"Der Meisterreporter – Sigmar Seelenbrecht wird 81"
am 15. Juni 2017 um 23:40 im Ersten
Zärtliche Hommage an Reporterlegenden
In seiner neuesten TV-Persiflage spielt Olli Dittrich den fiktiven Meisterreporter Sigmar Seelenbrecht. Dittrich versteht seine Parodie als liebevolle Hommage an den Fernsehjournalismus und die "Haudegen, die dieses Genre mitgeprägt haben".
Timo Grampes: Olli Dittrich ist natürlich Dittsche, klar. Olli Dittrich ist aber auch viele andere, spätestens seit "RTL Samstag Nacht" in den 90ern. Da gab er ja unter anderem ziemlich unnachahmlich den Franz Beckenbauer.
Seit 2013 ist Dittrich in zahlreichen weiteren Rollen zu erleben gewesen, in einer Reihe von Persiflagen, die deutsche TV-Genres auf die Schippe nimmt: vom "Frühstücksfernsehen", in dem Dittrich den Moderator spielt, über die Talkshow, in der er gleich alle Gäste spielt, bis zur Doku, in der er einen Franz-Beckenbauer-Doppelgänger gibt.
Den inzwischen siebten Teil dieser Persiflagenreihe gibt es morgen im Ersten zu sehen. Da spielt Dittrich einen Meisterreporter, der 81 wird. Tag, Herr Dittrich!
Olli Dittrich: Guten Tag, Herr Grampes!
Liebevolle Hommage an den Journalismus
Grampes: Sigmar Seelenbrecht heißt dieser recht grimmig dreinschauende alte Mann, den – so heißt es in der Sendungsbeschreibung – spektakuläre Enthüllungen zur Legende gemacht haben und der anlässlich der Sondersendung zu seinem 81. Geburtstag auf sein bewegtes Reporterleben zurückblickt. Was ist das für ein Leben, Herr Dittrich? Wem wird da gehuldigt?
Dittrich: Ach, natürlich erst mal dem Genre Journalismus im Allgemeinen, Film und TV oder Fernsehjournalismus im Besonderen, und den, ich sage jetzt mal etwas liebevoll salopp: den Haudegen, die dieses Genre mitgeprägt haben, das ist ja eine ganz besondere Ära, muss man sagen, die Leute wie Scholl-Latour oder wie Peter von Zahn oder Gerd Ruge oder Lothar Loewe, könnte man noch beliebig erweitern diese Reihe.
Diese Leute, die haben ja das Metier mit aufgebaut. Das waren Pioniere des Journalismus, die unter ganz abenteuerlichen Bedingungen zum Teil ihren Job ausgeübt haben, und das ist eine wunderbare Vorlage für die Parodie, weil sie eben uns auch die Möglichkeit gibt, mit Archivmaterial zu arbeiten und in die Historie einzusteigen, also auch in die filmische Historie nicht nur der tatsächlichen Chroniken, sondern auch der Entwicklung des Fernsehens und der filmischen Aufbereitung und Dokumentation.
Das war das Reizvolle daran, und die Möglichkeit, dass ich die Chance habe, ihn einmal als wirklich alten Mann zu spielen, der den roten Faden eigentlich bildet in seinem Interview, wo er erzählt, und dann eben auch in noch weiteren fünf Altersstufen, also bis runter in die 60er-Jahre, und das zu verweben mit echtem Material und echten Szenen, die es gab, und somit eben auch Ereignisse zu verändern posthum.
Kindliche Faszination für die weite Welt des Journalismus
Grampes: Nun hat dieser alte Mann, den Sie spielen, Ungereimtheiten rund um die Einführung des Farbfernsehens aufgedeckt. Er deckt da auch den ersten Abgasskandal der Autoindustrie auf oder beschäftigt sich mit Dopinggerüchten. Sie haben es ja mit den Journalisten ganz besonders in Ihren TV-Persiflagen. Die tauchen sehr exponiert auf, auch einzelne Figuren in unterschiedlichen Sendungen, zum Beispiel der Ex-DDR-Reporter namens Sandro Zahlemann. Was ist an Journalisten denn eigentlich interessant?
Dittrich: Na ja, ich bin ja sozusagen damit ein bisschen groß geworden. Mein Vater war Journalist, auch ein politischer Journalist, ist also auch in den frühen 60er- und 70er-Jahren akkreditiert gewesen und mit unseren Bundeskanzlern jeweils um die Welt gereist. Das habe ich als Kind natürlich mitbekommen, gleichwohl ich Inhalte nicht wirklich begriffen habe und auch, ehrlich gesagt, mich auch nie wirklich dafür interessiert habe, aber diese bunte, große, weite Welt, diese Leute unterschiedlicher Provenienzen mit ihren Dialekten, mit ihren nachdenklichen Blicken, schon bei Werner Höfer, das ich also auch aufmerksam verfolgt habe, wenn mein Vater das Sonntags gesehen hat, den internationalen Frühshoppen.
Das alles hat schon in frühester Kindheit, ehrlich gesagt, eine große Faszination auf mich ausgeübt, und lange bevor ich drüber nachgedacht habe, ob ich das später mal, nennen wir es mal: als Beruf ausübe, Leute zu spielen, habe ich die schon nachgeäfft und fand das toll, dass da einer steht mit Mikro in der Hand und der irgendwie gesagt hat, so und so ist das und das, und ich stehe jetzt hier gerade in Kabul auf dem Marktplatz und so weiter, und das sind halt tolle Geschichten und tolle Eindrücke.
Und ich glaube, es geht jedem von uns so, wenn er Material sieht im Fernsehen, in Dokumentationen, historisches Material, Reportagen, Beiträge, irgendwas aus den 60er-Jahren, aus den 70er-Jahren, wenn man dann sieht, ach Mensch, so hat Hamburg damals ausgesehen, so haben die Leute ausgesehen, solche Jacken, Mäntel, Hüte haben die angehabt, und da stand dann einer mit einem Mikro und hat dann unglaublich wichtig und bedeutend und für die Zeit auch absolut relevant bedeutend gefragt und reportiert, und wenn man das heute sieht, ist es unfreiwillig komisch häufig.
Das ist einfach ein wunderbarer Topf, aus dem man sich bedienen kann, um zu parodieren.
Kein Sarkasmus, kein Zynismus
Grampes: Nun ist mein Eindruck als Zuschauer, Sie sezieren durchaus genüsslich und mit feinem Gespür auch für die kleinen Gesten, das Gehabe und die Berechenbarkeit mancher Journalisten und Fernsehformate - tun das aber auch mit einer großen Milde, also ich würde fast schon sagen: Zärtlichkeit. Da ist kein Zynismus, keine Abscheu vor dem Medium Fernsehen für mich erkennbar. Wie würden Sie das denn beschreiben, was Sie tun, welchen Ton wollen Sie treffen?
Dittrich: Ja, genau richtig gesagt. Wozu auch, wozu auch Abscheu und Ekel? Das sind schlechte Berater, wenn es darum geht, die Leute zu unterhalten. Mir macht es viel eher Spaß, das zu zeigen, was zunächst mal jeder von uns sieht, weil in dem Moment, wo er das in der Weise vorgeführt bekommt, dass das, was nicht so wichtig und nicht so relevant und nicht so unfreiwillig komisch ist, weglässt, und das ausstellt, was wir tagtäglich aber als gegeben hinnehmen und sehen und für bare Münze nehmen oder sagen, na ja, das ist jetzt halt so, aber trotzdem komische und entgleiste Dinge passieren und wir das zeigen, geben wir den Leuten die Gelegenheit, drüber zu lachen.
Und über allem steht aber trotzdem, dass ich, wie ich immer so sage, nicht von oben auf alle herabschaue und auch nicht mit Sarkasmus und Zynismus, sondern immer eigentlich von unten nach oben gucke. Das wohnt auch der Figur Dittsche zum Beispiel inne.
Es macht ja keinen Sinn, sich über andere zu erheben und die in die Pfanne zu hauen. Das bringt ja nichts, sondern es geht eher darum, dass natürlich auch die "Schwächen" – in Anführungszeichen –, die auch Sturm-und-Drang-Momente auch in der Reportage eben automatisch herbeiführen, dass die natürlich auch eine große Komik haben können und die Gefahr, dass was danebengeht und dass was scheitert.
Das sind ja spannende Momente auch, und wir haben jetzt hier beim Sigmar Seelenbrecht darüber hinaus uns ja auch die durch die Chroniken gearbeitet, und ich verspreche Ihnen, das war kein leichter Ritt, ein paar Jahrzehnte auseinanderzunehmen und zu gucken, was ist da eigentlich alles so passiert, politisch, gesellschaftlich, im Sportbereich, möglicherweise in der Musik.
Und da Dinge zu finden, die erst mal jedem noch so in Erinnerung sind und sie aber anders weiterzuerzählen, anders auszudeuten oder sogar zu behaupten, es hat sich ganz anders abgespielt, als damals bekannt war, aber die Wahrheit, die nur Sigmar Seelenbrecht herausbekommen hatte, die lagerte aus bestimmten Gründen bis heute im Giftschrank. Das sind halt spannende Sachen, mit denen man arbeiten kann.
Die Lust am Verkleiden steht im Vordergrund
Grampes: Was steht denn für Sie eher im Vordergrund, gerade bei den TV-Persiflagen: der Spaß an Verkleidung und Nachahmung, der Spaß auch daran, sich quasi archetypische Figuren auszudenken, oder satirische Kommentierung von medialen Mechanismen?
Dittrich: Ach Gott, eher das Erstere. Wenn ich jetzt sagen würde …
Grampes: Wenn Sie das letzte schon hören, winken Sie ab.
Dittrich: Nein, ach was. Na ja, gut, dann sage ich immer, ich nehme Antwort A, aber ich tu mich sehr schwer mit dem Begriff Medienkritik. Das geht dann immer gleich in Richtung Kabarett und mit Zeigefinger und was wollen Sie damit eigentlich sagen, und ist das Kollegenschelte, ist das, was weiß ich, ich prangere jetzt hier an, das Internet ist gefährlich oder irgendwie sowas. Das erzählt sich ja sowieso aus sich selbst.
Also wir haben auch dieses ganze Thema Fake News, ohne es wirklich benennen zu müssen, natürlich dort auch integriert, weil Sigmar Seelenbrecht mit einem Film konfrontiert wird, der im Internet herumgeistert. Da geht es um Wladimir Putin und um eine ganz kühne These, die um seine Person herum veröffentlicht wurde in einer Dokumentation aus dem amerikanischen Fernsehen.
Diesen Ausschnitt zeigen wir auch, das ist mit einem amerikanischen Sprecher auch, der das kommentiert, und wir das mit deutschen Untertiteln versehen haben, und Sigmar Seelenbrecht entlarvt diesen Film aber stante pede als Fake News, weil ein Teil dieses dort behaupteten Interviews, was da drin vorkommt unter anderem, hat er im Original geführt, und dann hat er auch das Originalmaterial im Schrank und kann widerlegen, was das erzählt wird.
Grampes: Okay, das heißt, durchaus Kommentierung, aber im Vordergrund dann doch eher Spaß an Verkleidung, Nachahmung.
Dittrich:m Ja.
Man muss die Seele zu fassen kriegen
Grampes: Ich hätte abschließend noch so eine typische Journalistenfrage, Herr Dittrich: Wenn man in so viele Rollen schlüpft, weiß man dann noch, wer man selbst ist, wer ist Olli Dittrich?
Dittrich: Oh, doch, das weiß ich schon. Eine saloppe Frage, aber klar, natürlich, warum sollte ich das nicht wissen. Ich muss es ja in der Hand haben, was ich da tue, aber der Wandlungsprozess, der ist schon sehr speziell. Das wissen auch nur die engsten Mitarbeiterinnen, meine Maskenbildnerin, die dran arbeiten, dass natürlich in dem Moment, wo ich dann nach zwei, drei Stunden – in dem Fall war es beim alten Seelenbrecht drei Stunden Maske – dann aufmache, dann bin ich auch wirklich jemand anderer, und dann laufe ich auch anders, dann esse ich anders, dann trinke ich anders.
Geht ja darum, die Seele zu fassen zu kriegen, und in dem Fall war es besonders schwierig, weil ich den ja, wie gesagt, in sechs Altersstufen auch spiele. Das muss halt jeweils dann auch immer stimmen. Also die Resonanzräume müssen sich verändern, die Stimme muss höher sein, er muss ein anderes Sprechtempo haben, einen anderen Gedankengang unter Umständen, damit das dann auch passt, weil wir es ja auch verschnitten haben mit echtem Material. Das sieht halt wirklich dann so aus, als wenn das damals schon sein Unwesen getrieben hat.
Grampes: Würde Sigmar Seelenbrecht sich mit dieser Antwort zufrieden geben, Herr Dittrich?
Dittrich: Das würde er. Am Ende würde er wahrscheinlich sagen, das ist sowieso alles Quatsch!
Grampes: Olli Dittrich gibt Meisterreporter Sigmar Seelenbrecht. Die TV-Persiflage können Sie morgen um 23.30 Uhr im Ersten sehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.