"Mental war ich nicht vorbereitet"
34:36 Minuten
Mit 20 Jahren hielt die Schwimmerin Britta Steffen den Druck des Leistungssports nicht mehr aus. Sie brach ihre Karriere ab. Mit mentalem Training fand sie zu neuer Form und gewann wieder. Heute hilft sie Sportlern und Firmen, in Krisen Kraft zu finden.
Natürlich hat sich Britta Steffen auf die Olympische Spiele 2008 intensiv vorbereitet, wie auch auf ihre Teilnahmen in Sydney und Athen. Aber eines soll in Peking ganz anders sein. Nicht nur den Körper hat sie trainiert, diesmal auch ganz bewusst den Kopf.
Von Kugelblitzen und Haien
Schon lange vor ihren Olympiasiegen in Peking weiß die Schwimmerin genau, wie alles im Becken ablaufen soll. Zusammen mit ihrer Mentaltrainerin hat sie eine Strategie entwickelt, das Rennen in ihrem Kopf "in Zahlen und Bildern hinterlegt".
Ihr zweiter Goldlauf dauert etwas mehr als 53 Sekunden. Im Kopf von Steffen sieht der 2008 so aus: "40 Züge hin, jeden vierten Armzug nach rechts atmen, Augen schließen, weil ich nicht abgelenkt werden wollte von der Strategie der anderen. Wie ein Delfin, es soll locker sein, Spaß machen."
Und auch für die zweite Bahn hat die Schwimmerin einen klaren Plan: "Die Wende, dieses Einrollen, war hinterlegt mit dem Wort Kugelblitz, sich blitzschnell zu einer Kugel formieren, dann 44 Züge zurück. Gedanklich sollte mich ein kleiner Hai verfolgen, dass es ein bisschen brenzlig wird. So war das Olympia-Rennen aufgebaut."
"Ich hatte weiche Knie"
Zwei Goldmedaillen gewinnt Steffen in Peking. Acht Jahre zuvor sieht alles noch ganz anders aus. Bei den Olympischen Spielen in Sydney ist die Schwimmerin 16 Jahre alt. Auf 15.000 begeisterte Zuschauer im Stadion hat sie niemand vorbereitet.
"Ich hatte so weiche Knie. Ich wusste überhaupt nicht, wie ich damit umgehen sollte. Und dann konnte ich meine ersten Olympischen Spiele tatsächlich abhaken, da ich mental nicht auf diese Dimension vorbereitet war", erinnert sie sich.
Auch das Abschneiden 2004 verläuft letztlich unter ihren Erwartungen, und denen der Trainer. Zwar ist Steffen jetzt besser auf die Emotionen des Publikums gefasst, sie gewinnt sogar eine Bronzemedaille. Doch immer wieder wird von der "Trainingsweltmeisterin" gesprochen, die zwar viel Talent habe, es im Wettkampf aber nicht umsetzen könne. In einigen Medien wird Steffen zum "Sensibelchen".
Gespräche gegen die "Urangst"
Nach den Spielen in Athen hat sich die Schwimmkarriere für die Sportlerin eigentlich erledigt. Sie beginnt ein Studium. Erst ein Jahr später startet die Sportlerin wieder mit dem Training. "In den Gesprächen mit meiner Psychologin habe ich dann festgestellt, ich bin ein totaler Leistungsfan. Ich liebe es mich zu messen."
In Absprache mit ihrem Coach veränderte sie das Training. Ein wichtiger Punkt dabei: "Ich wollte, dass unsere Beziehung auf Augenhöhe basiert."
Das neue Training ist für Steffen vor den Spielen in Peking nun eine Säule, die Gespräche mit ihrer Psychologin eine andere. Um ihre Leistungen im Wettkampf besser zeigen zu können, arbeitet die Sportlerin jetzt auch an ihrer "Urangst".
Als jungen Schwimmerin wäre sie fast ertrunken, diese Erinnerungen holen sie immer wieder ein, auch währende der Rennen.
"Wenn ich viel Druck hatte, dann kam dieses Gefühl manchmal wieder, ich konnte mich nicht dagegen wehren. Das war wie so ein wiederkehrendes Trauma. Das habe ich erst mit meiner Psychologin einigermaßen in den Griff bekommen."
"Toll, wie die Amerikaner damit umgehen"
Regelmäßig als Sportlerin mit einer Psychologin zu sprechen, damit offen umzugehen, das sei in Deutschland viel zu lang unüblich gewesen, so Steffen. Wenn etwa die US-Turnerin Simone Biles bei den Spielen in Tokio wegen psychischer Probleme den Wettkampf abbricht, kann die ehemalige Schwimmerin das nur begrüßen.
"Ich finde es toll, dass die Amerikaner damit ganz anders umgehen. Damals, als ich 2000 dabei war, wollte ich gerne über meine mentalen Schwächen sprechen. Ich wollte gerne sagen, dass ich total überfordert bin. Ich hatte viele Fragen, hätte gerne nach Austausch gesucht. Das haben oft dann die Physiotherapeuten abgefangen, die aber dafür nicht ausgebildet sind. Jeder, der bei Spielen antritt, muss mental genauso stark sein, wie physisch."
Gesundheitscoach und Laufbahnberaterin
Nach der sportlichen Laufbahn und dem erfolgreichen Studium ist das mentale Training heute für Steffen ein wesentlicher Bestandteil ihrer Arbeit. Ob als Gesundheitscoach oder als Laufbahnberaterin am Olympiastützpunkt in Berlin.
Hier bereitet sie junge Athletinnen und Athleten auf ein Leben nach dem Sport vor. Was Steffen ihnen dabei mitgeben kann? Natürlich eine Menge Erfahrung. Dazu aber auch eine besondere Einstellung: "Mir war immer wichtig, dass ich ein gutes Verhältnis zu meinen Konkurrentinnen habe."
So begrüßt die heute 37-Jährige eine Schwimmerin bei den Spielen in Peking mit den Worten: "Ich bin froh, dass du hier im Finale schwimmst."
(ful)