"Kein wirklicher Mut zur Wahrheit"
Oliver Frljićs drastische Inszenierungen wirken auf viele verstörend. Jetzt geht der erklärte Feind kroatischer Nationalisten in "GOЯKI – Alternative für Deutschland?" am Berliner Maxim Gorki Theater der Frage nach, was Theater in Zeiten rechtsextremer Hetze leisten kann.
Es gebe durchaus interessante Ausgangspunkte an diesem Abend, sagt Kritiker Peter Claus zur Premiere des Stücks "GOЯKI – Alternative für Deutschland?" im Maxim Gorki Theater des Regisseurs Oliver Frljić. Etwa, wenn der in Frankreich geborene Schauspieler Falilou Seck sagt, er wolle sich nicht mehr dafür rechtfertigen müssen, auf einer deutschen Bühne zu stehen. Oder wenn die Frage nach einem umgekehrten Rassismus gestellt werde: Der in Sachsen geborene Till Wonka stöhne etwa, er sei ja nur der Quoten-Ossi.
Vorwürfe an das Publikum, die nicht treffen
Aber leider entwickele sich nichts daraus. Es bleibe bei einer Melange von Szenen, die manchmal ineinander überglitten, manchmal auch hart kontrastierten, es bleibe bei Statements. "Dem Publikum wird etwas vorgeworfen, aber ich werde weder so richtig schön provoziert, noch werde ich emotional wirklich gepackt", so Claus.
Es gebe aber einen Moment, an dem dies gelinge: Da hielten zwei Schauspielerinnen hintereinander Monologe und enthüllten Seelenpein und miserable Lebenserfahrungen. Das Publikum werde aufgefordert, jeweils Beifall zu klatschen, der dann angeblich gemessen würde. Die Schauspielerin, die mehr Beifall bekäme, dürfe dann angeblich am Theater bleiben, während die andere gefeuert würde.
"Und es ist Unglaubliches passiert", so Claus, "Es gab tatsächlich Zuschauerinnen und Zuschauer, die geklatscht haben, ich habe mich umgesehen, ich war fassungslos, viele, die um mich herumsaßen, ebenso. Auf der Bühne ging es aber einfach weiter, man hat das nicht zum Anlass genommen, mit dem Publikum wirklich in einen Dialog zu treten und nachzufragen: Sagt Mal, habt ihr eigentlich nachgedacht was wir hier eigentlich mit euch machen und wozu ihr euch verführen lasst?"
Zusammengehörigkeitsgefühl und wenig künstlerische Kraft
Dieses Mal habe es aber keinerlei Störungen von Identitären gegeben. Dies war am Maxim Gorki früher schon vorgekommen. Das Publikum und die Schauspieler schienen fast wie ein Familie vereint zu sein. Man habe sich gegenseitig belacht und beklatscht. Genau dies habe dem Abend sehr viel an künstlerischer Kraft genommen, urteilt Claus.
Ganz zum Schluss gebe es dann einen Einfall, den er als wirklichen theatralischen Einfall werten möchte, so Claus. Da werde einem Kind die Frage gestellt ob es für Deutschland sterben würde. Das Kind antworte mit einem simplen: "Warum?"
Diese Szene löse wahre Gedankenfluten in seinem Kopf aus, so Claus, Fluten, die es vorher nicht gegeben habe, obwohl es subversive und raffinierte Textcollagen gegeben habe, wie zum Beispiel wenn AfD-Texte mit Goebbels-Texten gemischt würden und man nicht mehr auseinanderhalten kann, welcher Text wo zu verorten sei.
Der Abend tappt in die Falle der Selbtsbezogenheit
Aber das Motto "Mut zur Wahrheit", das auf der Bühne zu sehen war, sei nicht eingelöst worden.
"Wenn dieser Abend wirklich Mut zur Wahrheit hätte, dann würde er sich weniger mit den Befindlichkeiten der Künstlerinnen und Künstler befassen, als mit der Realität, mit denen, die in den Wärmestuben sitzen, mit denen, die Flaschen sammeln müssen, mit denen, die kein Geld haben um sich eine Theaterkarte zu kaufen."
Aus dieser Falle der Selbstbezogenheit, sei dieser Abend leider nicht rausgekommen, so Claus abschließend.