"Die tote Stadt"
Oper in drei Bildern von Erich Wolfgang Korngold
Inszenierung: Armin Petras
Text von Paul Schott frei nach Georges Rodenbachs
Theater am Goetheplatz, Bremen
Mit der Heckenschere gestutzt
08:07 Minuten
Erich Wolfgang Korngolds Oper "Die tote Stadt" war bei ihrer Uraufführung 1920 das erschütternde Abbild einer vom Krieg traumatisierten Gesellschaft. Armin Petras hat das düstere Werk in Bremen inszeniert. Unser Kritiker Uwe Friedrich ist enttäuscht.
Paul trauert um seine früh verstorbene Gattin Marie und hat sich deshalb in die "tote Stadt" Brügge zurückgezogen, um zu trauern. Dort trifft er auf die lebenslustige Tänzerin Marietta, in der er aufgrund verblüffender Ähnlichkeit Marie wiederzuerkennen glaubt. Als dieser Traum der Wiederkehr scheitert, ermordet er Marietta.
Erich Wolfgang Korngold mildert den pessimistischen Schluss der Romanvorlage von Georges Rodenbach ab, indem er das ganze Geschehen zu einer Traumvision Pauls erklärt.
Wichtige Szenen fehlen
Da Erich Wolfgang Korngold und sein Vater Julius nicht dumm waren, hat dieser dramaturgische Kniff Auswirkungen auf die gesamte Oper. Wenn Regisseur Armin Petras den optimistischen Schluss wieder umbiegen will, zurück zur Romanvorlage, muss er brachial zu Werke gehen. Wichtige Szenen wie die Parodie auf Giacomo Meyerbeers Oper "Robert der Teufel" fehlen komplett, andere wurden sinnentstellend zusammengestrichen oder werden als gesprochenes Melodram mit Orchesterbegleitung dargeboten.
Das Rheinlied Pierrots steht isoliert in der Mitte und verliert seine Funktion als sentimentales retardierendes Element. Warum es das Streichfest dieses großen Querschnitts überstanden hat, ist nicht nachvollziehbar. Vielleicht hat sich einfach der Bariton erfolgreich gegen die Streichung seines Wunschkonzerthits gewehrt und darf das Lied deshalb singen, dramaturgisch notwendig ist es in dieser Fassung nicht.
Erzählstruktur massiv verändert
Diese Eingriffe verändern die Erzählstruktur der Oper massiv, was zu verschmerzen wäre, wenn dadurch irgendwelche Erkenntnisse gewonnen würden. Außer seiner aufgesattelten These, dass Paul Schuld am Tod seiner Frau Marie habe, schlägt Regisseur Armin Petras jedoch keine Funken aus dem ruppigen Umgang mit der Partitur.
Der Schaden am musikalischen Kunstwerk von Korngolds Partitur ist hingegen immens: Die Großform kaputt, die Übergänge zerstört, der virtuose Umgang des jungen Korngold mit den Opernkonventionen seiner Zeit allenfalls zu erahnen.
Dirigent Yoel Gamzou kann Inszenierung nicht retten
Dirigent Yoel Gamzou versucht zwar, den Scherbenhaufen mit viel Einsatz zu kitten, aber das ist verlorene Liebesmüh. Weil er das Werk in der ursprünglichen Besetzung spielen lässt, passen die Musiker nicht in den Orchestergraben des Bremer Theaters und wurden auf der Hauptbühne platziert.
Inspiriert von der Librettozeile der "Kirche des Gewesenen" hat Bühnenbildner Martin Werthmann eine bunte Apsis bauen lassen, die den spätromantischen Orchesterklang wie eine Schallmuschel in den Zuschauerraum reflektiert. Dadurch hat das Solistenensemble den massiven Klang im Rücken und fühlt sich offenbar animiert, vokal aufs Ganze zu gehen.
Das ekstatische Liebesduett am Ende des zweiten Akts wird zum Wettsingen zwischen dem Tenor Karl Schineis (Paul) und der Sopranistin Nadine Lehner (Marietta), das zwischen den beiden unentschieden ausgeht, bei dem die Aussage der Musik aber auf der Strecke bleibt.
Bariton Birger Radde singt einen ansprechenden Frank, hat aber ebenso wenig die Gelegenheit zu einer tieferen Rollencharakterisierung wie Nathalie Mittelbach oder Nerita Pokvytyte. So wird die Bremer Aufführung von Erich Wolfgang Korngolds "Die tote Stadt" zu einem Musterbeispiel für den starken Widerstand, den eine Opernpartitur gegen Regieeinfälle leistet und wie man sie dennoch mutwillig zerstören kann.