Wunderstute Halla trägt verletzten Springreiter zum Sieg
Der Springreiter Hans Günter Winkler und seine Hessenstute Halla bildeten eine außergewöhnliche Einheit. Nachdem sie bereits 1954 und 1956 Weltmeister geworden waren, verhalf die Wunderstute ihrem Reiter am 17. Juni 1956 bei den Olympischen Reiterspielen in Stockholm erneut zum Sieg - obwohl dieser sich kurz zuvor noch schwer verletzt hatte.
Ein Auszug aus einer alten Reportage: "Hans Günter Winkler kommt herein, Halla ruhig, und schon umfängt und umrauscht dieses weltberühmte Paar ein Beifall. Halla vorne weiß bandagiert, die Bandagen, die heute Vormittag schmutzig wurden, erneuert, den Schweif in einer eleganten Manier tragend, die Ohren nach vorne gerichtet, eine Königin unter den Pferden und Winkler zumindest der Weltmeister unter den Springreitern."
Olympische Reiterspiele 1956 in Stockholm. Am 17. Juni werden die Mannschafts- und Einzel-Medaillen im Springreiten vergeben. Nach dem ersten Umlauf am Vormittag ist das deutsche Team mit Fritz Tiedemann und Meteor, Alfons Lütke-Windhues auf Ala sowie Hans Günter Winkler und Halla auf Goldkurs.
Auch in der Einzel-Konkurrenz winkt ein deutscher Sieg. Hier liegen Winkler und seine braune Stute mit dem markanten weißen Fleck auf der Stirn in Führung. Doch der Springreiter hat sich am Morgen schwer verletzt. Muskelriss in der linken Leiste. Ein weiterer Ritt ist eigentlich unmöglich. Aber der zähe und ehrgeizige 30-Jährige will nicht aufgeben. Es wäre nicht nur die Chance auf Einzel-Gold dahin. Ohne ihn würde auch das Team aus der Wertung fallen. Also bindet sich Winkler erst einmal seine Oberschenkel mit einem Gürtel zusammen, um die Schmerzen zu lindern.
Hans Günter Winkler konnte sich kaum im Sattel halten
"Ich hab nie eine Sekunde überlegt, dass ich da nicht reinreiten würde. Das Problem war: die Beine auseinander oben auf dem Pferd, also hoch, Beine auseinander, und Schmerzensschrei, die Stute haute ab, mit mir, ich konnte gar nicht halten, weil, ich war nicht in der Lage, meinen Körper zu…, ja, war eben paralysiert."
Die Zeit bis zum Start im alles entscheidenden zweiten Umlauf wird knapp. Man fängt die quirlige Halla ein, und Winkler bekommt Zäpfchen gegen die Schmerzen. Die wirken aber so stark, dass seine Sicht verschwimmt:
"Also runter vom Pferd geholt, Pott schwarzen Kaffee mir eingetrichtert, war schwarze Brühe, also schwarze Brühe, und ich kam zu mir. Und das Pferd lief wie ne Straßenbahn."
Die Reportage weiter: "Halla weiß ganz genau, worum es jetzt geht. Halla hat so viele Parcours gegangen, beide sind gestimmt, Halla, die große Amati, Winkler der große Geiger, der große Künstler, der von der Intuition lebt und doch so viele Ratio mitbringt, dass er sich eine Taktik zurechtlegen kann."
Hans Günter Winkler jedoch vermag Halla nur noch wenig zu helfen, er kann sich kaum im Sattel halten. Aber die eigensinnige Hessenstute und sein Reiter sind ein eingeschworenes Team. Beide sind über die Jahre zu einer außergewöhnlichen Einheit verschmolzen. Das spüren auch die 23.000 Zuschauer im Stockholmer Olympiastadion, die Winklers Schmerzensschreie bei jedem der 17 Sprünge deutlich vernehmen. Aufgeregt fiebert ARD-Reporter Hannes Stein mit:
"Halla, was geht in dir treuem Pferd jetzt vor? Alle unsere Wünsche, Hoffnungen, Gedanken sind bei dir, und Halla ist ein Pferd, das über alle Weiten fliegen kann, und dabei geht sie so, dass wir meinen, sie lacht mitunter, sie sagt was über der Oxer, da lach ich doch, nun Mauer, jetzt gib acht, ein Problem, und nun hat er noch die dreifache Kombination, geht hinein, wischt über den Steilsprung, geht über den Oxer, aber Halla lacht noch immer, man merkt es bis zu uns herauf, die hat eine Ahnung, worum es sich hier handelt. Und jetzt wollen wir sehen, der letzte Sprung und (Jubel, Applaus)."
"Die Intelligenz dieses Pferdes war einmalig"
Null Fehler - unglaublich! Gold für das deutsche Team und für Halla mit Hans Günter Winkler in der Einzelwertung. Die sensible und treue Stute, eine "Mischung aus Genie und irrer Ziege", wie sie Winkler einmal beschrieb, hatte ihren verletzten Reiter im Alleingang über die Hindernisse getragen. Durch einen äußerst schwierig gebauten Parcours, dessen ständige Wechsel von Weit- und Steilsprüngen eigentlich in jeder Sekunde höchste Konzentration von Pferd und Reiter erforderten hätten.
Hans Günter Winkler: "Und das war eben ein Mirakel, die Intelligenz dieses Pferdes war einmalig."
Halla erhält unzählige Dankesbriefe und Pakete mit Würfelzucker. 1979 stirbt sie im stolzen Pferdealter von 34 Jahren. Noch heute bekommt das Ausnahmepferd Fanpost. Die lebensgroße Bronze-Plastik, die man ihr zu Ehren vor dem Sitz des Deutschen Olympiade-Komitees für Reiterei in Warendorf errichtet hat, ist immer noch eine Touristenattraktion. Nie mehr, so hat es die Reiterliche Vereinigung verfügt, darf ein Turnierpferd unter dem Namen Halla starten. Die "Wunderstute" soll für immer einmalig bleiben.