Buhrufe beweisen Betroffenheit
Der Regisseur Florian Lutz inszeniert Richard Wagners "Tannhäuser" drastisch. Auf der Bühne des Theaters Lübeck liegen tote Politiker. Die Besucher des Stücks sind aktiv an der Inszenierung beteiligt: Sie singen und erfühlen Wagners Musik.
Wenn Wolfram Schäuble von der Dämmerung singt, die wie Todesahnung die Lande deckt, hat Elisabeth Merkel die Honoratioren der Wartburg-Gesellschaft bereits mit einem jovialen Händedruck zur Strecke gebracht. Guido Westerwelle liegt tot auf der Bühne, Sigmar Gabriel und Hans-Christian Ströbele haben die Annäherung der Kanzlerin ebenfalls nicht überlebt.
Folgerichtig ist der "holde Abendstern", den der Finanzminister immer wieder gerne sieht, auch der langsam kreisende Stern eines Stuttgarter Autoherstellers. Einen ausgesprochen politischen "Tannhäuser" hat der Regisseur Florian Lutz im Theater Lübeck auf die Bühne gebracht, das Künstlerdrama um den lüsternen Minnesänger hat ihn dabei deutlich weniger interessiert als die meisten seiner Kollegen in den letzten Jahren.
Witziger Blick auf romantische Oper
Wenn im Finale die Pilger aus Rom zurückkehren und vom verspäteten Erlösungswunder erzählen, wird die Inszenierung zwar etwas zu didaktisch mit projizierten Schrifttafeln und konkreter Handlungsaufforderung an das Publikum, auch könnte der Videoprojektor ohne weiteren Schaden für den Theaterabend einfach ausgeschaltet werden, aber dem Lübecker Theater gelingt insgesamt ein unterhaltsamer, zum Nachdenken anregender, gelegentlich sehr witziger Blick auf diese romantische Oper.
Bühnenbildern Christoph Ernst hat den Zuschauerraum des Lübecker Theaters gespiegelt und Kostümbildnerin Mechthild Feuerstein steckte die handelnden Personen geschickt in gut sitzende Alltagskleidung. Schon vor Beginn der Oper fordern vier betont fröhliche Hostessen das Publikum zum gemeinsamen Chorsingen auf, um die Kraft von Wagners Musik im Kollektiv zu erfahren.
Vor der Aufführung wurden Besucher im Foyer nach ihrer Vorstellung von Sünde gefragt, einige Videos werden gezeigt und die Besucher auf die Bühne gebeten. Publikumsbeteiligung für Fortgeschrittene. So entsteht jedenfalls keine wonnige Wagner-Weihestimmung, sondern eher eine angeheiterte Volkshochschulatmosphäre.
Tannhäuser als bewusst agierender Mensch
Gegen Ende des ersten Akts trifft Tannhäuser nach der Trennung von der Liebesgöttin Venus auf die Politikerelite der Bundesrepublik, zu der er einst offenbar auch gehörte. Westerwelle, Gabriel, Steinmeier und Gauck nehmen ihn mit zu Elisabeth, die auffällige Ähnlichkeit mit der amtierenden Kanzlerin hat. Im zweiten Akt gestattet sich Florian Lutz auch Momente der zärtlichen Annäherung zwischen den Protagonisten, lässt durchscheinen, dass Elisabeth ihren Tannhäuser wohl wirklich bedingungslos liebt und von ihm tief gekränkt wurde, als er sie zugunsten der attraktiveren Venus verließ.
Tannhäuser ist im Sängerkrieg weniger der Verfechter körperlicher Lust als vielmehr ein bewusst agierender Mensch auf der Suche nach seinen wirklichen Bedürfnissen. Der Skandal besteht darin, dass er der satten Elite vor Augen führt, wie ihr Lebensstil die gesamte Umwelt vermüllt und zerstört. Eine überzeugende Begründung, warum Tannhäuser dann aber einen akuten Reueschub erleidet und dringend in Rom büßen möchte, kann auch Florian Lutz nicht liefern.
Nur wenig Klangfarben
In Wagners Stückdramaturgie klaffen eben riesige Löcher, die zu einem ebenso problematischen Verlauf führen wie die extrem uneinheitliche Musik des damals noch relativ unerfahrenen Komponisten. Da stehen uninspirierte Versatzstücke der romantischen Oper im ersten Finale neben überschwenglicher Chromatik im zweiten, da konkurriert der Wunschkonzerthit vom Abendstern mit der großen Bravourarie der Elisabeth.
Der Lübecker Generalmusikdirektor Ryusuke Numajiri setzt leider auf einen recht pauschalen Monumentalton, der nur wenige Klangfarben kennt und zudem auf großes Pathos setzt. Damit verführt er fast alle Sänger zu großer Lautstärke, so dass beispielsweise Gerard Quinn als Wolfram deutlich unter seinen Möglichkeiten bleibt. Der Tenor Herbert Lippert lässt großen Respekt vor der Angstrolle aller Tenöre spüren, zeigte aber große Nervosität und wenig künstlerischen Gestaltungswillen.
Politikroboter à la Angela Merkel
Ganz anders die Elisabeth der Carla Filipcic Holm, die in jeder Phrase ihr Wissen um den emotionalen Gehalt der Rolle deutlich macht und auch darstellerisch in der Wandlung von einer zukunftsfrohen jungen Frau zum alternativlosen Politikroboter vom Schlage Angela Merkels überzeugt. Gesanglich spielen sie und Julia Feylenbogen als stimmstarke Venus in einer höheren Liga als die versammelten Männer.
Obwohl sich das Publikum während der Aufführung sehr gut amüsierte, wurde der Regisseur Florian Lutz mit deutlichen Buhs empfangen. In diesem Fall ein gutes Zeichen, dass er den Nerv des Stücks und des Publikums getroffen hat.