Oper

Das Magische ist verblasst

Theaterregisseur Robert Wilson am 1. Dezember 2013 im Berliner Ensemble
Der amerikanische Theaterregisseur Robert Wilson © dpa / picture alliance / Paul Zinken
Von Frieder Reininghaus |
Alternde Helden haben es nicht leicht. Robert Wilson, einst als Theater-Magier gefeiert, fehlen die Ideen, um Monteverdis "L’incoronazione di Poppea" in die heutige Zeit zu transportieren. Es scheint, als wiederhole Wilson sich nur noch selbst.
Robert Wilson gehört zu den Künstlern, die im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts das Theater und seine Wahrnehmung einschneidend bereicherten. Als "Einstein on the Beach" 1976 in Avignon und dann in Hamburg die große ruhig-kühle Bildwelt mit der repetitiv-geschäftigen Musik von Philip Glass paarte, meinten nicht wenige, einen Theatertraum zu erleben (andere: einen Alptraum). Man las, dergleichen sei der "Triumph des Theaters über die Schwerkraft". Im Lauf von vier Jahrzehnten sind, da sich Wilson zunehmend wiederholte (also auf den Meriten der "Bild-Magie" ausruhte und nicht weiterentwickelte), die einstigen Heldentaten verblasst. 2012, drei Dutzend Jahre nach der Entstehung, rekonstruierte der texanische Bildinstallateur und Regisseur zusammen mit der Choreographin Lucinda Childs und dem auch bereits bei der Uraufführung tätigen Dirigenten Michael Riesman seinen "Einstein" minutiös in Montpellier (die Produktion kam auch nach Amsterdam und Berlin). Das Trio sorgte so für die Musealisierung der Pionier-Produktion.
Ein Dutzend glatter Säulen in der Palastwelt Neros
Alternde Helden haben es nicht leicht. Zumal, wenn sie hartnäckig von den Inhalten dessen, über das sie sich hermachen, keine Notiz nehmen und nur von optischen Oberflächen und marktträchtiger Aura zehren. Ob sich Wilson mit Armida oder Aida, Alcina oder Alceste befasst – allemal präsentiert er seine Heldinnen vor einem vollständig oder so gut wie leeren Horizont, der in den verschiedensten Farben erglühen und ermatten kann. So jetzt auch im Palais Garnier für Monteverdis Poppea. Da sieht es zunächst so aus, als schaue man vom Strand bei Étretat hinaus auf den Ärmelkanal bei heraufziehendem Regen am Tag des D-Day-Jubiläums. Vor dem unbestimmten Horizont mit den zarten Farbeffekten erhebt sich zunächst ein Baumstamm mit ausladenden Wurzeln – später setzen in Reih und Glied gepflanzte Linden und eine entwurzelte Zypresse als Begleiterin des befohlenen Selbstmords von Seneca optische Akzente. Im Übrigen deuten ein langsam sich herabsenkender Vorhang mit drei hohen Türöffnungen und ein Dutzend glatter Säulen die Palastwelt Neros an, ein halbes Dutzend römisch-klassizistischer Säulen die Sphäre von dessen legitimer Gattin Ottavia, die auf Poppeas Verlangen hin in die Wüste geschickt wird.
Wilson, der Ausstatter-Regisseur
Rinaldo Alessandrini bot mit dem "Concerto italiano" den Standard dessen, was gegenwärtig im Namen von "historischer Aufführungspraxis" angeboten wurde - inclusive einiger Manierismen. Z.B. mit schier unendlich lang gedehnten Pausen zu Beginn von Ottavias Abschiedsarie "Addio Roma, addio patria". Jacques Reynauds Kostüme lehnen sich an die Mode des 17. Jahrhunderts an und sind auf der Höhe dessen, was die feinsten Modisten von Mailand und Paris im Angebot haben: Diskrete Pastelltöne für die Kleider der Frauen, Accessoires der Uniformierung und Panzerung bei den ganz in Schwarz gehaltenen Männern. Was Karine Deshayes und Jeremy Ovenden, die beiden respektabel, aber nicht überragend singenden Protagonisten der schrägen Liebesgeschichte, mitsamt ihren zahlreichen KollegInnen beim Dahin- und Daherschreiten an typisch Wilsonschen Handbewegungen anboten (abgewinkelte Hände, gespreizte Finger etc.), schien den Ausstatter-Regisseur in keiner Weise zufrieden zu stellen. Obwohl ihm mit Giuseppe Frigeni ein Co-metteur en scène zur Seite gestellt worden war (oder gerade deshalb), diktierte er in Reihe 10 des Parketts ("Orchestre") seiner Assistentin lautstark die Korrekturwünsche auf den Notizblock.
Aber auch kleine Nachbesserungen ändern nichts an dem Umstand, dass das, was ein Teil des Publikums vor Jahrzehnten als "magisch" wahrnahm, nun verblasst ist und das radikale Wegputzen der historischen und sozialen Fermente eines Werks wie "L'incoronazione" eher als problematisch erscheint. Denn die einseitige Hervorhebung des Rituellen am "Barock"-Theater bedient und begünstigt ja einseitig das feudale Moment dieser Art von Theater, unterstreicht die große historische Distanz. Aber die Mehrzahl der OperngängerInnen, die sich ja nicht zuletzt wagen der Pracht des Gehäuses in der hochherrschaftlichen Halle einfinden, sind heilfroh, dass der Tenor Ovenden so gar nichts von Putin und eine gänzlich geschichtliche Kunstfigur zu sein hat.
Die neue Poppea riecht nach Verwesung
Es soll schon Theater gegeben haben, an denen vor der Premiere hinreichende Vorbereitungen getroffen wurden. Doch das Großunternehmen Nationaloper in Paris mit den zwei riesigen Häusern scheint seit Jahren führungslos, da Nicolas Noel kurz nach seiner Ernennung schwer erkrankte und seitdem offensichtlich von wenig kompetenten Händen im Hintergrund die Strippen gezogen werden. Dabei kommt ein Gesamt-Programm heraus, in dem eine Oper aus dem 17. Jahrhundert stammt (eben "Poppea") und eine aus dem 20. ("Madama Butterfly"), die übrigen aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Dass jetzt – in Kooperation mit der Scala in Mailand – ein Produkt als neu angeboten wird, das ebenso 1974 hätte erscheinen können, als wir noch vierzig Jahre jünger waren, wirft ein charakteristisches Licht auf den Niedergang des einst über lange Jahre hinweg weltweit führenden Opernunternehmens.
Die neue Poppea riecht nach Verwesung. In der Hauptherrentoilette traten schon zur Pause sämtliche Pissoire über die Ränder und ergossen einen gelben Fluss in Richtung Orchestre. Es war niemand zur Stelle, der wenigstens ein rot-weißes Absperrband hätte anbringen wollen. Geschweige denn ein Installateur. Wobei das Palais Garnier wie die Opéra Bastille jetzt mehr als einen Klempner brauchen.