Nicht nur Bomben, sondern auch Nahrung
Die Situation in den von Truppen des Assad-Regimes oder vom IS belagerten syrischen Städte ist dramatisch. Nur sehr wenige Hilfskonvois mit Nahrungsmitteln kommen durch. Der Grünen-Politiker und Außenpolitikexperte Omid Nouripour fordert deshalb eine Versorgung auch aus der Luft.
Der außenpolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Omid Nouripour, hat gefordert, die hungernde syrische Bevölkerung notfalls auch aus der Luft zu versorgen.
Die Lage in vielen belagerten Städten wie das von Assads Truppen belagerte Madaya sei dramatisch, sagte Nouripour im Deutschlandradio Kultur. Laut dem letzten UN-Bericht bekämen in den betroffenen Gebieten nur 0,7 Prozent der Menschen Hilfsgüter. "Das ist einfach furchtbar und beschämend und zeigt die Dramatik der Situation in Syrien." Hilfe zu leisten, sei Auftrag der Weltgemeinschaft:
"Ich glaube, dass es zum Beispiel notwendig ist, dass die Staaten, die gerade mit Fliegern über Syrien unterwegs sind - und dazu gehört auch die Bundesrepublik Deutschland, - mal miteinander reden und prüfen, ob es möglich ist, Hilfe aus der Luft zu organisieren – gerade für diejenigen, die im Osten des Landes unter ISIS belagert sind."
Erklärungsproblem gegenüber der Bevölkerung
Es sei nicht einfach, der syrischen Bevölkerung zu erklären, "warum man bereit ist, mit Fliegern zu kommen, um Bomben abzuwerfen, aber nicht bereit ist, Essenspakete abzuwerfen."
Die Situation sei jedoch schwierig, da Assads Truppen solche Hilfsmaßnahmen aus der Luft nicht gefallen würden. Interessant sei auch, wie die Russen argumentieren würden, die faktisch die Lufthoheit über Syrien hätten. "Assad kann es nicht gefallen, weil er ja derjenige ist, der mitbelagert und mitaushungern lässt. Aber die Russen müssten erklären, was denn eigentlich dagegen spräche."
Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Es gilt als Kriegsverbrechen, das gezielte Aushungern der Bevölkerung - und dennoch wird es immer wieder praktiziert. Die Belagerung von Leningrad dauerte zum Beispiel 900 Tage und gilt als eines der schwersten Verbrechen des Zweiten Weltkrieges, die serbische Armee riegelte Sarajevo fast vier Jahre lang ab, Tausende kamen zu Tode.
Schon im Juni 2015 hatte der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in einem Bericht zur Lage im Bürgerkriegsland Syrien darauf hingewiesen, dass alle Konfliktparteien systematisch aushungern, zum Beispiel auch in der Stadt Madaya, sie benutzen das als Kampfmethode, und allein in Madaya sollen nach UN-Angaben 40.000 Menschen hungern. Nun sind erste Hilfskonvois Anfang dieser Woche durchgekommen, und es ist ja schwierig in diesem Bürgerkriegsland an gesicherte Informationen zu kommen.
Omid Nouripour ist verteidigungspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, stammt aus dem Iran und hat persönliche Kontakte nach Syrien. Schönen guten Morgen hier in Studio 9!
Omid Nouripour: Schönen guten Morgen!
Brink: Der UN-Botschafter aus Syrien bei den Vereinten Nationen hat ja rundweg abgestritten, dass Menschen hungern, zum Beispiel auch in Madaya – was wissen Sie konkret über die Situation dort?
Nouripour: Na ja, diese Leugnung ist schlicht bizarr, gerade bei den VN, die selbst einen Bericht Mitte Dezember veröffentlich haben, dass in Syrien um die 400.000 Menschen zurzeit unter Belagerung sind. Es ist sehr einfach, Informationen über die UN zu bekommen, es ist ein bisschen komplizierter von den syrischen NGOs die seriösen rauszupicken – es gibt ja eine große Landschaft mittlerweile von Informationen, die nicht alle valide sind, aber man kriegt mit ein bisschen Routine und auch mit Landeskenntnissen schon zu einem gewissen Grade verifiziert.
Ich war selbst sehr häufig im Land seit den 90ern bereits, und es gibt immer noch Freunde, die dort unter widrigsten Umständen leben und versuchen, Informationen rauszuschmuggeln, und da muss man dankbar sein und sich drauf verlassen.
Brink: Nun haben wir die Situation in Madaya im Fokus – ein erster Hilfskonvoi soll ja oder ist durchgekommen am Anfang dieser Woche, um den Menschen Hilfe zu leisten. Was wissen Sie darüber?
Ein Hilfskonvoi reicht nicht
Nouripour: Das ist sehr gut und es ist alles andere als normal, denn wenn man von Damaskus irgendwo hinfährt, was weiter als 100 Kilometer weg ist, dann muss man möglicherweise, wenn man Pech hat, durch zehn, zwanzig Checkpoints, und es kann sein, dass man dadurch fünf, sechs, sieben verschiedene Gruppierungen vor sich hat, die man überzeugen muss irgendwie, dass man da durchkommt, deshalb ist das schon gut, dass das geklappt hat, gerade auch, dass Assad diesen Konvoi durchgelassen hat, aber das reicht ja nicht auf Dauer, um die Menschen in Madaya zu versorgen.
Das ist ja erst mal der Tropfen auf dem heißen Stein. Hoffentlich folgen noch weitere Konvois und zwar nicht nur in Madaya, sondern auch in (?), das ist östlich von Damaskus. Die zentrale Frage, die auch noch bleibt, ist, was machen wir mit den 200.000, die von Isis umzingelt worden sind. Mit Isis kann man nicht so sprechen.
Brink: Nun haben Sie Isis erwähnt, aber natürlich haben wir auch eine Situation, dass sowohl die Rebellen wie auch die syrische Armee natürlich diese Praxis betreibt. Bekommen Sie das auch mitgeteilt von Ihren Kontakten in Syrien? Was erzählen die Ihnen?
Nouripour: Ja, ich meine, der erste, der es gemacht hat, war ja Assad und seine Armeen, also es gibt furchtbare bekannte Beispiele wie Jarmuk, Palästinenserviertel – viele, viele Hungertote, Homs, Hama, Aleppo, das sind alles Beispiele der letzten vier Jahre, für die eindeutig Assad zuständig ist. Es gibt mittlerweile vier Resolutionen der Vereinten Nationen über Zugang zu humanitären Gütern, und der letzte Bericht vor einem Monat der Vereinten Nationen sagt, in diesen belagerten Gebieten bekommen 0,7 Prozent der Menschen Nahrungshilfe, und das ist einfach furchtbar und beschämend und zeigt die Dimension der Dramatik in Syrien.
Brink: Wie kann man da weiterhelfen? Das bewegt uns ja alle. Der Konvoi, der jetzt durchgekommen ist, ist vom Roten Kreuz, vom Halbmond – sind das die einzigen, die eigentlich helfen konnten, und sind die nicht auch auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen, dass man sie durchlässt?
Humanitäre Hilfe ist Auftrag der Weltgemeinschaft
Nouripour: Es muss ja irgendwie möglich sein, humanitäre Hilfe zu leisten, das ist auch Auftrag der Weltgemeinschaft. Ich glaube, dass es zum Beispiel notwendig ist, dass die Staaten, die gerade mit Fliegern über Syrien unterwegs sind – dazu gehört ja auch die Bundesrepublik Deutschland –, mal miteinander reden und prüfen, ob es möglich ist, Hilfe aus der Luft zu organisieren, gerade für diejenigen, die im Osten des Landes unter Isis jetzt belagert sind, aber eben genauso auch für Zabadani, das ist eine Stadt in den Bergen im Westen des Landes, ganz schlecht erreichbar und schon sehr lange mittlerweile belagert von Assads Schergen.
Es ist nicht einfach, der syrischen Bevölkerung zu erklären, warum man bereit ist, mit Fliegern zu kommen, um Bomben abzuwerfen, aber nicht bereit ist, Essenspakete abzuwerfen, und deshalb muss das geprüft werden, ob das nicht möglich ist, auch wenn es hochkompliziert ist.
Brink: Das wollte ich gerade sagen, es ist ja hochkompliziert – warum ist das Ihrer Meinung nach bislang nicht geschehen?
Nouripour: Es ist ganz schwierig, erstens, wirklich sachlich auch Aufmerksamkeit für Syrien zu erlangen. Ich meine, nicht jetzt die 250.000 Tote des Landes haben unsere Konzentration auf Syrien mit sich gebracht, sondern die Flüchtlinge und die fürchterlichen Anschläge von Paris.
Und es ist gleichzeitig so, dass die Weltgemeinschaft ja ein Stückchen blockiert ist. Ich würde sehr, sehr gerne wissen, wie Assad oder eben auch die Russen argumentieren würden, die ja die Lufthoheit faktisch haben in Syrien, wenn es darum geht, dass man Hilfsgüter abwerfen soll. Da wäre ich sehr gespannt, was die Argumentation wäre.
Assad kann es nicht gefallen, weil er derjenige ist, der ja mitbelagert und mit aushungern lässt, aber die Russen müssten erklären, was denn eigentlich dagegen spräche.
Brink: Vielen Dank, Omid Nouripour von den Grünen im Bundestag, für Ihre Einschätzung und Informationen. Wir sprachen darüber, dass erste Hilfskonvois zum Beispiel in die Stadt Madaya, die umzingelt ist, durchgekommen sind. Danke, Herr Nouripour!
Nouripour: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.