Omar Robert Hamilton: Stadt der Rebellion
Aus dem Englischen von Brigitte Walitzek
Quartbuch, 320 Seiten, 24 Euro
Klaus Wagenbach Verlag, Berlin
Lesungen: Der Autor liest am 27. Februar 2018 im Gorki Theater Berlin und im März 2018 auf der LitCologne in Köln.
Ägypten und die erstickte Revolution
Im Zentrum des Romans "Stadt der Rebellion" stehen die Menschenrechtsaktivistin Mariam und der Amerikaner Khalil. Zwei unglücklich Verliebte während der Kairoer Massenproteste von 2011. Der britische Filmregisseur Omar Robert Hamilton hat sie hautnah miterlebt.
In einem stickigen Raum, in dem "Eisblöcke zwischen toten Körpern" schmelzen, beginnt das erzählerische Debüt des britischen Filmregisseurs Omar Robert Hamilton. Angehörige verlangen, dass die Toten dem muslimischen Ritus folgend binnen eines Tages bestattet werden, während Menschenrechtsaktivisten und Ärzte auf Autopsien bestehen. Nur so lässt sich beweisen, dass staatliche Organe Protestierende gezielt töteten. Es ist der 9. Oktober 2011. Die Szene führt übergroß vor Augen, dass Leichenschauhäuser und Wohnungen, in denen Erste-Hilfe geleistet wird, die Hauptschauplätze der von den Muslimbrüdern und der Armee gekaperten Revolution in Ägypten geworden sind.
Sohn einer ägyptisch-palästinensischen Schriftstellerin
Wenige Tage nachdem am 25. Januar 2011 auf dem Tahrir-Platz Massenproteste losbrachen, ist der Autor nach Kairo geflogen, und er blieb bis die Gewalt unter General Al-Sisi für ihn unerträglich wurde. Hamilton, Sohn einer ägyptisch-palästinensischen Schriftstellerin und eines britischen Poeten, spricht Arabisch. Er gehört zu den Gründern des Aktivisten- und Medienkollektivs Mosireen, das den Aufstand wie die zunehmenden Menschenrechtsverletzungen in Bild-und Wortzeugnissen ungeschnitten archiviert und ins Netz gestellt hat.
"Stadt der Rebellion" ist ein mehrstimmiges Werk. Hamilton mischt Fiktion mit Twitter-Meldungen, Graffitis, Sprechchorparolen, Interviewaussagen sowie Zeitungs- und Fernsehmeldungen und nennt dabei die Quellen. Sein Buch liest sich wie die Chronik der in blutigem Terror erstickten Revolution. Im Zentrum dieses dokumentarischen Romans stehen die Menschenrechtsaktivistin Mariam und der Amerikaner Khalil. Unglücklich Verliebte. Sie erschöpft sich in der Planung klandestiner Maßnahmen, er hadert mit der fehlenden Weitsicht von Aktivisten.
Die Frommen als Spielball
Collagetechnik und schnelle Dialoge erzeugen eine packende Unmittelbarkeit. Streckenweise meint man, den Alltag des hastenden Kollektivs zu kennen. Derb verflucht werden die Muslimbrüder und General Al-Sisi, der die Frommen geschickt als Spielball für die Vorbereitung seines Putsches 2013 nutzte und ebenso das mithilfe von Lynchmorden durchgesetzte "beschissene Projekt der ägyptischen Wiedergeburt". Hamilton beschreibt, wie Mariam und andere junge Ägypterinnen in schäbige Polizeireviere preschen und noch im ersten Jahr der Revolution durch ihr respektloses Auftreten die sofortige Freilassung Protestierender erwirken. Dass Politiker und Zivilisten damals nichts unternahmen, um die aggressive "Belagerung" von Frauen im öffentlichen Raum zu unterbinden, war ein Offenbarungseid. Hamilton legt den Finger auf diese offene Wunde.
Ein aufrüttelndes Buch
Resigniert lässt er seinen Protagonisten Khalil schließlich fragen, ob nach Al-Sisi's Putsch mit Protestsprüchen bedruckte T-Shirts und Taschen etwa die Funktion "ewiger Mahnwachen" zu erfüllen begännen. Aus Respekt vor all denen, die Ägypten nicht verlassen können, richtet Hamilton zuletzt den Blick auf den 2014 in Haft gestorbenen Menschenrechtsanwalt Ahmed Seif. Er ist mit ihm verwandt. Seifs Kinder saßen ebenfalls im Gefängnis. Eines ist der Blogger Alaa Abdel-Fatah. Ihm hat Hamilton sein empathisches, wildes und aufrüttelndes Buch über eine heute in Angst und Schrecken lebende "Stadt der Rebellion" gewidmet.