(mfu)

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