Online-Sucht: Wann wird der Computer zum Problem?

Von Susanne Billig |
Mitte der neunziger Jahre prägte Ivan Goldberg den Begriff "Internet Addiction" - Internet-Sucht. Der New Yorker Psychiater wollte eigentlich einen Scherz machen - doch schon bald meldeten sich Patienten bei ihm, um ihr ausschweifendes Internetleben therapieren zu lassen. Nach einer Studie der Berliner Humboldt-Universität halten sich rund 650.000 Deutsche länger als fünf Stunden pro Tag im Netz auf, vor allem männliche Jugendliche. Doch bis heute ist der Begriff der Internet-Sucht medizinisch umstritten - und die Frage, ab wann der Computer schädlich wird, lässt sich im Alltag gar nicht so leicht beantworten.
"Das ist jetzt meine Heimatstadt, die heißt Gatgezan, und hier erledige ich meine Quest, also meine Aufgaben. Jetzt reite ich mal aus der Stadt heraus, und töte jetzt ein für meine Quest benötigtes Monster, indem ich einen Pyroschlag mache, mit einem Feuerball, einen Flammenschlag, eine Frostnova - und tot."

Sagt der Sohn ... und die Mutter?

"Ich hab den Eindruck, der Realkontakt ist zurückgegangen. Definitiv. Und das hat nicht nur mit seiner Spielsucht unbedingt zu tun, sondern die Kinder kommunizieren eben sehr viel über das Chatten und diese Spiele. So dass sie sich selten alleine fühlen, auf der einen Seite. Auf der anderen Seite, ja, frag ich mich immer, ob das nicht auch so überflutet, dass man dann das Reale tatsächlich als Leere empfindet."

Stundenlang vor dem Computer sitzen und nur die Hand mit der Maus bewegen - Leonard und Annik Pietsch kennen das gut. Der 13-Jährige versinkt im Internet, die Mutter macht sich Sorgen - und die Experten diskutieren. Können Computer süchtig machen? Studien sagen: Vor allem Jugendliche - vorwiegend Jungen - verbringen zu viel Lebenszeit am Bildschirm. Wer sein Kind davon abhalten möchte, hat viel zu tun.

"Das ist ein endloses Gezerre. Natürlich, die Kinder tauschen sich in der Schule aus und dann heißt es immer, 'der darf aber', und 'du bist so streng'. Und das ist eine anstrengende Auseinandersetzung, die man inhaltlich auch führen muss. Man muss das begründen, und wenn die Begründung auch nicht fruchtet, dann muss man‘s halt einfach verbieten."

Von "Internetsucht" spricht nur der Volksmund. Die Forschung hantiert mit englischen Begriffen - von "Cyberdisorder" bis "Pathological Internet Use". Eine medizinisch unstrittige Diagnose gibt es nicht. Und während die Wissenschaft debattiert, ringen Eltern und Kinder um die Frage: Wie viel Computer ist zu viel?

"Das wächst konstant! Also es ist im Grunde genommen ein Fass ohne Boden. Und die Kinder haben keine Lust auf so lernpädagogische Spiele, also solche Hausarbeits- oder Trainingsspiele für Englischlernen, Deutschlernen und so weiter, das ist sehr schnell langweilig. Dann geht es von den einfachen Strategiespielen zu eigentlich auch brutaleren Geschichten - und dann wird es ganz schnell kritisch, also weil man dann auch als Elternteil überfordert ist."

Und weil es im Internet alles gibt, auch die Kritik am Internet, haben Online-Portale sich des Themas angenommen. Sie heißen onlinesucht.de, rollenspielsucht.de oder webaholic.info. Computer-Nutzer könnten von Chat-Sucht, Sex-Sucht oder Spiel-Sucht ergriffen werden, lautet die Warnung. Die Forschung ist sich nicht so sicher: Untersuchungen zeigen, dass exzessive Surfer vor allem unter versteckten Depressionen leiden.

Jugendliche lieben Rollenspiele im Internet. Mit Abstand DER Renner ist WOW: "World of Warcraft". In einer opulenten Fantasiewelt schließt man sich zu Gruppen zusammen, um Aufgaben zu bewältigen - jede Menge Monster sind zu töten und Zauberkräuter müssen herbei geschafft werden. Brutal ist das nicht - die Gefahren des Spiels lauern woanders.

"Weil sich diese Welt dort konstant verändert, man muss also auf dem Laufenden bleiben, man muss da ab und zu rein, um zu sehen, was jetzt da gelaufen ist. Wenn man jetzt gemeinsam eine Aufgabe erfüllen muss, dann darf man eben kein 'Kameradenschwein' sein und einfach aufhören."

Leonard und seine Mutter haben hart verhandelt. Nun darf der Junge Computerzeit ansparen, um mehrere Stunden am Stück spielen zu können. Doch der PC ist, auch für Jugendliche, weit mehr als nur ein Spielzeug.

"Was noch mal die Sache verkompliziert. Übers Chatten lernen die tippen. Übers Chatten lernen sie überhaupt die Kommunikation mit Personen. Über das Spielen lernen sie Regeln und Grenzen einzuhalten. Über das Aufrufen von irgendwelchen obskuren Seiten über Aliens lernen sie Englisch."

Internet und Computer sind so zwiespältig wie die moderne Welt. Der vorschnelle Sucht-Verdacht hilft da nicht weiter.

"Das Problem ist, dass man natürlich als Erwachsener sofort sagt, ja, also wenn du in Wikipedia dir was durchliest und wenn du jetzt mit Google Earth die Welt erkundest, dann findet man das wunderbar. Aber wenn die Kinder chatten, und möglichst dabei auch noch Musik hören oder eben spielen... wo ich sag: 'Leonard, ich könnte mich da nicht konzentrieren! Wie kannst du hier lesen, wenn du Musik hörst ? Und nebenbei hörst du immer, chack, chack, kommt vom Chatten 'ne Nachricht rein?!' Und er sagt, er hat keine Probleme dabei! Als ich noch nicht Mutter war, konnte ich mir auch nicht vorstellen, dass ich koche, ein kleines Kind nebenbei habe und noch dem Radiobericht zuhören kann."

Sagt die Mutter ... und der Sohn?

"Süchtig ist, wenn man sich so ziemlich dahinter zurückzieht und dann wirklich gar nichts anderes mehr macht. Gar nichts. Und nicht süchtig ist, wenn man dann noch Spaß mit seinen Freunden hat und nicht nur vorm PC sitzt."