Ein Zahn geht um die Welt
Eindrucksvoll meldet sich Komponist Peter Eötvös auf der Bühne zurück. Nach banalen und beliebigen Opern in den vergangenen Jahren ist ihm mit "Der Goldene Drache" eine witzige und scharfsinnige Arbeit um die Weltreise eines Zahnes gelungen.
Vor dieser Uraufführung war einem ein wenig bang. Denn die letzten Opern des unlängst 70 gewordenen Ungarn Peter Eötvös ("Die Tragödie des Teufels" in München sowie "Paradise reloaded – Lilith" in Wien) enttäuschten. Hatte Eötvös mit früheren Stücken wie "Tri Sestri" oder "Angels in America" noch Musiktheatergeschichte geschrieben, so orientierte er sich zuletzt arg an der Postmoderne, das Ergebnis klang vorwiegend beliebig, belanglos, banal.
Ein echter Wurf
Doch jetzt gelang Eötvös endlich wieder ein echter Wurf, dazu passend ist die Frankfurter Erstinszenierung des "Goldenen Drachen" auch noch ein wahrer Theatercoup. Elisabeth Stöppler lässt das krude Geschehen auf einer mit viel Krempel vermüllten Bühne ablaufen, vorne agieren fünf Sänger, im Hintergrund sieht man einen kitschigen Drachen, wie er in vielen asiatischen Restaurants hängt. Der Drache wird mittels diverser Lichterketten abwechslungsreich illuminiert und erstreckt sich auch in den Orchestergraben und auf die Bühnenrückseite. Am Ende sackt er langsam in sich zusammen. Man spielt das Ganze übrigens nicht im Opernhaus, sondern im ehemaligen Bockenheimer Straßenbahndepot – eine gute Entscheidung, weil es hier intimer zugeht und das Publikum den Protagonisten schön nahe rückt.
Die Handlung ist ebenso simpel wie komplex: ein junger Chinese hat Zahnschmerzen, kann sich keinen Arzt leisten, bei einer sehr blutigen 'Amateur-Operation' kommt er ums Leben. Sein Zahn jedoch landet im Essen, das eine Stewardess bestellt hat (im Restaurant "Goldener Drache") und reist mit dieser um die Welt, bis er schlussendlich China erreicht...
Gekürzte Opernfassung
Roland Schimmelpfennig schrieb den 2010 zum "Stück des Jahres" gekürten Theatertext, für die Opernfassung wurde beherzt hinsichtlich Länge und Personal gekürzt. Geblieben sind aber die wunderbar surrealen Szenen, etwa Diskussionen mürrischer Chinesen im hohlen Zahn, es handelt sich um des Unglücklichen triste Verwandtschaft. Immer wieder tauchen eine Ameise und eine Grille auf, streiten und quälen sich, interagieren mit dem menschlichen Personal.
Wie Schimmelpfennig diese Ebenen verschaltet ist buchstäblich fabelhaft. Oft bewegt sich der Text genau auf der Grenze von Scherz und Schmerz, Peter Eötvös (der die Premiere am Pult des wie immer exzellenten, klein besetzten Ensemble Modern selbst dirigierte) schuf eine in jedem Moment packende Musik. Oft wird 'komponiert' gesprochen, in leicht trockenem Parlandostil, es gibt aber auch virtuose Vokalpirouetten. Der Orchestersatz ist bunt schillernd, dicht und dennoch luftig gehalten. Man hört deutliche Zitate vor allem aus Orchesterwerken von Eötvös ("Chinese Opera"), viel Schlagwerkgeplänkel, monströse Blechrülpser, geheimnisvolles Zirpen, gelegentlich auch atmosphärische Elektronik (Norbert Ommer).
Auf höchstem Niveau
Trotz der Fülle an Details bleibt alles gut im Fluss, wozu auch Elisabeth Stöpplers kluge Regie beiträgt. Die fünf Sängerdarsteller (Kateryna Kasper, Hedwig Fassbender, Simon Bode, Hans-Jürgen Lazar, Holger Falk) agieren allesamt auf höchstem Niveau und schlüpfen rasch und mühelos in die unterschiedlichsten Rollen. Elisabeth Stöppler führt sie mit sicherer Hand und großem Ideenreichtum durch die 21 scharf geschnittenen Szenen, schafft immer wieder Raum für Doppelbödigkeit, packt hier eine Prise Globalisierungskritik, dort ein paar hemmungslose Witzchen dazu. Besser geht’s nicht!