Spiele für Reiche, Spenden für Arme
Die Bewohner der Slumviertel von Rio de Janeiro haben nichts von Olympia. Aber kirchliche und andere Hilfsorganisationen finanzieren zusätzliche Sportangebote, die auch bei der Bewältigung des schwierigen Alltags helfen sollen.
Auf einem kleinen Sportplatz steht eine Gruppe Kinder im Kreis. In der Mitte üben sich zwei von ihnen, zu Gesang und den Klängen eines Berimbau, im Capoeira. Bei diesem kunstvollen Kampftanz, den einst die Sklaven erfunden haben, sind Kraft, Schnelligkeit und Eleganz gefragt.
Die Capoeira-Gruppe gehört zum Sport- und Sozialzentrum Armindo da Fonseca. Es liegt am Rande der Favela Campinho im armen Norden Rio de Janeiros und wird von der katholischen "Pastoral do menor" betrieben, der Jugend-Pastoral. Regina Leão ist die Koordinatorin der Jugend-Sozialprogramme in der Erzdiözese Rio de Janeiro. Etwas verbindet die allermeisten ihrer Projekte:
"Wir halten Sport für sehr wichtig und investieren viel in ihn. Sport spielt bei fast allen Aktivitäten der Jugend-Pastoral eine wichtige Rolle. Es geht uns aber nicht um Hochleistungssport, sondern darum, was Sport für junge Menschen bewirken kann – als Raum des Zusammenlebens, der Bewältigung von Konflikten, des Umgangs mit Unterschieden und Regeln."
Die Jugendlichen können im Armindo da Fonseca-Zentrum nicht nur unbeschwert Capoeira üben, Fußball und Basketball spielen, sondern auch Internetkurse belegen, Nachhilfeunterricht erhalten und sich zu Kellnern und Köchen fortbilden. Solche Angebote sind wichtig, da es keine staatlichen Bildungs- und Freizeitangebote im Viertel gibt.
Bewohner der Armenviertel halten nicht viel von den Spielen
Auf den ersten Blick scheint es in Campinho friedlich zu sein, auch wenn viele Menschen auf kleinstem Raum wohnen. Doch die Favela wird von Milizen kontrolliert. Wer hier in Ruhe leben will, muss monatlich einen festen Betrag an sie zahlen. In einem solchen Umfeld zu arbeiten, erfordert einen guten Draht zu den Bewohnern. Regina Leão erklärt, dass die katholische Kirche ihren Ansatz geändert habe: weg von einer nur karitativen Wohltätigkeit hin zu einem partnerschaftlichen Verhältnis mit der Gemeinde.
"Wir müssen unsere Nächsten als Subjekte anerkennen, die Rechte haben. Wir machen unsere Arbeit mit den Menschen, nicht für sie, mit der jeweiligen Gemeinschaft zusammen. Und auch in diesem Zentrum hier geht es tagtäglich um die Einübung staatsbürgerlicher Rechte und Pflichten."
Von den bevorstehenden Olympischen Spielen hält Leão angesichts der großen sozialen Probleme nicht viel. Den Bewohnern der ärmeren Viertel brächten sie außer einigen punktuellen Verbesserungen im Öffentlichen Nahverkehr kaum etwas.
"Es ist schon gut, dass so viele Menschen in unsere Stadt kommen. Die Olympiade müsste aber für alle sein – und das ist sie nicht. Stattdessen wird die Armut aus dem Blick der Touristen verdrängt."
Guilherme und Stéfanie, zwei Jugendliche vom Zirkusprojekt "Wenn diese Straße meine wäre", sehen das ganz ähnlich:
"Was in die Olympischen Spiele investiert wird, müsste auch in die ärmeren Viertel investiert werden. Denn dort ist die Situation ziemlich prekär. Es müsste mehr Geld für Schulen, Bildung und Krankenhäuser geben."
"Aber es wird nur in große Projekte weit weg von uns investiert, in Straßen und die Olympischen Sportstätten. Das ist nichts, was wir brauchen, und es profitiert davon nur ein Teil der Bevölkerung, die Mittel- und Oberschicht."
Auch das bereits zur Fußball-WM von Menschenrechtsaktivisten und Betroffenen gegründete Olympia-Volkskomitee spricht von "Spielen der Ausgrenzung".
Hilfsprojekte sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein
Dem möchte die Kampagne "Rio bewegt. Uns" etwas entgegensetzen. In dem Bündnis haben sich in Deutschland mehr als ein Dutzend kirchliche Hilfswerke sowie Sport-, Jugend- und Erwachsenenverbände zusammengeschlossen – darunter Adveniat und Misereor. Die Kampagne unterstützt zu den Olympischen Spielen langfristig geförderte Projekte in Rio mit zusätzlichen Spenden – neben dem Sport- und Sozialzentrum Armindo da Fonseca auch das Zirkusprojekt "Wenn diese Straße meine wäre".
Die jugendlichen Zirkus-Artisten kommen aus der Baixada Fluminense – dem Hinterland Rios, das noch ärmer ist als die Nordzone der Stadt. Der 17-jährige Matheus:
"Dort, wo wir leben, ist das Krankenhaus zur Zeit geschlossen. Viele Lehrer streiken, und Schulen können nicht richtig arbeiten, weil sie kein Geld haben. Trotzdem freue ich mich bei Olympia auf die Gymnastik-Disziplinen. Wir sind ja auch Artisten, darum sind wir wirklich gespannt darauf."
Das Zirkusprojekt und selbst die rund 150 Zentren der Jugend-Pastoral im Bundesstaat Rio de Janeiro sind angesichts der Armut und Ausgrenzung nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Das weiß auch die Koordinatorin Regina Leão. Doch sie hofft weiter auf eine bessere Zukunft – und setzt vor allem auf die jungen Brasilianer:
"Die Jugend von heute fordert ihre Rechte und Gerechtigkeit ein. Denn es gibt eine große Konzentration des Reichtums, während zu wenig in den sozialen Bereich investiert wird. Es gibt noch viel zu tun. Aber wir dürfen die Hoffnung nicht verlieren, dass wir das schaffen können – wobei der Wandel mit jedem einzelnen von uns beginnen muss."