Schluss mit Pöbeln im Internet
In Onlineforen wird anonym über Menschen hergezogen und diffamiert. Der deutsche Presserat hat anlässlich seiner Jahresbilanz jetzt angekündigt, sich stärker um diese verbalen Entgleisungen zu kümmern. So soll der Pressekodex anpasst werden.
Über die Hälfte aller Beschwerden betrafen im vergangenen Jahr Veröffentlichungen in Online-Medien, ein Novum in der Geschichte des Presserats. Dabei gab es durchaus Beschwerden auch über renommierte Portale, wie etwa faz.net oder focus.de. Was für den Presserat schwierig zu beurteilen ist, sind Leser-Kommentare unter den Artikeln, zumal wenn sie nicht unter Klarnamen geschrieben sind. Hier müsse man den Pressekodex überarbeiten, sagt der Geschäftsführer des Deutschen Presserats Lutz Tillmanns:
"Das sind alles Punkte, die in den letzten fünf Jahren immer mal wieder und zunehmend mehr Gegenstand von Beschwerden sind. Die unterziehen wird dann dem allgemeinen Regularium, den Sorgfaltsregeln oder den persönlichkeitsrechtlichen Fragestellungen, aber wir haben insbesondere im Bereich der Richtlinien und Empfehlungen keine Konkretisierungen, und die ist nachzuholen."
Eine der Fragen, die es zu klären gilt, ist: Sind Leserforen von der Redaktion moderiert oder nicht, kann man das gleichsetzen? Und wie sieht es aus mit den Regeln bezüglich der Klarnamen von Lesern? Kann man auch unter Pseudonym schreiben, sogenannten "Nicknames“?
"Bei Online-Beiträgen ist die Sorgfaltspflicht nicht so verengt, dass die einen konkreten Namen ausweisen müssen, sie lassen auch Nicknames zu. Und das wird sicherlich auch Inhalt der Richtlinien sein, aber da sind wir im Moment noch in der Diskussion."
Rechtlich noch interpretationsfähig
Grundsätzlich sind einige Bereiche der Online-Publizistik rechtlich noch interpretationsfähig, wenn es etwa um Haftungen von Redaktionen geht. 2007 verurteilte beispielsweise das Landgericht Hamburg den Blogger Stefan Niggemeier, dafür zu sorgen, dass keine ehrverletzenden Kommentare auf seinem Blog stehen. Und das obwohl Niggemeier den betreffenden Kommentar schon nach einem halben Tag gelöscht hatte. Man sieht: Das Thema ist noch lange nicht ausdiskutiert.
Doch auch klassische Zeitungen und Zeitschriften boten im vergangenen Jahr reichlich Grund zu Beschwerden. Insgesamt waren es 1500, die beim Presserat eingingen, davon wurden aber zwei Drittel als unbegründet abgewiesen. Immer wieder auf der Liste: Boulevard-Medien wie die BILD-Zeitung oder die TITANIC. BILD titelte über den NSU-Prozess und die Angeklagte Tschäpe: „Der Teufel hat sich schick gemacht“ – starker Tobak, aber dennoch kein Grund für eine Rüge, sagt die Sprecherin des Presserats Ursula Ernst:
"Das war so beschieden worden, dass man gesagt hat: Das ist im Rahmen einer Meinungsäußerung, das ist eine Bewertung, das ist vielleicht an der Grenze, aber ist durchaus noch akzeptabel in dem Zusammenhang."
Über Geschmack lässt sich streiten
Letztlich geht es bei vielen Beschwerden um Geschmacksfragen – und über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Gerade Satiremagazine wie die TITANIC testen allmonatlich Grenzen aus, und überschreiten diese auch – eine Postkarte mit einer Hostiengabe, darauf die Überschrift: "Die Pille danach – endlich!“ oder wenn unlängst ein Bild des Rennfahrers Niki Lauda erschien mit der Unterzeile: "So schlimm traf es Schumi“, dann geht es um nichts weniger als die Freiheit der Satire. Ursula Ernst:
"Grundsätzlich wissen Sie, dass Satire sehr, sehr viel darf, aber was sie nicht darf, ist Personen schädigen. Und in dem Augenblick, jetzt gerade im Hinblick mit satirischen Darstellungen, was die katholische Kirche anbelangt, zum Beispiel, da sagen wir: Solange es die Organisation, die Kirche betrifft, darf Satire sehr viel. Wo wir dann gesagt haben: Nein, hier ist Schluss, das war dann als sie einen bestimmten Papst persönlich ins Blickfeld nahmen. Und da war das eine Beleidigung und Schmähung dieser Person und dann hört es auch für die Satire auf."
Grundsätzlich empfiehlt der Presserat, sich immer erst einmal mit der Redaktion selbst in Verbindung zu setzen. Denn die weiß am besten, wie ein Artikel oder ein Foto entstanden ist. Wenn das nichts hilft, kann man sich online problemlos beim Presserat beschweren – und das seit Januar noch einfacher dank einer neugestalteten Homepage.