Olympische Spiele

Doping als geförderte Disziplin

Szene aus dem Halbfinale über 200 Meter bei den Olympischen Sommerspielen in London 2012
Szene aus dem Halbfinale über 200 Meter bei den Olympischen Sommerspielen in London 2012 © dpa / picture-alliance / Michael Kappeler
Von Nils Zurawski |
Doping-Verstöße taugten zum Skandal, aber berührten den Leistungssport nicht wirklich, kritisiert der Hamburger Kriminologe Nils Zurawski. Deswegen sollte über Wettbewerbe ohne Kommerz diskutiert werden.
Die olympischen Spiele von Rio stehen bevor und die Sportwelt ist in großer Aufregung. Nach Aufdeckung der russischen Dopingpraktiken wurden deren Leichtathleten von den Wettkämpfen in Brasilien ausgeschlossen. Es ist anzunehmen, dass weitere Enthüllungen folgen werden – in Russland, in anderen Ländern, in anderen Sportarten, bei anderen Wettbewerben.
Sportler gehen eben an die Grenzen des Erlaubten. Oft auch darüber hinaus. Das ist nicht schön, aber ein Faktum des modernen Sports. Bessere Kontrolle zu fordern, ist richtig. Aber ebenso richtig wäre es einzusehen, dass Betrug im modernen Leistungssport nicht erfolgreich bekämpft werden kann, genauso wenig wie Korruption unter Funktionären oder kriminelle Absprachen im Wettbüro.

Betrug und Korruption mit System im Sport

Es fängt schon damit an, dass sich der Weltleichtathletikverband brüstet, eine konsequente Haltung zu haben. Nein, er hat sie nicht. Es waren die Journalisten, die jahrelang investigativ recherchiert haben. Lange wurden deren Berichte ignoriert. Erst als Verstöße sich als allzu offensichtlich erwiesen, sahen sich IOC und Fachverbände gezwungen zu reagieren.
Und wieder handeln sie fragwürdig, indem sie eine ganze Nation kollektiv von den Wettbewerben ausschließen. Auf diese Weise glauben sie, das Doping unter Kontrolle zu bringen. Doch sie irren sich.
Denn gefordert werden von Mal zu Mal nur neue Sanktionen für das alte System. Dabei liegt der Fehler im System selbst.
Die Welt-Anti-Doping-Agentur schaut weg, anstatt Athleten zu schützen, die ihrer Leistung nicht mit Medikamenten nachhelfen. Derweil sehnen sich deutsche Spitzenkader in einem offenen Brief nach einem sauberen Sport und begrüßen die Strafe für die schummelnden Russen. Diese nostalgisch-romantische Haltung ist geradezu unsportlich naiv.
Sport ist den einen ein Geschäft, den anderen ein Konsumgut. Und Olympia ist kein fairer Wettbewerb, sondern eine nicht regulierte Geldmaschine. "Sauberer Sport" eine Masche zur Verkaufsförderung, nicht aber ein Qualitätssiegel. Verbände und WADA haben lediglich deswegen gehandelt, weil das Image ihres Produktes bedroht war.

"Gay Games" als Vorbild für Olympische Spiele

Was aber wäre eine Alternative? Das Vorbild der "Gay Games". Dieser Vorschlag ist provokativ, aber ernst gemeint und nicht unvorstellbar. Bei den globalen Spielen der Gemeinschaft der Schwulen und Lesben dreht sich alles um den oder die Athletin. Es geht primär um ein gleichberechtigte Teilnahme aller an den Wettbewerben und an der Gemeinschaft selbst. Leistung orientiert sich an der persönlichen Bestleistung, nicht vorrangig und ausschließlich am Wettkampf gegen andere.
Die Gay Games sehen Sport als Plattform für eine gesellschaftliche Emanzipation, in der Werte wie Gleichheit, Inklusion und Toleranz hochgehalten werden. Anders als bei den olympischen Spielen scheinen alle Beteiligten hier diesen Ansprüchen gerecht zu werden. Wieso ist sollte das nicht auch der olympischen Idee zu neuem Glanz verhelfen?

Wettkämpfe ohne Sponsoren und Ländervergleiche

Dazu müsste der Sport allerdings sein Verhältnis zu den privaten und staatlichen Sponsoren grundsätzlich überdenken – zu all jenen, die mit Geld helfen, den Aktiven Aufstieg, Reichtum und nationale Ehren zu versprechen. Und auch Mega-Events sollten aus dem Wettkampfkalender gestrichen werden. Sie sind derart überdreht, dass sie mittlerweile für die meisten Missstände im Sport verantwortlich zeichnen.
Und schließlich sind chauvinistische Ländervergleiche aus der Zeit gefallen. Es geht um fairen Wettbewerb unter Sportlern. Wo aber Superlative entscheidend für Funktionäre, Verbände und Geschäftsleute sind, gehören Korruption und Betrug zum Programm.
Einen Neuanfang wird es nicht geben. Ohne die Enthüllungen von Journalisten und Whistleblowern wäre ja nichts passiert. Sich eine Alternative zumindest vorzustellen, könnte jedoch der Beginn einer fruchtbaren Debatte werden.
Nils Zurawski, geboren 1968, arbeitet als Wissenschaftler am Institut für kriminologische Sozialforschung der Universität Hamburg. Er beschäftigt sich seit 15 Jahren mit Fragen von Überwachung und Sicherheit und koordiniert derzeit eine Forschung zum Thema Doping. 2013 habilitierte er sich mit einer Arbeit zu Raumwahrnehmung, Überwachung und Weltbildern. Er bloggt unter www.surveillance-studies.org.
Der Sozialforscher Nils Zurawski
Der Sozialforscher Nils Zurawski© Saskia Blatakes
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