Das große Sterben
Aufreger und Hingucker auch im dritten Jahr war der aktuelle Ring in Bayreuth mit Kirill Petrenko am Pult und in der Inszenierung von Frank Castorf. Wir beenden den Zyklus mit der "Götterdämmerung" in einer Aufnahme aus dem vergangenen Sommer.
Die Bayreuther Festspiele sind ein Ereignis, das in der Sommerferienzeit stattfindet, wenn Politiker und andere Kulturinteressierte Zeit und Muße für lange Musiktheaterabende haben. Wir bieten an dieser Stelle die Gelegenheit, das sommerliche Feeling vom Grünen Hügel bei uns im Programm in kondensierter Form nachzuerleben. Wir werden die Aufnahme des kompletten Bayreuther Rings an diesem und den folgenden Samstagen ausstrahlen. Nicht zuletzt weil dieses Mammutwerk in jede Jahreszeit passt.
Nicht nur Frank Castorf, der die Handlung aus Richard Wagners Nibelungenreich nach Kalifornien und an den Berliner Alexanderplatz verlegt, ist der Meinung: Fricka, Freia, Wotan, Loge, Fasolt und ihre Freunde sind Menschen wie Du und ich von heute - verletzend und verletzlich, hemdsärmlig und erfolgsorientiert, rechthaberisch, die Umwelt ausblendend, egoistisch und egozentrisch, forsch und angstvoll. Diese Figuren werden in mythischer und irdischer Verzahnung zu- und gegeneinander gestellt. Richard Wagner verzichtet außerdem nicht darauf, das ganze noch philosophisch aufzuladen.
Selbst wer Richard Wagners Ring oft hört, kann dem Werk jedes Mal neue Seiten abhorchen, wird neue Einblicke gewinnen, wird durch die Auseinandersetzung mit dem Stoff und der Musik bereichert. Drei Jahre in Folge hat Kirill Petrenko, Münchner Staatsopernmusikdirektor und zukünftiger Chef der Berliner Philharmoniker, den Ring in Bayreuth dirigiert. Er war immer der Liebling des Publikums - zusammen mit seinem Orchester und den Solistinnen und Solisten, während Frank Castorf und sein Regieteam den Unwillen vieler Wagner-Liebhaber ertragen mussten.
Im nächsten Jahr wird Marek Janowski dieselbe Inszenierung als Dirigent übernehmen. Er gilt ebenso wie Petrenko als Wagner-Experte. Das hat er nicht zuletzt hier im Programm mit seinem konzertanten Zyklus mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin bewiesen. Mit Frank Castorf hat er sich schon über dessen Grundideen ausgetauscht. Letztlich spielt es für das Klangerlebnis ja keine Rolle, ob man das Rheingold nun für das eigentliche Edelmetall oder - wie Frank Castorf - für das Schwarze Gold unserer Tage hält, das der Welt stetige Bewegung ermöglicht.
"Die Götterdämmerung" - der dritte Tag des so genannten Bühnenfestspiels, dreht sich um Mord, Tricksereien, Lügen, Verleumdungen – am Schluss steht das große Sterben, aus Liebe und Leid, Sterben auch als Akt der Menschwerdung.
Richard Wagner hat Archetypen auf die Bühne gestellt, alles überhöht und überdreht, damit aber plastische Charaktere entwickelt, die am besten in ihrer Dialektik erfahrbar sind. Wie er dieses Ringpersonal so gegen und miteinander aufstellt – das wirkt auch 150 Jahre später noch phänomenal, scheint wie aus dem prallen Leben geschöpft zu sein. Das ist auch ein wenig wie der Blick in die Tagespresse. Richard Wagner hat ein allgemeines Menscheitsdrama geschaffen, zeitlos, nicht eng an Gesellschaftsformen gebunden: So sind wir, so müssen wir leben, immer schwingt auch ein leichter Schimmer von Hoffnung mit, den braucht es im Alltag.
Bayreuther Festspiele
Festspielhaus
Aufzeichnung vom 1. August 2015
Richard Wagner
"Götterdämmerung"
Dritter Tag des Bühnenfestspiels "Der Ring des Nibelungen"
Siegfried - Stefan Vinke, Tenor
Gunther - Alejandro Marco-Buhrmester, Bariton
Alberich - Albert Dohmen, Bassbariton
Hagen - Stephen Milling, Bass
Brünhilde - Catherine Foster, Sopran
Gutrune - Allison Oakes, Sopran
Waltraute - Claudia Mahnke, Mezzosopran
1. Norn - Anna Lapkovskaja, Mezzosopran
2. Norn - Claudia Mahnke, Mezzosopran
3. Norn - Christiane Kohl, Sopran
Woglinde - Mirella Hagen, Sopran
Wellgunde - Julia Rutigliano, Mezzosopran
Floßhilde - Anna Lapkovskaja, Mezzosopran
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele
Leitung: Kirill Petrenko