Französische Delikatessen in kleinen Portionen
Die Opéra National du Rhin hat sich an die musikalisch anspruchsvollen Partien der Opern "Le Pauvre matelot" und "La Colombe" gewagt. Herausgekommen ist eine gelungene Doppelproduktion, die sich auch für Gastspiele rechts des Rheins empfiehlt.
Die Opéra National du Rhin bespielt die französische Grenzregion am Oberrhein – den elsässischen Landstrich, der Lörrach, Freiburg, Lahr, Offenburg und Baden-Baden auf der anderen Seite des Flusses gegenüberliegt. Sie verfügt (sieht man von gelegentlich genutzten Nebenspielstätten in Strasbourg ab) über drei kontinuierlich bespielte Häuser: Das stolze klassizistische Theater an der Place Broglie in Straßburg, die aus der Umwidmung einer Textilfabrik entstandene Filature in Mulhouse und das 1849 eingeweihte Théâtre Municipal in Colmar.
Das Gebäude war ursprünglich ein Kloster (Couvent d’Underlinden), wurde Mitte des 19. Jahrhunderts nach italienischer Manier zu einem Theaterchen mit gut 500 Zuschauerplätzen umgebaut und teilt längst das Schicksal der meisten Häuser in kleineren Städten Mitteleuropas: Es bietet bevorzugt Boulevardkomödie, humoristisches Musical und Familienprogramme. Der Doppelabend mit der Taube eines armen Florentiner Edelmanns und dem Hammerschlag auf den Kopf des überraschend zu Geld gekommenen armen Matrosen hat von all dem etwas – und jetzt aktuell doch etwas mehr und Ambitionierteres. Da wurden unbekannte Arbeiten von Charles Gounod und Darius Milhaud auf originelle Weise zusammengespannt – ein heiteres und ein tragisches Stück.
Hohes Lied auf die Kochkunst
Gounods zweiaktige "La Colombe" (mit einem Text der durch Jacques Offenbach berühmt gewordnen Librettisten Jules Barbier und Michel Carré) basiert auf einer Fabel von Jean de La Fontaine (1621–1695) und wurde 1860 in Baden-Baden uraufgeführt. Verhandelt wird die Anbahnung einer Liebesbeziehung zwischen dem verarmten Adligen Horace, der eine hochintelligente Taube besitzt, und einer Gräfin Sylvie, die ihm das als Postillon d’amour taugliche Tier durch einen Bediensteten abkaufen lassen will und damit das einfädelt, was heute per Internet und sms in Gang gebracht wird.
Und weil Liebe bekanntlich durch den Magen geht, enthält das Öperchen ein Hohes Lied auf die Kochkunst, der die Taube fast zum Opfer fällt ... der Braten stammt aber, dem Gott der Liebe sei Dank, vom Papagei eines Rivalen, der nix anderes verdient hat, als in die Röhre zu kommen. Stéphane Vérité zeigt das mit einfachen Theatermitteln vor der Wand eines heruntergekommenen Palazzo, auf der die Fresken verblichen sind, sich aber wundersame (und nostalgisch-erotische) Abbildungen durch Video-Kunst entfalten können.
Die Mitglieder des in Colmar angesiedelten Studios der Rheinoper haben ihre Feuer- und Liebesproben in den musikalisch anspruchsvollen Partien allesamt respektabel oder gut bestanden – vornan Gaëlle Alix als liebesbedürftige reiche Sylvie, die auch im kleinen Format mit den größten Koloraturen aufzuwarten hat, und Jean-Christophe Born mit einem leicht in Anschlag gebrachten Tenor als Taubenhalter.
Gastspiele wären angemessen
Gegenüber diesem heiteren Frühlings- oder Sommer-Schwank mit stark historischer Patina handelt es sich bei "Le Pauvre matelot" um ein realistisches Sujet, das Jean Cocteau 1927 zum Muster neusachlich-moderner Librettistik promovierte – und Darius Milhaud gesellte ihm Musik aus dem frischen Innovationsgeist der „Groupe des Six“ zu: Weil der Matrose so elend lang ausbleibt, drängt dessen Schwiegervater seine Frau, die Wirtin einer Hafenkneipe, sich einen neuen Kerl zu suchen. Doch der Seemann, der es in der Fremde zu einem Vermögen brachte, kehrt inkognito zurück, gibt sich als Bekannter des schon fast verschollen Geglaubten aus und mietet sich im Lokal seiner Frau ein.
Er kann sich von ihrer Treue überzeugen, berichtet ihr von der bevorstehenden Rückkehr ihres angeblich veramten Mannes und will sich, indem er mit seinem Vermögen prahlt, eine Zeit lang "sein Glück von außen ansehen". Die Frau, von Anfang an bereit, für den geliebten Mann "jedes Verbrechen zu begehen", erschlägt den von ihr nicht Erkannten mit einem Hammer und beraubt ihn, um mit dem Liebsten, auf den sie fortdauernd wartet, eine gesicherte Zukunft anzutreten.
Unter Leitung von Claude Schnitzler wird auch Milhauds Moritaten-Musik sehr ansprechend musiziert – die Doppel-Produktion empfiehlt sich nicht nur für Paris, sondern auch für Gastspiele rechts des Rheins. Gerade angesichts des dort streckenweise als Hausmannskost abgekochten Wagner-Überangebots. Da dürfen’s dann schon einmal französische Delikatessen in kleiner Portionierung sein.