Deutliche Worte statt "Schmusekurs"
Die deutsche Spitzensportlerin Imke Duplitzer fordert die Funktionäre beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) auf, sich beim Thema Sotschi klar zu positionieren und den "Schmusekurs" gegenüber den Verantwortlichen bei den Olympischen Winterspielen aufzugeben.
Deutschlandradio Kultur: Mein Gast heute ist die Degenfechterin und fünffache Olympiateilnehmerin Imke Duplitzer. Hallo Frau Duplitzer, guten Tag.
Imke Duplitzer: Hallo.
Deutschlandradio Kultur: Mit Imke Duplitzer will ich in den kommenden 25 Minuten vor allem über Olympia im Allgemeinen und über die Spiele von Sotschi im Besonderen reden. Zur Einstimmung auf unser Gespräch jetzt aber zumindest ein Kurzporträt über meinen Gast:
An dieser Frau scheiden sich die Geister: Für die einen ist Imke Duplitzer eine Spitzenathletin mit Mut zum Widerspruch, für die anderen ist sie eine Nervensäge. Scharfzüngig übt die Degenfechterin notorisch Kritik an der Politik von Sportfunktionären und deren Verbänden - so etwa an der Vergabepraxis bei Olympischen Spielen. Originalton Duplitzer: "Ich liebe den Sport, hasse es aber, wie Funktionäre ihn verbiegen".
Imke Duplitzer hat an fünf Olympischen Sommerspielen teilgenommen. Mit der deutschen Degenmannschaft gewann sie gewann sie 2004 in Athen die Silbermedaille, eine Einzelmedaille blieb ihr jedoch bei Olympia verwehrt. Sie war mehrfach Vizeweltmeisterin und Europameisterin und siebenmal Deutsche Meisterin. Ihre Karriere beenden will die Fechterin 2016 bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro.
Zugleich strebt Imke Duplitzer jetzt auch in die Politik: Kürzlich ist sie Mitglied der Grünen geworden und will bei der Europawahl im Mai für ihre Partei antreten.
Deutschlandradio Kultur: Frau Duplitzer, am nächsten Freitag beginnen die Olympischen Winterspiele in Sotschi. War es ein Fehler, die Spiele dorthin zu vergeben?
Fehler ist so ein hartes Wort
Imke Duplitzer: "Fehler" ist immer so ein hartes Wort. Es ist mit Sicherheit nicht eine der blendendsten, glorreichsten Entscheidungen des Internationalen Olympischen Komitees gewesen. Es mutet natürlich sehr seltsam an, wenn wir uns jetzt einfach mal vorstellen würden, wir sagen, wir richten Olympische Winterspiele in Nizza aus. Das ist auch so eine Geschichte. Sotschi liegt nun mal auf der Höhe von Nizza. Es ist subtropisches Klima. Die eigentlichen Schneewettbewerbe werden irgendwo im Hinterland ausgetragen. Da ist eine ganze Bahn hingebaut worden, die alleine so viel gekostet hat wie die ganzen Winterspiele in Vancouver. Da muss man sich dann schon mal ein bisschen fragen alleine anhand der bautechnischen Tätigkeiten, ob es das denn wert war und ob das die richtige Entscheidung war.
Deutschlandradio Kultur: Und dann gibt es natürlich noch Vorwürfe: kein demokratischer Staat, massive Verletzung der Menschenrechte, zahllose Umweltsünden, Homophobie, Ausbeutung der Arbeitskräfte, Korruption. Wir werden im Weiteren alles noch ein stückweit erörtern. Zunächst einmal die Frage: Finden Sie es denn richtig, dass deutsche Athletinnen und Athleten an den Spielen in Sotschi teilnehmen, man sagt auch, an Putins Spielen teilnehmen?
Imke Duplitzer: Man muss aufpassen, dass man nicht die Athleten immer überfordert. Ich bin selber Athlet. Ich habe Glück, dass ich mich da in vielen Bereichen auch aus Interesse schlau mache und mich da einigermaßen zielsicher bewegen kann. Aber man kann nicht von jedem Athleten erwarten, dass er sich da weltpolitisch äußert.
Schade ist natürlich, dass gerade solche Leute, die die Athleten schützen müssten, nämlich das IOC oder der DOSB, also die Verantwortlichen oder einzelnen Fachverbände, sich nicht dezidiert äußern, sondern auch immer diesen Schmusekurs versuchen: Wir sagen mal lieber gar nichts und wenn, dann ausgesprochen schwammig, damit wir uns nicht irgendwo angreifbar machen, dass man uns nicht an die Karre fahren kann.
Da muss ich an der Stelle sagen: Boykott ist der falsche Weg, aber deutliche Worte von Verantwortlichen und nicht nur von Athleten wären einfach wünschenswert. Es gibt ja Athleten wie Christian Neureuther, die auch gesagt haben, sie finden das nicht sonderlich prickelnd. Das muss gehört werden, diese Bedenken der Athleten, weil wir es sind, die die Gesichter hinhalten. Die müssen halt auch irgendwann mal gehört werden.
Deutschlandradio Kultur: Wie kann man, wenn man zu Olympia fährt - 150 oder 152 deutsche Athletinnen und Athleten fahren ja hin -, unterhalb der Schwelle eines Boykotts Putin vor Ort zeigen, dass man sich mit seinem Wertesystem nicht gemein machen will? Sehen Sie da Möglichkeiten?
Imke Duplitzer: Es ist natürlich für die Athleten ausgesprochen schwierig, da es genug Regelwerk gibt, hinter dem sich auch das IOC verstecken kann, um zu verhindern, dass Äußerungen dieser Art und Weise getätigt werden.
Was ganz charmant ist: Es gibt momentan eine Aktion. Die heißt "Principle 6", kommt aus Amerika. Da ist die Präambel 6 der Olympischen Charta genommen worden, dass Sport nicht diskriminieren darf aufgrund von sexueller Orientierung, Religion, politischer Einstellung usw. usf. Da hat man einfach nur "olympisch" rausgestrichen, dass man da keine Merachandising-Gebühren zahlen muss und keine Lizenzgebühren. Das ist vielleicht so eine Geschichte. Das IOC kann eigentlich nichts dagegen haben, wenn eine leichte Abwandlung ihrer Firmenrichtlinie auf einer Firmenfestivität gezeigt wird.
Ich bin mal gespannt. Es gibt diverse Amerikaner, die schon angekündigt haben, dass sie dieses T-Shirt mitnehmen und auch bei passender Gelegenheit tragen werden. Und dann muss man mal gucken, wie das IOC auf seine eigenen hehren Regeln reagiert.
Deutschlandradio Kultur: Das IOC, das Internationale Olympische Komitee, hat sich seinerzeit unter ziemlich dubiosen Umständen für Sotschi entschieden. Das ist einige Jahre her. Inzwischen hat das IOC einen neuen Präsidenten, den Deutschen Thomas Bach. Der verteidigt Sotschi – vielleicht ja auch, weiß ich nicht, weil er in seiner Funktion auch gar nicht anders kann. Haben Sie denn Hoffnung, dass das IOC aus dem Fall Sotschi lernt?
Das IOC - ein großer, lukrativer Laden
Imke Duplitzer: Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Es ist natürlich problematisch. Das IOC ist ein sehr, sehr großer und auch lukrativer Laden. Zu sagen, das ist ein Sportverband mit Sitz in der Schweiz, finde ich mittlerweile relativ vermessen. Ich würde sagen, es ist ein Wirtschaftsunternehmen, das die drittteuerste Marke der Welt nach Google und Apple beherrscht. Man kann ja schon nicht mehr sagen "verwaltet", sondern wirklich "beherrschen". Die produzieren ja alles, von den Fernsehbildern, über Werbung, die kontrollieren alles in diesem Zusammenhang.
Da muss man sich natürlich die Frage stellen: Es gab innerhalb des Internationalen Olympischen Komitees schon kritische Stimmen, die gesagt haben, die olympische Bewegung muss aufpassen, dass sie sich nicht selber auffrisst. Ich glaube, die olympische Bewegung wird lange noch an sich selber knabbern, bevor sie feststellen, dass sie was verändern müssen.
Deutschlandradio Kultur: Olympiabewerbungen in Österreich, der Schweiz und in Deutschland – Klammer auf, München, Klammer zu – sind in jüngster Zeit am Bürgerwillen gescheitert. Ganz offensichtlich wirkten auf die befragten Bürger die Gigantomanie und der Kommerz des Olympiazirkus abstoßend. Wenn diese Beispiele Schule machen, dann muss das IOC doch wohl umdenken oder aber halsstarrig Olympia nur noch an Despoten vergeben. – Was meinen Sie?
Imke Duplitzer: Ja gut, Sie haben jetzt Stockholm vergessen. Die haben auch in der Bürgerbefragung gesagt: Nee, danke, wollen wir auch nicht mehr. Es ist auf der einen Seite sehr schade, dass die Bewerbung in München keine Chance gekriegt hat, weil sie wirklich in vielen Bereichen, glaube ich, im Gegensatz zu manch anderen Bewerbungen wirklich versucht hat - es gibt immer wieder dunkle Flecken, aber sie hat wirklich versucht -, eine gewisse Transparenz zu gewährleisten. Sie hat wirklich versucht, die Umweltschäden so gering wie möglich zu halten.
Da muss man an dem Punkt sagen, es wäre mit Sicherheit interessant gewesen zu sehen, wie das IOC auf so eine Bewerbung reagiert hätte. Wenn natürlich die Bewerbung Münchens im ersten Wahlgang durchgefallen wäre oder es gar nicht in den ersten Wahlgang geschafft hätte, wäre das natürlich auch ein Statement gewesen.
Ich kann aber auch jeden vor Ort verstehen, der gesagt hat, nee wir möchten das nicht haben. Und das ist, glaube ich, eine der gefährlichsten Botschaften, die das IOC hören muss in seiner Lage, dass mittlerweile der Konsument, der ja Abnehmer seines Produkts ist, langsam aber sicher keine Lust mehr auf dieses Produkt hat. Dann ist es natürlich Zeit, dass man da vielleicht doch noch mal ein bisschen drüber nachdenkt: Wo wollen wir eigentlich mit dieser ganzen Geschichte hin?
Deutschlandradio Kultur: Was würden Sie den Herren der Ringe empfehlen, damit die Leute wieder Lust auf Olympia haben? Downsizen, wäre das das Stichwort?
Imke Duplitzer: Downsizen, sage ich aus Athletensicht, ist auch sehr problematisch. Wir haben schon eine Athletenbegrenzung bei Sommerspielen. Insgesamt - nicht nur deutsches Kontingent - sind die Sommerspiele auf zehntausend Athleten begrenzt. Man muss aufpassen. Je mehr man raus streicht, umso mehr fallen klassische Sportarten eventuell hinten runter, die eben nicht ihren Sponsor mitbringen.
Deutschlandradio Kultur: Ich meine damit den ganzen Kommerz.
Imke Duplitzer: Genau. Das ist halt der Punkt. Downsizen? Da muss man wirklich scharf trennen, denn am ehesten wird beim Athleten down-ge-sized und beim Athleten ist wirklich nicht mehr viel Luft nach unten bei vielen Sportarten.
Ich glaube, da hat sich in der Bevölkerung ein bisschen was gewandelt, dass man schon gerne Sport guckt, aber man möchte sich das nicht unbedingt die ganze Zeit überlegen und auch medial vorgehalten kriegen. Da muss ich ein sehr großes Lob an viele momentan in Deutschland agierende Journalisten machen, die das wirklich investigativ begleiten und nicht immer nur diese tolle Fassade versenden; ich glaube, viele Leute haben einfach die Nase voll davon.
Die wollen Sport sehen. Die wollen sicher sein, dass die Veranstalter alles tun, damit sie Sport mit gutem Wissen konsumieren können. Und wenn das nicht mehr der Fall ist und wenn man sich damit permanent rumschlagen muss, dass da irgendwelche Korruptionsskandale oder sonst irgendwas unterwegs sind. Oder die bedauerlichen Todesfälle an den WM-Baustellen in Katar, ich glaube, da kommt auch bei einem Fußballfest nicht mehr so eine richtige schöne Stimmung auf, wenn man überlegt, dass da 300, 400, 500, 1000 - ich weiß nicht, wie viele es noch werden - Arbeiter einfach ihr Leben gelassen haben. Da kann man sich nicht mehr hinsetzen und sagen, das ist eine Friede-Freude-Eierkuchen-Veranstaltung. Dann wird’s halt einfach ernst. Da verlieren Menschen ihr Leben. Dann ist auch die Leichtigkeit weg.
Deutschlandradio Kultur: Frau Duplitzer, Olympia in Peking war auch eine fragwürdige Veranstaltung in einem zutiefst undemokratischen Land. Sie haben 2008 an diesen Sommerspielen als Degenfechterin teilgenommen, aber aus Protest die Eröffnungsfeier geschwänzt. – Welches Feedback haben Sie eigentlich damals bekommen, zum Beispiel aus dem Kreis der deutschen Athleten? Fanden die das okay oder haben manche gesagt, "Imke, was soll das"?
Imke Duplitzer: Auch da gibt es natürlich eine Teilung. Es gibt einen sehr großen Bereich an Athleten, denen ist das eigentlich völlig Schnuppe. Das ist auch so eine Sache. Ich mache mir da keine Illusionen, dass ich da irgendwie die Jean d'Arc der Fechtwelt bin, die sich da jetzt hinstellt. Es gibt viele Leute, die sagen, denen ist das völlig Wurscht. Für viele Athleten ist es sehr unverständlich. Ich muss jetzt an der Stelle sagen, ich war bei fünf Olympischen Spielen. Ich habe noch nie eine Eröffnungsfeier gesehen, entweder weil es terminlich nicht funktioniert hat oder weil es, wie gesagt, in Peking einfach rein vom Rahmen nicht so war, dass ich mich da gerne mit instrumentalisieren lassen wollte.
Viele Leute, die eben so ein bisschen hinter die Kulissen blicken und sich da auch eine Waffel machen, die sagen: Ja klar, wenn wir wirklich die Olympischen Spiele verändern wollen, wenn wir Druck aufs IOC ausüben wollen, dann müssen wir natürlich dafür sorgen, dass eben diese Märchenbilder quasi ein bisschen magerer ausfallen. Das ist auch ein bisschen was, wo ich vielen Athleten sage: Ihr habt schon eine Möglichkeit, auf einen Teil dieser Sause zu verzichten. Weil, wenn ihr den einen Teil mitmacht, dürft ihr euch auf der anderen Seite auch nicht beschweren, dass es in der Athleten-Lounge ein Elektrolyt-Getränk und einen Apfel gibt und dass es das den Rest des Tages war. Ihr müsst dann schon auch darauf aufmerksam machen, dass es eben Bereiche gibt, die nicht so optimal sind für die Athleten. Und dann müsst ihr eben auch in den sauren Apfel beißen und sagen, gut, dann gucke ich mir so eine Eröffnungsfeier nicht von innen an, sondern bleibe zu Hause oder gehe irgendwo was essen oder beschäftige mich anderweitig, aber lasse mich nicht Teil dieser Inszenierung werden.
Wir wollen mündige Athleten
Deutschlandradio Kultur: Sehen es die deutschen Funktionäre gern, wenn sie mündige Athleten habe, die auch mal kritisch sind? Oder sagen sie: "Sei ruhig, mach deinen Sport, hol ´ne Medaille, gut ist"?
Imke Duplitzer: Das ist ein sehr zweischneidiges Schwert. Da müssen Sie die Funktionäre selber fragen. Ich meine, wir wollen doch mündige Athleten haben, heißt es eigentlich immer. Natürlich stört der mündige Athlet auch. Weil, blöderweise dieses Wörtchen "nein, mache ich nicht", das kann einem halt auch passieren. Und es ist halt sehr schwierig. Mein Trainer hat auch oft verflucht, dass ich meine eigene Meinung habe und meinen eigenen Kopf habe. Aber auf der anderen Seite war er sehr froh, weil er eben genau wusste, dass ich auf der Bahn, wenn ich da alleine stehe, die richtigen Entscheidungen treffe und eben auch die Persönlichkeit habe, bestimmte Niederlagen oder schwierige Situationen durchzustehen und auszuhalten.
Und da muss man sich halt überlegen, ob man als Deutscher Olympischer Sportbund sich hin und wieder mal mit ein paar Athleten wirklich definitiv auseinandersetzen möchte oder ob man diese NLW- - Nicken, Lächeln, Winken – Fraktion ranzüchtet. Da braucht man sich dann aber auch nicht wundern, wenn es dann auf der anderen Seite auch mal irgendwo katastrophal in die Hose geht, weil sich Athleten in einer medialen Gesellschaft in Bereichen äußern, dass man manchmal denkt: Oh Gott, hättest du jetzt lieber nichts gesagt. Das ist eine sehr problematische Geschichte.
Aber ich glaube, generell beim deutschen Funktionär wird der mündige Athlet ein bisschen seltsam beäugt. Da weiß man nicht so genau, was man damit anfangen soll. Soll man den ernst nehmen, soll man ihn rausschmeißen? Möchte man mehr davon haben? Ich glaube, da sind die sich selber noch nicht so ganz schlüssig.
Deutschlandradio Kultur: Wir haben in den letzten Wochen zwei Themenstränge unter anderen gehabt, die immer wieder vorkamen. Das eine war Homophobie in Russland und das andere Thema, was eine zeitlang parallel gespielt hat, war das Coming-out des ehemaligen Fußballprofis Thomas Hitzlsperger zu seiner Homosexualität. Sie selber, Frau Duplitzer, haben sich schon vor über zehn Jahren zu Ihrer Homosexualität bekannt. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Hat ihnen das Bekenntnis zu Ihrer sexuellen Orientierung genutzt oder geschadet? Oder war das Wurscht?
Imke Duplitzer: Ich habe ja sowieso immer so ein bisschen das Problem mit dem Wort "Bekenntnis". Das ist ja jetzt keine Glaubensfrage. Einfach: Es ist halt so, die Tatsache, dass ich lesbisch bin.- Mein Trainer, das war so nach dem Motto, als das erste Gespräch in der Richtung kam und ich dann irgendwann mal gemeint habe, "du, ich habe mich in ein Mädchen verliebt", hat nur gemeint: "Um Gottes Willen, ich hab schon gedacht du wärst schwanger. Wenn das alles ist!" – Das sind so nette schmunzelnde Geschichten, wo es einem auch einfach leicht gemacht wird, dann damit umzugehen.
Auf der anderen Seite merkt man schon, das sind auch diese Sachen, die vielmals von anderen Homosexuellen thematisiert werden, diese Beiläufigkeit des Runterputzens. Ich weiß zum Beispiel aus Erfahrung - ich habe auch die einen oder anderen Lauscher in offiziellen Gremien, wo dann schon mal einfach mal schlicht und ergreifend gesagt wird, wenn ich mich mal wieder politisch unkommod geäußert habe zum Thema deutscher Sportpolitik: Diese Scheiß-Lesbe macht schon wieder Ärger. – Da merkt man einfach, dass die Bezeichnung für sexuelle Orientierung immer in einer derartig negativen Konnotation benutzt wird. Spart es euch doch einfach! Da könnt ihr sagen, die Nervensäge oder die blöde Kuh oder dies oder das oder jenes, aber lasst doch bitte aus dem Spiel, mit wem ich abends meine Couch teile.
Auf der anderen Seite muss man einfach mal sehen, die tun immer so, als ob ich da durch den sexuellen Supermarkt der Möglichkeiten gelaufen wäre und gedacht hätte, ja, heute mach ich mal Lesbe und nächste Woche bin ich vielleicht mal bi oder dann macht man vielleicht mal einen auf Trans. – Leute, hört endlich mal auf zu glauben, dass wir uns das einfach ausgesucht haben. Da ist keine Modeerscheinung wie ein Kurzhaarschnitt oder ein Kaschmir-Pullover. Das sind wir. Menschen sind so. Und jetzt kommt mal wieder runter!
Deutschlandradio Kultur: Frau Duplitzer, Sie waren fünfmal bei Olympia dabei. Sie streben auch noch ein sechstes Mal an, Rio 2016. Laut taz lautet Ihr Resümee der Spiele, das klang ja auch hier schon an: "Doping, Kommerz, Korruption und Machtmissbrauch". - Jetzt muss ich es einfach mal wissen von der Sportlerin Imke Duplitzer: Was ist denn an den Spielen so toll, dass Sie immer wieder hin wollen?
Imke Duplitzer: Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen dusselig. Ich habe nun mal alle vier Jahre Olympische Spiele. Ich habe irgendwann mal mit Fechten angefangen, weil ich 1984 in Nigeria sitzend auf einer VHS-Kassette eine Aufzeichnung der Olympischen Spiele in Los Angeles gesehen habe.
Deutschlandradio Kultur: Ihre Eltern waren zeitweise in Nigeria und das Kind auch.
Imke Duplitzer: Genau. Da habe ich Cornelia Hanisch fechten gesehen. Das klingt jetzt vielleicht blöd. Das war für mich ein Aha-Moment, weil ich erstens dachte: "Geil! Die Sportart gibt’s auch in echt, nicht nur mit Holzschwert durch den Garten laufen." Und zweitens fand ich das, was transportiert wurde, dieses Miteinander und alles drum und dran, faszinierend und schön. Das ist ja auch das, warum Olympia so eine tolle Marke im Grunde genommen ist, weil es einfach Werte eigentlich mal verkörpert hat. Und ich muss an der Stelle sagen mittlerweile, ich bin ja nun auch aus London wieder relativ zeitig abgereist, weil ich einfach sage, das bewahre ich in mir auf. Das, was in London passiert oder das…
Deutschlandradio Kultur: Olympia 2012.
"Der geilste Sport der Welt"
Imke Duplitzer: Genau. Olympia 2012 oder Peking 2008, das sind so Momente, die ich spätestens seit Athen 2004 nicht mehr so in diesem Zusammenhang genießen kann wie vorher. Das hat für mich so ein bisschen die Unschuld verloren. Das heißt also, ich fahre da hin, weil, ich liebe meinen Sport, Fechten ist – Entschudligung – der geilste Sport der Welt. Das ist einfach so. Es gibt auch andere tolle Sportarten. Die haben auch alle ihre Vorzüge. Aber ich glaube, Fechten hat da eben noch eine sehr starke Lebenskomponente mit dabei – aus vielen Gründen: Man hat Respekt vorm Gegner. Man hat ein System. Man muss sich in diesem System zurechtfinden. Der, der mit Respekt unter Achtung der Regeln in diesem System die cleverere Lösung hat, also sprich, einen sehr starken Anteil an Kreativität, der wird dann auch hinterher gewinnen. – Das hat schon sehr stark was mit Leben und mit überhaupt in der Gesellschaft Zu-Rande-Kommen zu tun.
Ich habe nun mal alle vier Jahre Olympische Spiele. Innerlich bin ich vielleicht immer noch so ein bisschen dieses Kind, was vorm Fernseher sitzt und sich das anguckt und denkt: Boa, Wahnsinn! Und es gibt diese Momente auch noch. Wenn man durch die Straßen läuft, in Sydney zum Beispiel 2000, eine Bevölkerung, wenn die gesehen haben, das man diese Akkreditierung oder dieses Bändchen umhängen hatte, da sprang was über.
Das ist aber mittlerweile einfach verhältnismäßig weniger geworden, weil eben eine Überreglementierung herrscht. Das sind so Sachen. Wenn Sie das fünfmal mitgemacht haben und einfach auch immer wieder sehen, wie die Repressalien und die Probleme für die Athleten steigen, dann sagen Sie, Sie fahren da hin, Sie tragen dieses Glitzern in sich, aber Sie müssen halt schon verdammt lange suchen, um das im Rahmen der Olympischen Spiele noch zu finden.
Deutschlandradio Kultur: Was unsere Hörer nicht sehen konnten, weil wir Radio machen, waren Ihre leuchtenden Augen, als Sie über Ihren Sport ganz begeistert berichteten. Weswegen ich das auch sage, ist: Sie sind nach Halle gewechselt in Sachsen-Anhalt; ewig und drei Tage waren Sie mal beim OFC Bonn. Und dort wollen Sie sich nicht nur auf Rio vorbereiten, sondern sich auch um den Nachwuchs kümmern. Wie läuft’s denn damit? Können Sie Ihre Begeisterung für den Sport an den Nachwuchs vermitteln?
Imke Duplitzer: Ja, das ist sehr lustig, weil ich ja nun auch neu in Halle bin seit August letzten Jahres und dann auch unterwegs hin und wieder mal in anderen Bereichen Menschen treffe, die sagen: Mensch, meine Tochter hat bei dir einen Fechtkurs gemacht in der Schule. Die ist total begeistert. Die geht uns jetzt die ganze Zeit auf die Leier und sie will zum Fechten gehen. Ich glaube schon, wenn man sich mit Kindern und Jugendlichen auseinandersetzt - das muss jetzt nicht nur Fechten sein, klar, Fechten ist natürlich die geilste Sportart der Welt –, wenn Kinder merken, dass sie wirklich ernst genommen werden und dass man sich um sie bemüht, dass man auf sie eingeht, dass man ihnen vielleicht auch eine kleine Tür aufmacht, eine Perspektive zeigt, sich selbst zu verwirklichen, sich spielerisch zu betätigen, soziale Kompetenzen zu lernen, Grenzen auszutesten und das Ganze eben auch, dass sie ernst genommen werden, dann ist das das Tollste, was Sie machen können.
Klar, wenn Sie mal 200 Kinder über den Tag verteilt hatten und die sind laut, die toben rum, die sind auch unaufmerksam. Aber wenn die unaufmerksam sind, liegt es doch auch an mir, weil ich es langweilig vermittle. Wenn ich es wirklich schafft, dass ich so grüppchenweise mal 20 Kinder gefesselt kriege, und sei es auch nur für 20 Minuten, dann ist das total toll. Weil, Kinder sind unsere Zukunft. Es kommt einfach darauf an, dass wir immer mehr lernen, uns auch wieder mit den Kindern auseinanderzusetzen und sie nicht einfach nur abschieben in Sportvereine und irgendwer wird sich schon drum kümmern. Nein. Gerade Menschen, die ein Vorbild darstellen, die sich wirklich um Kinder kümmern - Kinder wollen ernst genommen werden.
Ich erinnere mich: Als ich klein war, wenn ich irgendwie ein Problem hatte oder eine Frage oder irgendwas wollte, wenn ich das Gefühl hatte, ich werde nicht ernst genommen, dann ist auch die Freude an Sachen gestorben. Ich glaube, das ist einer der Punkte, wo es momentan sehr, sehr gut läuft. Wir haben eine unglaublich gute Rückmeldung – auch von den Schulen, von den Eltern, dass sie sagen: Mensch, die Frau Duplitzer gibt sich da wirklich Mühe und unsere Kleine ist nach Hause gekommen und hat richtig Spaß gehabt. Oder: Unser Sohn ist völlig begeistert, läuft nur noch mit ´nem Plastikschwert durch die Gegend. – Das ist toll.
Deutschlandradio Kultur: Sie sind seit Kurzem Mitglied bei den Grünen. Und jetzt streben Sie bei den Grünen eine Kandidatur für die Europawahl an. Am nächsten Wochenende bestimmen die Grünen bei einer Konferenz in Dresden ihre Kandidaten für die Wahl. – Warum wollen Sie in die Politik? Warum tun Sie sich das an?
Imke Duplitzer: "Antun"? Das klingt immer so, als ob ich mich vorm Vierteilen auf ein Wagenrad spannen lasse. – Es ist eine Herausforderung. Ich bin ein Mensch, ich habe sehr gerne Input. Es ist einfach das Transferieren von Wissen, was ich jetzt habe, in ein komplett anderes Umfeld. Ich sage immer so ein bisschen, ich komme mir momentan vor, als ob ich Mensch-ärgere-dich-nicht spiele und die Regeln noch nicht so genau kenne. Aber das ist natürlich auch eine Herausforderung – sage ich mal –, dieser rein politische Betrieb.
Und ansonsten, ich bin seit 22 Jahren Leistungssportlerin. Ich denke immer so ein bisschen zurück. Ich komme jetzt auch auf die 40 zu. Wie war ich früher? Wie bin ich jetzt? Warum bin ich so geworden? Das sind immer solche Standardfragen. Wieso sind Sie denn so, wie Sie sind?
Ich glaube, einen sehr großen Anteil hat auch mein Trainer an meiner persönlichen Entwicklung gehabt. Die Möglichkeit, dass ich in sehr jungen Jahren die Gnade hatte, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs sehr viel durch Osteuropa zu fahren, dass ich unglaublich viele Menschen, viele Kulturen kennengelernt habe und dass ich eben auch durch den Sport gelernt habe, andere Menschen – völlig egal Hautfarbe, andere Orientierung oder was auch immer – zu respektieren.
Ich bin der Meinung, im Vertrag von Lissabon ist Sport jetzt noch eine relativ neue, junge Geschichte. Es gibt unglaublich viele Möglichkeiten, die wir haben – nicht nur über die organisierten Sportverbände, aber gerade über Integrationsprojekte, Inklusion. Es gibt keinen Lebensbereich, der nicht irgendwo von Sport tangiert wird. Ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir Sport ein bisschen mehr auf die politische Agenda heben und vor allem die positiven Möglichkeiten des Sports mehr nutzen, um eine europäische Idee von unten rauf auch lebbar zu machen und erfahrbar zu machen.
Wenn Sie heute irgendwo durch die Gegend fahren, sehen Sie ganz oft: "Dieses Autobahnprojekt wurde mit Mitteln der Europäischen Union gefördert". Ich möchte dafür sorgen, dass sehr viel tolle Sportprojekte innerhalb der Europäischen Union zu einem Zusammenwachsen Europas beitragen und das eben auch im Rahmen von Finanzierungsmöglichkeiten. Dafür möchte ich eintreten. Dafür möchte ich kämpfen, weil, ich bin überzeugte Europäerin. Ich finde die europäische Idee faszinierend. Ich glaube, man muss sie nur den Menschen anders erlebbar machen. Deshalb möchte ich ins Europaparlament.
Ich bin fest davon überzeugt, dass es ein Zukunftsthema ist. Auch gerade die ganze Kommerzialisierung des Sports, Antidopingkampf, Gesundheitsprävention, das ist ein Themenfeld, da ist so viel Möglichkeit drin. Und ich möchte das einfach nach vorne bringen. Ich möchte dafür sensibilisieren und hoffe, dass ich an der BDK …
Deutschlandradio Kultur: …der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen. - Und wenn das jetzt sozusagen die Generalprobe war, hat das ganz hervorragend geklappt. Sie haben schon sehr überzeugend da…
Imke Duplitzer: …ich brenne auch einfach für das Thema. Es ist wirklich eine Sache, ich brenne dafür, ich glaube da dran, weil ich einfach gesehen habe und es selber gelebt habe, wie positiv Sport und alles, was dran hängt und bimmelt, für eine persönliche Entwicklung sein kann. Ich glaube, ich wäre immer noch das dumme, blöde, brätschende Gör, was auch teilweise intolerant Menschen gegenübersteht, wenn ich nicht diese Möglichkeiten durch den Sport gehabt hätte und einfach auch einen tollen Trainer, der dafür gesorgt hat, dass wir eben nicht nur von der Sporthalle ins Hotel schubbern.
Ich erinnere mich an eine Situation. Da habe ich mich in der Kleidungswahl vollkommen verhauen. Wir waren zur Europameisterschaft in Polen und ich stand an einem Samstagmorgen mit Schmuddelwetter bei minus vier Grad in einem Jeansjäckchen und Turnschuhen vor dem Eingang Auschwitz. Wir hatten eine zauberhafte Führerin. Das berührt. Das sind Sachen, die vergessen Sie nicht. Und ich glaube, diese Chance hätte ich nie gekriegt, wenn ich nicht zur Europameisterschaft nach Polen gefahren wäre. Ich glaube, das sind einfach solche Sachen. Wenn man diese europäische Idee und unsere Geschichte und alles wie die Zahnrädchen, die zusammenwirken, verstehen möchte, bietet Sport eine ganz tolle Möglichkeit.
Deutschlandradio Kultur: Was wir gar nicht ansprechen konnten in der Kürze der Zeit, Sie müssen ja auch von irgendwas leben. Sie sind Berufssoldatin…
Imke Duplitzer: …Zeitsoldatin…
Deutschlandradio Kultur: …Zeitsoldatin bei der Bundeswehr. Sie kämpfen um ein weiteres Olympia-Ticket. Das haben wir gehört. Sie sind Nachwuchstrainer, darüber haben wir gesprochen. Nun vielleicht auch noch eine Karriere in der Politik. – Haben Sie auch so was wie ein Privatleben?
Imke Duplitzer: Ja, ich habe so was wie ein Privatleben. Deshalb heißt es auch "Privat"-Leben. Das kommt momentan ein bisschen kurz, aber ich habe schon versprochen, diesen Sommer fahren wir mal weg. Wir werden den Hund einpacken und dann irgendwie mal gucken, dass man mal vielleicht sieben Tage Urlaub am Stück hinkriegt. – Schau’n wir mal.
Deutschlandradio Kultur: Viel Spaß dabei.
Imke Duplitzer: Dankeschön.
Deutschlandradio Kultur: Ganz herzlichen Dank für das Gespräch.