Olivier Tallec: "Nur ein kleines bisschen"
Übersetzt von Ina Kronenberger
Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2021
36 Seiten, 13 Euro
Wäre da nicht die Gier
05:10 Minuten
Wer immer nur nimmt, der macht alles kaputt. In seinem neuen Kinderbuch hält Olivier Tallec uns den Spiegel vor. Das ist schmerzhaft und trotzdem ein super Buch.
Die kritische Schwelle der Erderwärmung könnte schon 2030 gerissen werden, warnt der Weltklimarat. Wir Menschen haben es nicht geschafft, unseren Konsum so zu begrenzen, dass wir nicht immer mehr CO2 produzieren.
Einer der Gründe: Wir wollen einfach immer ein kleines bisschen mehr von allem. "Nur ein kleines bisschen" heißt das neue Kinderbuch von Olivier Tallec und es liest sich fast wie eine kleine Parabel über uns gierige Menschen.
Das Eichhörnchen, von dem der Franzose erzählt, lebt auf seinem Baum. Der ist superempfindlich, heißt es im Buch, "man muss gut auf ihn aufpassen", wie auf einen Freund.
Darum spricht das Eichhörnchen mit ihm, leise und lieb, es streichelt den Baum. Der schenkt dem Eichhörnchen dafür einen seiner leckeren Zapfen. Soweit so gut.
Man muss auf den Baum aufpassen
Wäre da nicht die Gier des kleinen Nagers: Denn obwohl er weiß, dass man nicht alle Zapfen futtern darf, weil man auf den Baum aufpassen muss, nimmt er sich immer mehr. Natürlich nach strengen eigenen Berechnungen. Bis zum Schluss keiner mehr da ist. Dafür aber die Nadel, auch die liebt das Eichhörnchen.
Immer weniger bleibt vom Baum, denn trotz aller lieben Worte, aller Bedenken und Berechnungen, bedient sich das Eichhörnchen weiter. Immer auf den eigenen Vorteil bedacht, immer auf die eigenen Bedürfnisse schauend. Bis der Freund verloren ist und es dem Eichhörnchen plötzlich selbst ans Leder geht.
Mit feinem Witz erzählt
All das wird so lieblich erzählt, mit so feinem Witz, dass einem die Moral der Geschichte erst langsam bewusst wird. Tallec ist damit wieder einmal ein großartiges Buch gelungen. Auch wegen seiner Weitschicht, im Kleinen das Große zu entdecken.
Denn so wie das Eichhörnchen zerstören auch wir Menschen mit dem Wissen um unser Tun die Umwelt – mit den jetzt schon sichtbaren Folgen. Damit es vielleicht noch eine Umkehr, eine Verbesserung geben kann, müssen wir endlich aufhören, selbstverliebt die Natur auszubeuten.
Damit das passiert, braucht es Einsicht. Somit setzt der Franzose mit seinem Bilderbuch genau richtig an, bei den ganz Kleinen.
Schon die Kleinen verstehen
Die werden es verstehen. Das liegt neben dem klugen Text auch an den sehr eingängigen Zeichnungen. Die eigentlich immer nur das Eichhörnchen und anfangs zumindest nur Teile des Baums zeigen: mal in Großaufnahme, dann in mehreren kleineren Zeichnungen nebeneinander.
Der rostrote Nager ist dabei mit seinem auffälligen großen, weißen Auge und seinem struppigen Schwanz stets im Profil zu sehen. Immer mit verschmitzt lustigem Gesichtsausdruck.
Vor blassrosafarbenem Hintergrund wirkt das Zusammenspiel von Tier und Baum anfangs noch sehr harmonisch. Mal hier ein Zapfen, dort eine Nadelspitze. Zumindest bis zur Mitte des Buches.
Dann erst sieht man den entnadelten Baum und ahnt, welchen Verlauf die Geschichte tatsächlich nimmt. Denn schon bald beginnt das Eichhörnchen damit, erste kleine Zweige für ein Feuerchen zu nutzen.
Dieses Bilderbuch tut weh
So tut dieses Bilderbuch ein kleines bisschen weh. Hält uns doch der Autor gekonnt einen Spiegel vor, in dem er uns zeigt: Nicht schöne Worte, sondern einzig unsere Taten zeigen, wer wir wirklich sind.
Das gilt übrigens nicht nur für den Umgang mit der Umwelt. Insofern hat Olivier Tallec hier ein wirkliches Superbuch gemacht. Eins das nachwirkt.