Opel ist im Wettbewerb "auf der Strecke geblieben"
Insbesondere junge Leute könnten sich heute kaum noch vorstellen, einen Opel zu kaufen, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Ulrich van Suntum. Die Opel-Krise habe daher vor allem mit dem Management der Marke beim US-Mutterkonzern General Motors zu tun. Insgesamt sei der deutsche Arbeitsmarkt aber sehr robust. In der Finanzkrise seien sogar Arbeitsplätze geschaffen worden.
Jan-Christoph Kitzler: 20.000 Gäste hatte man eingeladen. Eigentlich sollte das heute eine schöne Feier werden im Bochumer Opel-Werk. Feiern wollte man mit den sogenannten Opelanern und mit ihren Familien, 50 Jahre Autoproduktion am Standort Bochum. Doch weil der US-Mutterkonzern General Motors in dieser Woche verkündet hat, nach 2016 werden keine Autos mehr gebaut in Bochum, ist heute niemandem zum Feiern zumute, die Feier wurde abgeblasen. Stattdessen gibt es Proteste.
Was sagt der Fall Opel aus über die Lage in Deutschland? Das will ich jetzt mit Ulrich van Suntum besprechen, er ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Münster. Er hat vor einigen Jahren das Buch "Masterplan Deutschland" und nicht zuletzt ist er auch Botschafter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Schönen guten Morgen!
Ulrich van Suntum: Guten Morgen, Herr Kitzler!
Kitzler: Sie sind ja selbst Bochum auch ein bisschen verbunden, Sie haben dort studiert und gelehrt. Was sind denn Ihre Lehren jetzt aus dem angekündigten Ende der Autoproduktion im dortigen Opel-Werk? Ist das ein eher singuläres Ereignis oder sagt das vielleicht auch etwas aus über den Standort Deutschland?
van Suntum: Also, dem Standort Deutschland geht es eigentlich relativ gut. Im Ausland spricht man ja sogar vom German Jobwunder, weil Deutschland das einzige Land ist, das in der Finanzkrise Arbeitsplätze noch aufgebaut hat und die Arbeitslosigkeit abgebaut. Und das ist nicht zuletzt eine Folge der eigentlich sehr klugen Politik, die in den letzten Jahren getrieben worden ist in Deutschland. Wir haben zum Beispiel gute arbeitsmarktpolitische Instrumente, wir haben diese Hartz-IV-Reformen gemacht, die sind zwar in der Politik heute nicht mehr so beliebt, aber die haben wesentlich dazu beigetragen, dass der Arbeitsmarkt flexibler geworden ist in Deutschland, die Lohnpolitik hat sich zurückgehalten und damit die Basis dafür geschaffen, dass es in Deutschland insgesamt aufwärts geht am Arbeitsmarkt. Wir haben 2011 ja weniger Arbeitslose gehabt als in den Jahren vorher und wir haben mehr Beschäftigung aufgebaut. Und darum ist der Fall Opel ein spezieller Fall, der einerseits mit dem Standort, aber vor allen Dingen auch mit Opel und General Motors zu tun hat.
Kitzler: Aber kann man nicht trotzdem daraus auch einiges ableiten? Zum Beispiel die Frage: Autoproduktion in Deutschland ist zu teuer, gleichzeitig Konsum von Autos ist zu wenig?
van Suntum: Also, die Autoproduktion ist in Deutschland nicht generell zu teuer. Ein Fünftel aller Pkw in der Welt wird in Deutschland produziert, das zeigt ja schon, dass Deutschland ein sehr guter Standort ist für Automobilproduktion. Die Autos sind natürlich nicht die billigsten, aber sie gehören nach wie vor zu den besten. Und insofern haben viele deutsche Automobilhersteller, zum Beispiel auch VW und BMW, sehr große Erfolge auch im Ausland. Aber der westeuropäische Markt geht zurück, durch die Schuldenkrise nicht zuletzt. Natürlich, wenn Sie überall Rezession haben, kaufen die Leute keine Autos, das betrifft auch Deutschland. Es werden weniger Autos gekauft als noch vor einigen Jahren. Ja, und im Wettbewerb bleibt dann eben derjenige auf der Strecke, der am wenigsten beliebt ist. Und Opel baut nun mal Autos, die zwar inzwischen wieder sehr gut sind, die aber ein schlechtes Image haben durch eine schlecht Modellpolitik der Vergangenheit. Und insbesondere junge Leute können sich kaum vorstellen, einen Opel zu kaufen. Und da liegt eigentlich das Problem.
Kitzler: Sie haben ja schon den Standort Deutschland gelobt und auch die Politik, die dafür getan wurde. Was macht denn eigentlich einen guten Standort aus, was sind da die wichtigsten Faktoren?
van Suntum: Ja, da gibt es ganz viele Faktoren. Deutschland wird niemals ein Billigstandort sein und sein können, aber wir können das durch die hohe Qualität unserer Arbeitskräfte ausgleichen. Wir haben ja zum Beispiel das duale Ausbildungssystem, was es in anderen Ländern so nicht gibt. Deutsche Handwerker sind die besten der Welt, werden überall nachgefragt, made in Germany ist richtig ein Qualitätsmerkmal. Aber das führt natürlich auch dazu, dass man nicht übertreibt, zum Beispiel bei der Lohnpolitik, da sollte man weiter Maß halten.
Es gehört auch dazu, dass man zum Beispiel bei den Energiekosten aufpasst, Deutschland hat mit die höchsten Energiepreise inzwischen, weil wir eben diese sogenannte Energiewende unbedingt haben wollten, das hat seinen Preis. Und natürlich auch, gehören auch Dinge wie Steuern und Infrastrukturpolitik dazu. Da muss also das Paket stimmen. Insgesamt ist Deutschland erfolgreich, aber es gibt eben große regionale Unterschiede. Und das Ruhrgebiet gehört seit Jahrzehnten eben wirklich zu den Problemregionen.
Kitzler: Bei den Löhnen muss man Maß halten, haben Sie gerade gesagt. Gerade erst in dieser Woche gab es ja Berichte, nach denen die Mittelschicht in Deutschland dramatisch gesunken ist, auch weil es jahrelang Reallohneinkommensverluste gab. Wie weit kann man das denn eigentlich treiben: Die Löhne niedrig halten, um wettbewerbsfähig zu sein international, aber gleichzeitig damit auch zu riskieren, dass sich viele Menschen hier die Wohnung nicht mehr leisten können, geschweige denn ein teures Auto?
van Suntum: Ja, die Löhne sind ja nicht etwa niedrig in Deutschland. In Deutschland gehören die Löhne nach wie vor zu den höchsten der Welt. Aber das kann man eben nur sich leisten, wenn man entsprechende Produktivität hat und entsprechende Erfolge. Ich kann ja nicht einfach die Löhne erhöhen, wenn die nicht bezahlt werden können.
Kitzler: Aber ist es nicht ein Problem, dass die Mittelschicht ausgedünnt wird?
van Suntum: Die Mittelschicht, da gibt es unterschiedliche Studien, auch unterschiedliche Abgrenzungen. Ich glaube, da wird auch ein bisschen Ideologie betrieben bei dieser Diskussion um die Mittelschicht. Richtig ist, dass viele Leute in die Klemme geraten, das hängt aber auch mit den Steuern zusammen. Denn der stärkste Anstieg der Besteuerung der Einkommen, der findet in der Tat in der Mittelschicht statt. Etwa die Hälfte der Haushalte, der Privathaushalte in Deutschland zahlt überhaupt keine Einkommensteuern, das muss man sich klar machen! Und die ganz Reichen, das sind eben nur ganz wenige, da kommt auch nicht die große Masse von Steuergeldern herein.
Das heißt, die Mittelschicht, die trägt eigentlich die gesamte Last der Staatsfinanzierung, der Sozialhaushalte, durch eine enorme Belastung der Einkommen durch Steuern, durch Sozialabgaben, durch alle möglichen anderen Abgaben. Und das ist ein Problem, das letztlich dann auch ein Stück weit hausgemacht ist. Und hier ist der Staat in der Tat in der Pflicht - das ist allerdings gerade gescheitert im Bundesrat -, zum Beispiel die Steuerprogression etwas abzuflachen und zumindest dafür zu sorgen, dass nicht rein inflationär bedingte Einkommenssteigerungen, die also gar nicht wirklich Realeinkommenssteigerungen sind, jetzt auch noch besteuert werden. Das ist aber am Widerstand der Oppositionsparteien gerade gescheitert, dass diese sogenannte heimliche oder kalte Progression wenigstens ein bisschen abgeflacht wird. Und dann darf man sich nicht wundern, dass diejenigen, die wirklich die ganze Last hier unseres Sozialstaates zu tragen haben, missmutig und entmutigt werden.
Kitzler: Da sprechen Sie schon das an, was die Politik eigentlich Ihrer Meinung nach leisten müsste. Wo passiert denn eigentlich heute die Politik für den Standort Deutschland? Ist es so tatsächlich vor Ort, in den Kommunen oder in den Ländern, auf Bundesebene, den Bundesrat haben Sie angesprochen? Oder hat sich das alles jetzt in der Krise vielleicht geändert, wir sind eher ausgeliefert und von den europäischen Lösungen abhängig beziehungsweise Nichtlösungen?
van Suntum: Ja, das kommt natürlich darauf an, um welchen Faktor es geht. Steuern werden ja hauptsächlich vom Bund und von den Ländern bestimmt, also hauptsächlich vom Bund. Löhne, das ist Sache der Tarifparteien. Allerdings hat der Staat ja zunehmend dazu gegriffen, dass er Mindestlöhne festlegt, was ich für ganz fatal halte, weil dadurch eben die Kosten gerade für diejenigen erhöht werden, die am stärksten dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind. Aber es ist auch ganz wichtig, welche Standortpolitik vor Ort, in den Kommunen und in den Kreisen, gemacht wird.
Nehmen Sie mal das Ruhrgebiet: Nur etwa 50 Kilometer vom Ruhrgebiet entfernt wohne ich, nämlich im Kreis Coesfeld und daneben ist der Kreis Borken, also hier im Münsterland. Die haben Arbeitslosenquoten von irgendwo um die vier Prozent. Das ist nahezu Vollbeschäftigung. Da spielt sich eine ganze Menge ab, da gibt es ganz viele kleine Unternehmen oder Unternehmen, die klein angefangen haben, die enorm prosperieren. Und das ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass hier eine sehr kluge Standortpolitik von den Kreisen betrieben wird und dass auch die Menschen, die oft aus einem landwirtschaftlichen Hintergrund kommen, einfach daran gewöhnt sind, selbst anzupacken.
Und das Ruhrgebiet leidet meiner Meinung nach ein bisschen auch unter der Mentalität, dass man jahrzehntelang subventionierte Großunternehmen, Kohle- und Stahlindustrie gehabt hat und dieses unternehmerische Element einfach fehlt. Das ist auch was anderes, wenn Sie in einem Kleinunternehmen als Arbeitnehmer sind, dann kennen Sie den ganzen Betrieb und Sie wissen, wie man sich möglicherweise selbstständig macht und wie so etwas abläuft. Wenn Sie in einem Großunternehmen sind wie zum Beispiel Opel und, ich sage jetzt mal ein bisschen übertrieben, immer nur die gleiche Schraube angezogen haben, dann haben Sie viel schlechtere Chancen, wenn es mal nicht mehr läuft bei Opel, sich selbstständig zu machen oder in einem anderen Unternehmen eben einen ganz anderen Job zu machen. Das ist so.
Kitzler: Der Standort Deutschland ist also auch eine Mentalitätsfrage. Das war Ulrich van Suntum ...
van Suntum: Das ist auch eine Mentalitätsfrage, ja.
Kitzler: Das war Ulrich van Suntum, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Münster. Vielen Dank für das Gespräch und ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!
van Suntum: Danke, wünsche ich Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Was sagt der Fall Opel aus über die Lage in Deutschland? Das will ich jetzt mit Ulrich van Suntum besprechen, er ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Münster. Er hat vor einigen Jahren das Buch "Masterplan Deutschland" und nicht zuletzt ist er auch Botschafter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Schönen guten Morgen!
Ulrich van Suntum: Guten Morgen, Herr Kitzler!
Kitzler: Sie sind ja selbst Bochum auch ein bisschen verbunden, Sie haben dort studiert und gelehrt. Was sind denn Ihre Lehren jetzt aus dem angekündigten Ende der Autoproduktion im dortigen Opel-Werk? Ist das ein eher singuläres Ereignis oder sagt das vielleicht auch etwas aus über den Standort Deutschland?
van Suntum: Also, dem Standort Deutschland geht es eigentlich relativ gut. Im Ausland spricht man ja sogar vom German Jobwunder, weil Deutschland das einzige Land ist, das in der Finanzkrise Arbeitsplätze noch aufgebaut hat und die Arbeitslosigkeit abgebaut. Und das ist nicht zuletzt eine Folge der eigentlich sehr klugen Politik, die in den letzten Jahren getrieben worden ist in Deutschland. Wir haben zum Beispiel gute arbeitsmarktpolitische Instrumente, wir haben diese Hartz-IV-Reformen gemacht, die sind zwar in der Politik heute nicht mehr so beliebt, aber die haben wesentlich dazu beigetragen, dass der Arbeitsmarkt flexibler geworden ist in Deutschland, die Lohnpolitik hat sich zurückgehalten und damit die Basis dafür geschaffen, dass es in Deutschland insgesamt aufwärts geht am Arbeitsmarkt. Wir haben 2011 ja weniger Arbeitslose gehabt als in den Jahren vorher und wir haben mehr Beschäftigung aufgebaut. Und darum ist der Fall Opel ein spezieller Fall, der einerseits mit dem Standort, aber vor allen Dingen auch mit Opel und General Motors zu tun hat.
Kitzler: Aber kann man nicht trotzdem daraus auch einiges ableiten? Zum Beispiel die Frage: Autoproduktion in Deutschland ist zu teuer, gleichzeitig Konsum von Autos ist zu wenig?
van Suntum: Also, die Autoproduktion ist in Deutschland nicht generell zu teuer. Ein Fünftel aller Pkw in der Welt wird in Deutschland produziert, das zeigt ja schon, dass Deutschland ein sehr guter Standort ist für Automobilproduktion. Die Autos sind natürlich nicht die billigsten, aber sie gehören nach wie vor zu den besten. Und insofern haben viele deutsche Automobilhersteller, zum Beispiel auch VW und BMW, sehr große Erfolge auch im Ausland. Aber der westeuropäische Markt geht zurück, durch die Schuldenkrise nicht zuletzt. Natürlich, wenn Sie überall Rezession haben, kaufen die Leute keine Autos, das betrifft auch Deutschland. Es werden weniger Autos gekauft als noch vor einigen Jahren. Ja, und im Wettbewerb bleibt dann eben derjenige auf der Strecke, der am wenigsten beliebt ist. Und Opel baut nun mal Autos, die zwar inzwischen wieder sehr gut sind, die aber ein schlechtes Image haben durch eine schlecht Modellpolitik der Vergangenheit. Und insbesondere junge Leute können sich kaum vorstellen, einen Opel zu kaufen. Und da liegt eigentlich das Problem.
Kitzler: Sie haben ja schon den Standort Deutschland gelobt und auch die Politik, die dafür getan wurde. Was macht denn eigentlich einen guten Standort aus, was sind da die wichtigsten Faktoren?
van Suntum: Ja, da gibt es ganz viele Faktoren. Deutschland wird niemals ein Billigstandort sein und sein können, aber wir können das durch die hohe Qualität unserer Arbeitskräfte ausgleichen. Wir haben ja zum Beispiel das duale Ausbildungssystem, was es in anderen Ländern so nicht gibt. Deutsche Handwerker sind die besten der Welt, werden überall nachgefragt, made in Germany ist richtig ein Qualitätsmerkmal. Aber das führt natürlich auch dazu, dass man nicht übertreibt, zum Beispiel bei der Lohnpolitik, da sollte man weiter Maß halten.
Es gehört auch dazu, dass man zum Beispiel bei den Energiekosten aufpasst, Deutschland hat mit die höchsten Energiepreise inzwischen, weil wir eben diese sogenannte Energiewende unbedingt haben wollten, das hat seinen Preis. Und natürlich auch, gehören auch Dinge wie Steuern und Infrastrukturpolitik dazu. Da muss also das Paket stimmen. Insgesamt ist Deutschland erfolgreich, aber es gibt eben große regionale Unterschiede. Und das Ruhrgebiet gehört seit Jahrzehnten eben wirklich zu den Problemregionen.
Kitzler: Bei den Löhnen muss man Maß halten, haben Sie gerade gesagt. Gerade erst in dieser Woche gab es ja Berichte, nach denen die Mittelschicht in Deutschland dramatisch gesunken ist, auch weil es jahrelang Reallohneinkommensverluste gab. Wie weit kann man das denn eigentlich treiben: Die Löhne niedrig halten, um wettbewerbsfähig zu sein international, aber gleichzeitig damit auch zu riskieren, dass sich viele Menschen hier die Wohnung nicht mehr leisten können, geschweige denn ein teures Auto?
van Suntum: Ja, die Löhne sind ja nicht etwa niedrig in Deutschland. In Deutschland gehören die Löhne nach wie vor zu den höchsten der Welt. Aber das kann man eben nur sich leisten, wenn man entsprechende Produktivität hat und entsprechende Erfolge. Ich kann ja nicht einfach die Löhne erhöhen, wenn die nicht bezahlt werden können.
Kitzler: Aber ist es nicht ein Problem, dass die Mittelschicht ausgedünnt wird?
van Suntum: Die Mittelschicht, da gibt es unterschiedliche Studien, auch unterschiedliche Abgrenzungen. Ich glaube, da wird auch ein bisschen Ideologie betrieben bei dieser Diskussion um die Mittelschicht. Richtig ist, dass viele Leute in die Klemme geraten, das hängt aber auch mit den Steuern zusammen. Denn der stärkste Anstieg der Besteuerung der Einkommen, der findet in der Tat in der Mittelschicht statt. Etwa die Hälfte der Haushalte, der Privathaushalte in Deutschland zahlt überhaupt keine Einkommensteuern, das muss man sich klar machen! Und die ganz Reichen, das sind eben nur ganz wenige, da kommt auch nicht die große Masse von Steuergeldern herein.
Das heißt, die Mittelschicht, die trägt eigentlich die gesamte Last der Staatsfinanzierung, der Sozialhaushalte, durch eine enorme Belastung der Einkommen durch Steuern, durch Sozialabgaben, durch alle möglichen anderen Abgaben. Und das ist ein Problem, das letztlich dann auch ein Stück weit hausgemacht ist. Und hier ist der Staat in der Tat in der Pflicht - das ist allerdings gerade gescheitert im Bundesrat -, zum Beispiel die Steuerprogression etwas abzuflachen und zumindest dafür zu sorgen, dass nicht rein inflationär bedingte Einkommenssteigerungen, die also gar nicht wirklich Realeinkommenssteigerungen sind, jetzt auch noch besteuert werden. Das ist aber am Widerstand der Oppositionsparteien gerade gescheitert, dass diese sogenannte heimliche oder kalte Progression wenigstens ein bisschen abgeflacht wird. Und dann darf man sich nicht wundern, dass diejenigen, die wirklich die ganze Last hier unseres Sozialstaates zu tragen haben, missmutig und entmutigt werden.
Kitzler: Da sprechen Sie schon das an, was die Politik eigentlich Ihrer Meinung nach leisten müsste. Wo passiert denn eigentlich heute die Politik für den Standort Deutschland? Ist es so tatsächlich vor Ort, in den Kommunen oder in den Ländern, auf Bundesebene, den Bundesrat haben Sie angesprochen? Oder hat sich das alles jetzt in der Krise vielleicht geändert, wir sind eher ausgeliefert und von den europäischen Lösungen abhängig beziehungsweise Nichtlösungen?
van Suntum: Ja, das kommt natürlich darauf an, um welchen Faktor es geht. Steuern werden ja hauptsächlich vom Bund und von den Ländern bestimmt, also hauptsächlich vom Bund. Löhne, das ist Sache der Tarifparteien. Allerdings hat der Staat ja zunehmend dazu gegriffen, dass er Mindestlöhne festlegt, was ich für ganz fatal halte, weil dadurch eben die Kosten gerade für diejenigen erhöht werden, die am stärksten dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind. Aber es ist auch ganz wichtig, welche Standortpolitik vor Ort, in den Kommunen und in den Kreisen, gemacht wird.
Nehmen Sie mal das Ruhrgebiet: Nur etwa 50 Kilometer vom Ruhrgebiet entfernt wohne ich, nämlich im Kreis Coesfeld und daneben ist der Kreis Borken, also hier im Münsterland. Die haben Arbeitslosenquoten von irgendwo um die vier Prozent. Das ist nahezu Vollbeschäftigung. Da spielt sich eine ganze Menge ab, da gibt es ganz viele kleine Unternehmen oder Unternehmen, die klein angefangen haben, die enorm prosperieren. Und das ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass hier eine sehr kluge Standortpolitik von den Kreisen betrieben wird und dass auch die Menschen, die oft aus einem landwirtschaftlichen Hintergrund kommen, einfach daran gewöhnt sind, selbst anzupacken.
Und das Ruhrgebiet leidet meiner Meinung nach ein bisschen auch unter der Mentalität, dass man jahrzehntelang subventionierte Großunternehmen, Kohle- und Stahlindustrie gehabt hat und dieses unternehmerische Element einfach fehlt. Das ist auch was anderes, wenn Sie in einem Kleinunternehmen als Arbeitnehmer sind, dann kennen Sie den ganzen Betrieb und Sie wissen, wie man sich möglicherweise selbstständig macht und wie so etwas abläuft. Wenn Sie in einem Großunternehmen sind wie zum Beispiel Opel und, ich sage jetzt mal ein bisschen übertrieben, immer nur die gleiche Schraube angezogen haben, dann haben Sie viel schlechtere Chancen, wenn es mal nicht mehr läuft bei Opel, sich selbstständig zu machen oder in einem anderen Unternehmen eben einen ganz anderen Job zu machen. Das ist so.
Kitzler: Der Standort Deutschland ist also auch eine Mentalitätsfrage. Das war Ulrich van Suntum ...
van Suntum: Das ist auch eine Mentalitätsfrage, ja.
Kitzler: Das war Ulrich van Suntum, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Münster. Vielen Dank für das Gespräch und ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!
van Suntum: Danke, wünsche ich Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.