Olympia 1904 in St. Louis
Eine Gruppe von Blackfeet, die im Rahmen der Weltausstellung, 1904 in St. Louis, in das olympische Programm eingebunden waren. © picture alliance / ZUMAPRESS / Wanamaker
Schaukämpfe im Menschenzoo
05:53 Minuten
Eines der schlimmsten Kapitel Olympias jährt sich zum 120. Mal. Im Rahmenprogramm der Spiele fanden die "Anthropologischen Tage" statt, eine rassistische "Völkerschau". Dort mussten indigene Menschen bei Schaukämpfen ein weißes Publikum unterhalten.
Ein Mann indigener Herkunft steht barfuß auf einem sandigen Feld und schleudert einen Speer. Sein Oberkörper ist frei, seine Hüfte wird von einem Tuch bedeckt. Um ihn herum stehen weiße Männer in dunklen Anzügen. Sie starren den Speerwerfer an. Dieser Schaukampf gehörte im August 1904 zum Rahmenprogramm der Olympischen Spiele in St. Louis.
Es waren die „Anthropologischen Tage“, erzählt der US-amerikanische Autor Jules Boykoff, der sich seit Jahren mit diesem Thema befasst: „Die Gastgeber schufen einen manipulierten Wettkampf. Sie brachten indigene Menschen dazu, an diesem rassistischen Schauspiel teilzunehmen. Sie erklärten ihnen die Regeln nur auf Englisch. Und sie ließen den Teilnehmern keine Zeit zur Vorbereitung. Die Organisatoren wollten beweisen, dass diese vermeintlichen 'Wilden' nicht nur geistig, sondern auch körperlich minderwertig seien gegenüber den Weißen.“
Gemeinsam über die Ziellinie
Die dritten Olympischen Spiele waren 1904 an die Weltausstellung von St. Louis angebunden. Zu jener Zeit waren so genannte „Völkerschauen“ in Nordamerika, Europa und Japan ein fester Teil von solchen Shows, aber auch von Zirkussen, Zoos und Jahrmärkten. In St. Louis wurden angeblich authentische „Eingeborenendörfer“ für 3000 indigene Menschen gebaut. Viele von ihnen wurden von einem „Menschenzoo“ zum nächsten gebracht.
Die Organisatoren der „Anthropologischen Tage“ rekrutierten in diesen Dörfern rund 100 Männer für ihre Schaukämpfe, aus Patagonien, Zentralafrika oder den Philippinen. Die Indigenen nahmen im Kugelstoßen, Laufen oder Weitsprung teil, aber auch, wie es hieß, in „wildnisfreundlichen“ Disziplinen: im Baumklettern oder Bogenschießen.
Etliche Teilnehmer erhielten eine kleine Gage, sagt Jules Boykoff, andere wollten den Regeln der Gastgeber nicht folgen: „Bei einem Laufwettbewerb warteten einige Teilnehmer auf ihre langsameren Kollegen. Es ging ihnen nicht ums Gewinnen, sondern sie wollten gemeinsam ins Ziel zu kommen. Für die Organisatoren war das eine Bestätigung ihrer Vorurteile – für die Rückständigkeit der sogenannten ‚Wilden‘.“
Rechtfertigung für Kolonialismus
Die Organisatoren der Olympischen Spiele arbeiteten mit Anthropologen der Weltausstellung zusammen. Die Forscher ersparten sich Reisen auf andere Kontinente. Sie vermaßen und kategorisierten die Teilnehmer stattdessen vor den Schaukämpfen. Ein gängiges Vorgehen auch bei „Völkerschauen“ in Europa, sagt Tahir Della von der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland:
„Die Bewerbung der ,Völkerschauen‘ zeigt ganz deutlich, welche rassistischen Fantasien und Vorstellungen man hatte, auch vor den Völkerschauen. Damit sollte ja auch geworben werden ganz zentral. Man wollte deutlich machen, dass diese Gesellschaften weitaus weniger entwickelt sind als die europäischen Gesellschaften und deshalb auch kolonialisiert werden sollten.“
In der Hochphase der „Völkerschauen“ zwischen 1875 und 1940 wurden weltweit rund 25.000 Menschen „ausgestellt“. Anfangs wurden viele von ihnen verschleppt. Später halfen Agenten, Tierhändler und Konsulate bei der „Anwerbung“. Die „Völkerschauen“ erreichten ein Millionenpublikum.
Rassistische Bilder wirken nach
Die Kolonialzeit war eng mit der Entwicklung des modernen Sports verknüpft. Funktionäre aus jener Zeit wie IOC-Präsident Pierre de Coubertin oder FIFA-Präsident Jules Rimet wollten Menschen in Afrika und Asien mit Hilfe des Sports „zivilisieren“. Ihre verharmlosenden Reden von „Völkerverständigung“ wirken bis heute nach.
Und das gilt auch für Schaukämpfe wie die „Anthropologischen Tage“ von St. Louis, sagt Tahir Della: „Die Darstellung in den ,Völkerschauen‘ selber sind unter anderem Grundlage für die Vorstellung, die wir heute noch haben. Wenn wir heute Erdkundebücher oder Geschichtsbücher aufschlagen, wo es um den afrikanischen Kontinent geht, da sehen wir immer noch die Darstellung von Hütten, von Wildnis, von vielen Tieren, die dort rumlaufen. Wenige Menschen oftmals in den Darstellungen.“
Die Aufarbeitung steht am Anfang
In den Ländern ehemaliger Kolonialmächte, in Großbritannien, Frankreich oder Portugal, steht die Aufarbeitung von Sklaverei und Ausbeutung erst am Anfang. Auch Sportverbände wie das IOC schauen nicht selbstkritisch zurück. Eine Folge: Mangelndes historisches Wissen in den Gesellschaften.
Bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Paris feierte sich Frankreich gerade als Nation der Vielfalt und Kultur. Mit spektakulären Bilden von historischen Gebäuden. Die in London lebende Journalistin Shahla Omar sah darin noch etwas anderes: „Die Sängerin Axelle Saint-Cirel sang während der Eröffnungsfeier die französische Hymne. Sie stand dabei auf dem Dach des Grand Palais. Das sah wunderschön aus, zumindest oberflächlich betrachtet. Was viele nicht wissen: Der Grand Palais wurde für die Weltausstellung im Jahr 1900 gebaut. Damals wurden dort ,Völkerschauen‘ abgehalten. Dort wurden Menschen aus den Kolonien erniedrigt.“
Etliche indigene Menschen, die bei den Olympischen Spielen in St. Louis „ausgestellt“ wurden, kehrten übrigens nie wieder nach Hause zurück. Ihre Leichen wurden untersucht und auch in Museen ausgestellt. Und so dauert der Schmerz ihrer Nachfahren weiter an.