Hören Sie auch das Interview mit dem Filmemacher Guido Weihermüller zu seinem Film "Die Norm - Ist Dabeisein wirklich alles?".
Dabeisein ist keineswegs alles
"Dabei sein ist alles" - das ist heute eher die Ausnahme, zumal in Bezug auf die Olympischen Spiele. Im Zeitalter der Doping-Epidemien, restlosen Kommerzialisierung und zynischen Politisierung ginge es vielmehr um Leistung und Rekordsucht, so Arno Orzessek.
Wer über die romantische Sentenz "Dabei sein ist alles" reden will, der darf vom offiziellen olympischen Motto nicht schweigen: "Citius, altius, fortius" – schneller, höher, stärker.
Zur Erinnerung: Als Pierre de Coubertin 1896 die ersten Spiele der Moderne initiierte, hielt er beides für vereinbar: das Leistungsstreben der Athleten und ihre Prägung durch den Geist des Festes.
Der französische Pädagoge überhöhte den Sport zur "Muskelreligion", nannte die Sportler "Priester" und verfolgte allerlei moralische Vervollkommnungsabsichten. Genauso jedoch wollte er forschen Wettkampf sehen, Sieger und Rekorde.
Heute, im Zeitalter der Doping-Epidemien, der restlosen Kommerzialisierung, der zynischen Politisierung, lebt der alte Leistungsgedanke fort, die Rekordsucht hält an.
Als moralische Erziehungsanstalt aber haben sich die Spiele seit Coubertin kaum je bewährt und sind nicht erst seit Putins Staatsdoping-Farce in Sotchi 2014 völlig auf den Hund gekommen.
Gleichwohl weht durch die Ruinen der Ideale bisweilen noch ein besonderer Geist.
Max Planer, in Rio mit dem Ruder-Vierer Letzter des B-Finals, stellte klar: "In Deutschland zählen nur Medaillen. Für mich ist aber die Erfahrung das Wichtigste."
Der Basketballer Dirk Nowitzki, Fahnenträger in Peking 2008, wäre für Rio sogar vom Rücktritt zurückgetreten, hätte sich das Team nur qualifiziert. Obwohl ohne echte Medaillen-Chance, wünschte sich der NBA-Star, noch einmal dabei zu sein – ausdrücklich um des Spirits willen.
Magdalena Neuner: "Ich bin fertig mit Olympia"
Sportsfreunden alter Schule mag bei solchen Bekenntnissen das Herz hüpfen.
Allein, hier handelt es sich um höchst individuelle Dates mit dem ominösen olympischen Geist. Das IOC hat nichts gegen gutes Feeling auf Seiten der Athleten, vermarktet die Spiele als globale Handelsware jedoch völlig unabhängig davon.
Unvergessen Magdalena Neuner, Doppel-Olympiasiegerin in Vancouver 2010. Restlos genervt vom Herumgeschubse stöhnte sie: "Ich bin fertig mit Olympia." Ihr war der Geist nicht erschienen.
Die Sportförderung würde sich lächerlich machen, verteilte sie ihre Stipendien nach der Maxime "Dabei sein ist alles". Merkmale, die das rechtfertigen könnten, fehlen den Spielen.
Und beim bloßen Dabeisein dabei zu sein, das reicht auf Dauer auch nur den wenigsten Fernsehzuschauern – zumal in der verwöhnten Sportnation Deutschland.
Spitzensport-Förderung zielt auf Medaillen
Dass Robert Harting und andere mehr Geld für hiesige Olympioniken, erst recht für Medaillen-Gewinner fordern, ist darum nicht frech, sondern im Rahmen der Unterhaltungsindustrie Sport völlig konsequent...
Und die Pläne zur Spitzensport-Förderung, die Bundesinnenminister de Mazière jüngst vorgestellt hat, zielen genau darauf: auf Medaillen. Die Zwickmühle dabei: Potenzielle Sieger profitieren, während diejenigen, die sich diesen Status erst erarbeiten müssen, umso weniger Mittel dazu erhalten.
Aber nun. Der Wettkampf der Maximen ist entschieden: "Dabei sein ist alles" hat verloren, "Schneller, höher, stärker" hat gewonnen – und das kostet.
Seltsam nur, wie oft immer noch vom Verlierer gesprochen wird.