Durch Wut zur Empörungsspirale
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Der Start ins neue Jahr begann mit viel Kritik an öffentlich-rechtlichen Medienhäusern im Umgang mit Shitstorms von rechts. Was muss passieren, um das in Zukunft zu verhindern?
2019 endete mit einem Skandal für den WDR. Die einen, vornehmlich aus dem konservativen und rechten Lager, waren sauer, weil das "Umweltsau"-Video in ihren Augen selbst für Satire zu weit ging, die anderen, meistens eher links zu verorten, waren zornig, weil der Sender und sein Intendant Tom Buhrow nicht zum eigenen Produkt und vor allem Team standen.
Auch beim BR sah es ähnlich aus. Der freie Mitarbeiter Richard Gutjahr veröffentlichte einen offenen Brief an den Intendanten Ulrich Wilhelm, in dem er darüber sprach, wie er sich von dem Sender nach rechten Shitstorms im Stich gelassen fühlte. Sogar von Lügen war in diesem Fall die Rede. Die Vorwürfe wurden vom BR jedoch dementiert: Es habe sehr wohl Unterstützung gegeben und der Rundfunkrat sei nicht belogen worden.
Doch scheint es sich bei den aktuellen Ereignissen nicht um Einzelfälle zu handeln. Regelmäßig wird Kritik laut, dass Medienanstalten, gerade auch öffentlich-rechtliche, nicht angemessen auf Proteste im Netz reagieren. Woran das liegen könnte und was ein besserer Umgang mit diesen Themen wäre, klären wir im Gespräch mit der Autorin, Schauspielerin und Journalistin Samira El Ouassil.
"Man muss Wut in irgendeiner Form teilen "
Für sie sei es wichtig zu verstehen, sagt sie, wie ein Shitstorm zustande kommt. Gerade im Falle des "Umweltsau"-Videos sei es so gewesen, dass Leute sich bewusst empört fühlen wollten, um die Eskalationsspirale in Gang setzen zu können. Dazu verweist sie auf eine im "SPIEGEL" veröffentlichte Datenanalyse, die belegt, dass die Empörungswelle in rechten Netzwerken losgegangen ist. Dabei sei der Song bewusst missverstanden worden, um sich darüber aufregen zu können.
Dabei würden bewusst Netzwerk-Dynamiken genutzt, die auch für positive Zwecke eingesetzt werden können. Tweets und Screenshots ließen sich leicht verschicken – eine Niedrigschwelligkeit, von der auch Gruppen wie Fridays for Future profitieren würden. Um diese Dynamiken zu nutzen, funktioniere vor allem eine Emotion besonders gut, so El Ouassil: Wut. "Dieses Gefühl ist eine Emotion, die Menschen sehr schlecht für sich behalten können, weil es eine Spannung erzeugt. Man erträgt es nicht, Wut aushalten zu müssen. Das heißt, man muss diese Wut in irgendeiner Form teilen und macht das dann buchstäblich durch Shares und Retweets.""
Wenn man es also schaffe, die Wut in einer Person zu triggern, könne man sich sicher sein, dass etwas sehr gut, schnell und viel geteilt werden wird. Und genau diese Spirale funktioniere in rechten Milieus, vor allem bei Twitter, besonders gut. Im Fall der "Umweltsau" sei diese Wut ja sogar in Form von 200 Demonstrierenden, darunter auch Rechtsextremen, auf die Straße geschwappt und habe damit noch eine ganz andere Dynamik und Eskalationsstufe erreicht.
Solidarität neutralisiert das toxische Moment
Das wichtigste Instrument gegen solche Shitstorms ist für El Ouassil Solidarität, vor allem nach außen: "Das neutralisiert im Grunde genommen das toxische Moment des Shitstorms, weil dadurch die Leute, die angegriffen werden, im Einzelnen nicht isoliert sind, sondern quasi den Zusammenhalt einer größeren Gruppe online repräsentativ zeigen oder präsentieren können." Sie habe den Eindruck, dass – zumindest im aktuellen Fall – im Sender noch nicht verstanden worden sei, wie diese Empörungs-Kaskaden ablaufen und welche Dynamiken dahinter stecken und dass es eigentlich nur ein Versuch von Rechten gewesen sei, den Sender vor sich herzutreiben.
"Wichtig ist hierbei eine digitale Kompetenz, die einen nicht auf eine sehr bedrohlich wirkende Reaktion aus dem Netz reinfallen lässt, sondern zu erkennen, wo der Ursprung von dieser instrumentalisierten Empörung liegt und dann wirklich souverän und mit Solidarität und Zusammenhalt darauf zu reagieren." Vorhandene Probleme seien dann natürlich trotzdem intern zu lösen, aber nach außen gelte es Zusammenhalt und Stärke zu zeigen, um den Mob zu entmobilisieren.
Künstlerische Freiheit wurde desavouiert
Es gelte eine starke Satire-, Lese- und Medienkompetenz zu entwickeln, um sich nicht durch das laute Negativ-Echo in den sozialen Netzwerken aus dem Konzept bringen zu lassen. Darum sei es für El Ouassil auch sehr fatal gewesen, dass Tom Buhrow sich so früh vehement von dem Video distanziert hat: "In dem Moment hat er die künstlerische Freiheit der Leute, die am Video beteiligt waren, sofort desavouiert und vermittelt, dass der Sender sich eher einem kritischen Publikum beugt, als die beteiligten Journalisten und Redakteure zu schützen."
Dabei sieht sie das Problem, dass gerade öffentlich-rechtliche Sender stark hierarchisch organisiert sind, weshalb sie noch nicht in der digitalen Sphäre angekommen seien. Eine Fähigkeit, die erarbeitet werden müsse, sei herauszufinden, ob ein Shitstorm berechtigt ist oder nicht - und entsprechend zu reagieren.
Und sollte er nicht berechtigt sein: "Solidarität, Solidarität, Solidarität. Das ist ganz wichtig, das hat auch der Beitrag von Richard Gutjahr sehr eindrucksvoll gezeigt. Es ist wichtig Redakteure, Journalisten – freie wie feste – zu schützen, gerade in Zeiten von rechter Mobilmachung in den sozialen Netzwerken. Und das dritte ist: Politiker sollten sich nicht so früh in Empörungsspiralen einschalten."
(hte)