"Oper ist ein Zentrum in jeder Stadt"
Angesichts knapper Kassen und Kürzungen im Kulturbereich stehen auch die Opern unter Rechtfertigungsdruck. Der Intendant der Oper Frankfurt, Bernd Loebe, hält dagegen, dass die Opern schon jetzt viele Aufgaben z. B. an Schulen übernähmen, "die ansonsten völlig brach liegen", und nach wie vor aktuelle Themen aufgreifen.
Susanne Führer: Deutschland ist ein Paradies für Operngänger, nirgendwo auf der Welt gibt es so viele Opernhäuser wie hier, über 80 nämlich. Aber die Oper gerät zunehmend unter Beschuss. Sie ist teuer und ihr Publikum hat ein Durchschnittsalter von 57 Jahren. Sind unsere Opern noch zu retten, muss man überhaupt alle Opern weiter betreiben? Darüber will ich nun mit Bernd Loebe sprechen, er ist Intendant der Oper Frankfurt. Guten Morgen, Herr Loebe!
Bernd Loebe: Guten Morgen!
Führer: Was meinen Sie, ist es sinnvoll, dass sich Deutschland über 80 Opernhäuser leistet?
Loebe: Ja, wir sollten wieder auf die 100 kommen! Oper ist ein Zentrum in jeder Stadt. Es ist ja nicht so, dass wir nur stur unsere Abendveranstaltungen abziehen, sondern wir gehen inzwischen in die Schulen, wir übernehmen die Aufgaben, die ansonsten völlig brach liegen, nämlich in den Schulen. Wir bilden also junge Musiker aus, nicht nur in Stoffen, in Konzepten, in Lebensentwürfen, in Möglichkeiten, dieses Leben zu bewältigen, vielleicht auch eine gute Kritikfähigkeit an dieser Gesellschaft zu entwickeln, auch emotional.
Und das ist halt das Wunderbare, dass eben diese Musik dazukommt und die menschliche Stimme, und mit dieser zweiten Dimension eine Ebene erschlossen wird, die vielleicht auch etwas Irrationales hat, aber umso verführerischer auf junge Menschen auch wirkt.
Führer: Wen meinen Sie jetzt mit Wir, Herr Loebe: Wir Opernintendanten, alle, oder nur jetzt die Oper von ...
Loebe: Ich rede von dem Publikum. Ich habe mal nachgeschaut, 237 Vorstellungen in der letzten Spielzeit oder im letzten Kalenderjahr gesehen, davon vielleicht 150 in meinem eigenen Haus. Ich kann in erster Linie von meinem Haus reden, wir haben eine Auslastung von 90 Prozent, wir haben alle Generationen im Publikum, wir haben die Jungen, die Alten, wir haben Gemischt, wir haben nicht diese fast Graue-Panther-, hätte ich gesagt, -Vorstellung ...
Führer: …Silbersee ...
Loebe: ... also, ja, ich kann nur davon reden, dass zehn Jahre Aufbauarbeit dazu geführt haben, dass die Oper Frankfurt wirklich ein Zentrum ist, ein Meetingpoint für alle Gruppen der Gesellschaft und für alle Alter der Gesellschaft.
Führer: Die Oper Frankfurt, aber möglicherweise doch nicht alle über 80 anderen Opern in Deutschland? Also, Durchschnittsalter liegt bei 57 Jahren, sie ist die teuerste aller Künste – was sich erklärt, weil es eben auch die aufwendigste ist –, sie gilt als elitär und sie zieht eben kaum junges Publikum ...
Loebe: ... darf ich da schon mal reingehen? Was heißt elitär? Wenn wir Anspruchsvolles machen, heißt das elitär! Als ich anfing, ins Theater zu gehen, in die Oper zu gehen, hatten wir keine Übertitel, ich musste das Programmheft zu Hause dreimal noch mal nachlesen und bin noch mal in die Vorstellung rein! Das heißt, es gibt ein ... man muss sich auseinandersetzen mit der Sache, man muss sich darum bemühen. Kultur, die einem sofort suggeriert, dass man sie verstanden hat, ist keine Kultur, um die es sich lohnt zu streiten.
Dann kommt das Wort der Hochkultur immer! Wir müssen uns ständig verteidigen, weil wir sogenannte oder für sogenannte Hochkultur stehen. Sollen wir für Tiefkultur stehen? Sollen wir Talkshows in unseren Theatern machen, blödsinnig aneinandergereihte Talkshows, wo alles nur zerredet wird? Nein, wir wollen Anspruchsvolles machen, wir wollen unser Publikum auffordern, mitzudenken, weiter zu denken, wieder zu kommen.
Und ich glaube, es ist eine Schande, wenn in einer Kulturnation, in einer angeblichen Kulturnation wir unentwegt in diesen Rechtfertigungsdruck geraten. Warum immer über die alten Leute schimpfen? Die haben ihr Leben lang auch Steuern bezahlt, sie haben ein Recht, ernst genommen zu werden und nicht deklariert zu werden als zu alt und graue Haare. Und es ist umso wichtiger, die Alten doch in der Gesellschaft dabei zu haben!
Führer: Nun, ich schimpfe ja auch nicht auf die alten Leute, ich bin ja auch nicht mehr unter 25, sondern es ist ja nur ein Symptom dafür, dass es der Oper offenbar – also, Ihrer Oper mag das so gelingen, Herr Loebe, Sie sind ja auch sehr erfolgreich, Sie haben ja auch schon mehrmals, sind Sie Oper des Jahres geworden –, aber es ist ja nur ein Symptom dafür, dass es der Oper nicht gelingt, junges Publikum wirklich in großem Maßstabe weiter für die Oper zu interessieren. Das Durchschnittsalter von 57 Jahren zeigt das ja an.
Loebe: Ja, war das mal anders, frage ich? Ist es nicht so, dass junge Menschen gerade heute auf der Jobsuche erst mal ihr Studium so schnell wie möglich beenden müssen? Als ich studiert habe, konnte ich so lange studieren, wie ich wollte, da gibt es heute ganz andere Druckgeschichten. Dann sucht man einen Job, dann gründet man vielleicht eine Familie, irgendwann stellt man fest, man hat jetzt alles beisammen, also, was machen wir mit unseren Abenden? Dann geht man auch in das Theater! Und das ist eine normale Entwicklung in unserer Gesellschaft geworden. Ich bezweifle, dass in den 50er-, 60er-Jahren mehr junge Menschen in die Oper oder ins Theater gegangen sind.
Führer: Sagt der Intendant der Oper Frankfurt, Bernd Loebe, im Deutschlandradio Kultur. Herr Loebe, wir sprechen ja nicht über Ihre Opern, sondern insgesamt über die ganze Opernlandschaft in Deutschland. Und es hat so ein bisschen ... Also, wir wissen, die Kommunen haben wenig Geld, das Geld wird verteilt, wir wissen, dass Opern teuer sind, nicht zuletzt wegen der festen Personalkosten, und andere Kulturschaffende hätten gern auch etwas von dem Geld ab. Ist es nicht auch möglich, dass sich manche Kulturinstitutionen überlebt haben? Kann man denn wirklich sagen, nur, weil einmal der Stempel Kultur drauf war, weil wir einmal, 1897 dieses Opernhaus gegründet haben, muss es nun für alle Zeiten weiter subventioniert werden? Man muss es doch begründen?
Loebe: Ja, aber es ist ja so, dass wir nach wie vor ein Publikum haben. Es ist ja nicht so, dass wir vor leeren Häusern spielen. Auch in den Konzertsälen: Wenn ich immer über diese wissenschaftlichen Analysen von Professoren lese, die am Bodensee sitzen und offensichtlich nicht abends ins Theater gehen ...
Im Übrigen geht es auch nicht nur nach der Quantität. Ein Haus, das zu 50 Prozent besetzt ist, aber einen tollen Abend präsentiert, mit dem man also ... nach dem man nachdenklich nach Hause geht, wo man vielleicht nicht schlafen kann, morgens wieder aufwacht, sich damit beschäftigt, der ist doch mindestens so wichtig als ein Haus mit 100 Prozent Auslastung an einer "Zauberflöte" – die nach wie vor natürlich ein Meisterwerk ist!
Also, ich erlebe es jetzt gerade wieder bei einer 135. Vorstellung von "Zauberflöte", wo wir denken, jeder weiß, was da passiert, jeder kennt die Kalauer von Papageno und Co., gibt es immer wieder Leute, die drin sitzen, die das zum ersten Mal sehen und hören, vom Genius von Mozart angesteckt werden, an den Stellen lachen, wo Schikaneder sich mal ausgedacht hat, wo sie zu lachen haben, und man wird infiziert. Im Übrigen geht es auch nicht nur um Opern, es geht auch um die menschliche Stimme, die in ihrer Möglichkeit zu phrasieren, verschieden zu phrasieren, die Menschen nach wie vor ansteckt. Also, das ist ...
Führer: ... also, ich verstehe ja, dass Sie für die Oper schwärmen ...
Loebe: ... ja, muss ich doch ...
Führer: ... ja, natürlich, also, ich will Ihnen da auch gar nicht widersprechen! Trotzdem ist ja noch mal die Frage: Sagt man, einmal Oper, immer Oper? Muss sie dann immer bleiben, in Flensburg wie in Frankfurt?
Loebe: Die Oper existiert seit mehreren hundert Jahren, sie hat immer ihr Publikum gefunden. Heute ist es so, dass die Kulturmacher natürlich abhängig sind von Kulturpolitikern, die sich profilieren wollen, indem sie auch andere Dinge entwickeln wollen. Aber man überschaut dabei oder übersieht dabei, dass die Oper nach wie vor im Zentrum unserer Gesellschaft ist, dass sie besucht wird, dass sie Themen, aktuelle Themen aufgreifen kann, analysieren kann und versinnlichen kann.
Führer: Kann, aber sehr selten tut im Gegensatz zum Theater!
Loebe: Das stimmt so nicht. Also, ich erlebe im Theater genau so oder mindestens so viele langweilige Abende. Nur die Tatsache, dass man Stücke auseinanderhackt, dekonstruiert, muss nicht bedeuten, dass es ein spannender Theaterabend ist. Es gibt natürlich bei der Oper ...
Führer: ... nein, aber es gibt doch wesentlich mehr neue Theaterstücke, zeitgenössische Theaterstücke, die den Nerv der Zeit treffen, als neue Opern?
Loebe: Ja, aber wir haben das Glück in der Oper, dass diese Meisterwerke verschieden interpretierbar sind, und die Oper lebt natürlich auch schon so lange so gut, weil wir ganz verschiedene Möglichkeiten haben, in diese Stücke hineinzugehen und sie zu analysieren. Und ich meine, in wie viel Variationen haben wir "Cosí fan tutte" heutzutage schon gesehen? Und in aller Regel glauben wir, dass die Inszenierungen also die Werke immer noch ernst nehmen. Das heißt, es gibt einen großen Interpretationsspielraum bei der Oper, vielleicht auch durch die Musik, vielleicht auch eine größere, im positiven Sinne jetzt gemeint, Werktreue.
Ich glaube, im Theater, im Sprechtheater ist mir einiges oder vieles zu willkürlich, was da geschieht. Auf der anderen Seite, alles, was spannend ist oder auf jeden Fall nicht langweilig ist, ist legitim im Theater. Also, ich denke mal, wir sollten uns da nicht auseinanderdividieren lassen, zumal sehr viel Schauspielregisseure Oper machen, und wenn sie eine Oper gemacht haben, am liebsten nur noch Oper machen möchten ...
Führer: ... aber Herr Loebe, noch mal zurück zu dem Punkt: Also, jede Opernkarte in Deutschland im Schnitt wird mit 100 Euro subventioniert. Da sind die Opern doch auch in einer Rechtfertigung zu sagen, also, dass sie diese Steuermittel auch sinnvoll anwenden! Noch mal jetzt zu der Frage, Sie haben vorhin gesagt: Eine Aufführung, die nur zu 50 Prozent besucht ist, kann immens wichtig sein. Was ist denn Erfolg für eine Oper? Nach welchen Kriterien sollten die Subventionen verteilt werden? Man hat ja den Eindruck, es gibt ein Opernhaus, das wurde subventioniert, also wird es weiter subventioniert. Man guckt nicht darauf, ist dieses Opernhaus jetzt besonders subventionswürdig und das andere mehr oder weniger!
Loebe: Es gibt schon Kriterien für Qualität. Das bedeutet nicht automatisch, wenn die Wiener Staatsoper jeden Abend voll ist, weil so und so viel Japaner auf ihren Tourismustrips in Europa unterwegs sind, dass die Wiener Staatsoper dadurch automatisch ein fantastisches Haus ist! Wir in Frankfurt müssen jeden Abend unseren Erfolg erkämpfen, weil wir nicht einen Tourismus, eine Tourismusstadt sind, sondern weil wir mit unserem Produkt überzeugen müssen.
Ich glaube, es ist nach wie vor das Ensemble. Der Zuschauer muss spüren, dass die da auf der Bühne für ihr Haus, für die Stadt sich zerreißen, für das Stück, das sie, oder für die Oper, die sie singen, zerreißen. Es muss diese Harmonie spürbar sein im Haus, vom Pförtner bis zum Intendanten. Und dann ist das etwas, was ansteckt.
Die Oper hat alles, was die Welt im Großen hat. Ich sage immer, die Oper ist im Kleinen, was die Welt im Großen ist, nur haben wir die Chance, weil es kleiner ist, sie besser zu managen als die, unsere großen Politiker. Und wir sind abhängig von zwei, drei Menschen in einer jeden Stadt, die einfach die Priorität setzen und sagen, das ist nach wie vor ein Punkt, wo die Bürger sich versammeln.
Und wir haben, wie ich vorhin sagte, mehr und mehr soziale Aufgaben, wir gehen in die Schulen, wir machen zum Thema Multikulti unglaublich viel, wir gehen gerade in die Brennpunkte in der Stadt hinein. Und da gibt es erstaunlich viel Interesse von jungen Menschen, die sich, wenn sie einmal bei uns sind, wirklich schnell anstecken lassen.
Führer: Sagt Bernd Loebe, der Intendant der Oper Frankfurt. Herzlichen Dank fürs Gespräch, Herr Loebe!
Loebe: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Bernd Loebe: Guten Morgen!
Führer: Was meinen Sie, ist es sinnvoll, dass sich Deutschland über 80 Opernhäuser leistet?
Loebe: Ja, wir sollten wieder auf die 100 kommen! Oper ist ein Zentrum in jeder Stadt. Es ist ja nicht so, dass wir nur stur unsere Abendveranstaltungen abziehen, sondern wir gehen inzwischen in die Schulen, wir übernehmen die Aufgaben, die ansonsten völlig brach liegen, nämlich in den Schulen. Wir bilden also junge Musiker aus, nicht nur in Stoffen, in Konzepten, in Lebensentwürfen, in Möglichkeiten, dieses Leben zu bewältigen, vielleicht auch eine gute Kritikfähigkeit an dieser Gesellschaft zu entwickeln, auch emotional.
Und das ist halt das Wunderbare, dass eben diese Musik dazukommt und die menschliche Stimme, und mit dieser zweiten Dimension eine Ebene erschlossen wird, die vielleicht auch etwas Irrationales hat, aber umso verführerischer auf junge Menschen auch wirkt.
Führer: Wen meinen Sie jetzt mit Wir, Herr Loebe: Wir Opernintendanten, alle, oder nur jetzt die Oper von ...
Loebe: Ich rede von dem Publikum. Ich habe mal nachgeschaut, 237 Vorstellungen in der letzten Spielzeit oder im letzten Kalenderjahr gesehen, davon vielleicht 150 in meinem eigenen Haus. Ich kann in erster Linie von meinem Haus reden, wir haben eine Auslastung von 90 Prozent, wir haben alle Generationen im Publikum, wir haben die Jungen, die Alten, wir haben Gemischt, wir haben nicht diese fast Graue-Panther-, hätte ich gesagt, -Vorstellung ...
Führer: …Silbersee ...
Loebe: ... also, ja, ich kann nur davon reden, dass zehn Jahre Aufbauarbeit dazu geführt haben, dass die Oper Frankfurt wirklich ein Zentrum ist, ein Meetingpoint für alle Gruppen der Gesellschaft und für alle Alter der Gesellschaft.
Führer: Die Oper Frankfurt, aber möglicherweise doch nicht alle über 80 anderen Opern in Deutschland? Also, Durchschnittsalter liegt bei 57 Jahren, sie ist die teuerste aller Künste – was sich erklärt, weil es eben auch die aufwendigste ist –, sie gilt als elitär und sie zieht eben kaum junges Publikum ...
Loebe: ... darf ich da schon mal reingehen? Was heißt elitär? Wenn wir Anspruchsvolles machen, heißt das elitär! Als ich anfing, ins Theater zu gehen, in die Oper zu gehen, hatten wir keine Übertitel, ich musste das Programmheft zu Hause dreimal noch mal nachlesen und bin noch mal in die Vorstellung rein! Das heißt, es gibt ein ... man muss sich auseinandersetzen mit der Sache, man muss sich darum bemühen. Kultur, die einem sofort suggeriert, dass man sie verstanden hat, ist keine Kultur, um die es sich lohnt zu streiten.
Dann kommt das Wort der Hochkultur immer! Wir müssen uns ständig verteidigen, weil wir sogenannte oder für sogenannte Hochkultur stehen. Sollen wir für Tiefkultur stehen? Sollen wir Talkshows in unseren Theatern machen, blödsinnig aneinandergereihte Talkshows, wo alles nur zerredet wird? Nein, wir wollen Anspruchsvolles machen, wir wollen unser Publikum auffordern, mitzudenken, weiter zu denken, wieder zu kommen.
Und ich glaube, es ist eine Schande, wenn in einer Kulturnation, in einer angeblichen Kulturnation wir unentwegt in diesen Rechtfertigungsdruck geraten. Warum immer über die alten Leute schimpfen? Die haben ihr Leben lang auch Steuern bezahlt, sie haben ein Recht, ernst genommen zu werden und nicht deklariert zu werden als zu alt und graue Haare. Und es ist umso wichtiger, die Alten doch in der Gesellschaft dabei zu haben!
Führer: Nun, ich schimpfe ja auch nicht auf die alten Leute, ich bin ja auch nicht mehr unter 25, sondern es ist ja nur ein Symptom dafür, dass es der Oper offenbar – also, Ihrer Oper mag das so gelingen, Herr Loebe, Sie sind ja auch sehr erfolgreich, Sie haben ja auch schon mehrmals, sind Sie Oper des Jahres geworden –, aber es ist ja nur ein Symptom dafür, dass es der Oper nicht gelingt, junges Publikum wirklich in großem Maßstabe weiter für die Oper zu interessieren. Das Durchschnittsalter von 57 Jahren zeigt das ja an.
Loebe: Ja, war das mal anders, frage ich? Ist es nicht so, dass junge Menschen gerade heute auf der Jobsuche erst mal ihr Studium so schnell wie möglich beenden müssen? Als ich studiert habe, konnte ich so lange studieren, wie ich wollte, da gibt es heute ganz andere Druckgeschichten. Dann sucht man einen Job, dann gründet man vielleicht eine Familie, irgendwann stellt man fest, man hat jetzt alles beisammen, also, was machen wir mit unseren Abenden? Dann geht man auch in das Theater! Und das ist eine normale Entwicklung in unserer Gesellschaft geworden. Ich bezweifle, dass in den 50er-, 60er-Jahren mehr junge Menschen in die Oper oder ins Theater gegangen sind.
Führer: Sagt der Intendant der Oper Frankfurt, Bernd Loebe, im Deutschlandradio Kultur. Herr Loebe, wir sprechen ja nicht über Ihre Opern, sondern insgesamt über die ganze Opernlandschaft in Deutschland. Und es hat so ein bisschen ... Also, wir wissen, die Kommunen haben wenig Geld, das Geld wird verteilt, wir wissen, dass Opern teuer sind, nicht zuletzt wegen der festen Personalkosten, und andere Kulturschaffende hätten gern auch etwas von dem Geld ab. Ist es nicht auch möglich, dass sich manche Kulturinstitutionen überlebt haben? Kann man denn wirklich sagen, nur, weil einmal der Stempel Kultur drauf war, weil wir einmal, 1897 dieses Opernhaus gegründet haben, muss es nun für alle Zeiten weiter subventioniert werden? Man muss es doch begründen?
Loebe: Ja, aber es ist ja so, dass wir nach wie vor ein Publikum haben. Es ist ja nicht so, dass wir vor leeren Häusern spielen. Auch in den Konzertsälen: Wenn ich immer über diese wissenschaftlichen Analysen von Professoren lese, die am Bodensee sitzen und offensichtlich nicht abends ins Theater gehen ...
Im Übrigen geht es auch nicht nur nach der Quantität. Ein Haus, das zu 50 Prozent besetzt ist, aber einen tollen Abend präsentiert, mit dem man also ... nach dem man nachdenklich nach Hause geht, wo man vielleicht nicht schlafen kann, morgens wieder aufwacht, sich damit beschäftigt, der ist doch mindestens so wichtig als ein Haus mit 100 Prozent Auslastung an einer "Zauberflöte" – die nach wie vor natürlich ein Meisterwerk ist!
Also, ich erlebe es jetzt gerade wieder bei einer 135. Vorstellung von "Zauberflöte", wo wir denken, jeder weiß, was da passiert, jeder kennt die Kalauer von Papageno und Co., gibt es immer wieder Leute, die drin sitzen, die das zum ersten Mal sehen und hören, vom Genius von Mozart angesteckt werden, an den Stellen lachen, wo Schikaneder sich mal ausgedacht hat, wo sie zu lachen haben, und man wird infiziert. Im Übrigen geht es auch nicht nur um Opern, es geht auch um die menschliche Stimme, die in ihrer Möglichkeit zu phrasieren, verschieden zu phrasieren, die Menschen nach wie vor ansteckt. Also, das ist ...
Führer: ... also, ich verstehe ja, dass Sie für die Oper schwärmen ...
Loebe: ... ja, muss ich doch ...
Führer: ... ja, natürlich, also, ich will Ihnen da auch gar nicht widersprechen! Trotzdem ist ja noch mal die Frage: Sagt man, einmal Oper, immer Oper? Muss sie dann immer bleiben, in Flensburg wie in Frankfurt?
Loebe: Die Oper existiert seit mehreren hundert Jahren, sie hat immer ihr Publikum gefunden. Heute ist es so, dass die Kulturmacher natürlich abhängig sind von Kulturpolitikern, die sich profilieren wollen, indem sie auch andere Dinge entwickeln wollen. Aber man überschaut dabei oder übersieht dabei, dass die Oper nach wie vor im Zentrum unserer Gesellschaft ist, dass sie besucht wird, dass sie Themen, aktuelle Themen aufgreifen kann, analysieren kann und versinnlichen kann.
Führer: Kann, aber sehr selten tut im Gegensatz zum Theater!
Loebe: Das stimmt so nicht. Also, ich erlebe im Theater genau so oder mindestens so viele langweilige Abende. Nur die Tatsache, dass man Stücke auseinanderhackt, dekonstruiert, muss nicht bedeuten, dass es ein spannender Theaterabend ist. Es gibt natürlich bei der Oper ...
Führer: ... nein, aber es gibt doch wesentlich mehr neue Theaterstücke, zeitgenössische Theaterstücke, die den Nerv der Zeit treffen, als neue Opern?
Loebe: Ja, aber wir haben das Glück in der Oper, dass diese Meisterwerke verschieden interpretierbar sind, und die Oper lebt natürlich auch schon so lange so gut, weil wir ganz verschiedene Möglichkeiten haben, in diese Stücke hineinzugehen und sie zu analysieren. Und ich meine, in wie viel Variationen haben wir "Cosí fan tutte" heutzutage schon gesehen? Und in aller Regel glauben wir, dass die Inszenierungen also die Werke immer noch ernst nehmen. Das heißt, es gibt einen großen Interpretationsspielraum bei der Oper, vielleicht auch durch die Musik, vielleicht auch eine größere, im positiven Sinne jetzt gemeint, Werktreue.
Ich glaube, im Theater, im Sprechtheater ist mir einiges oder vieles zu willkürlich, was da geschieht. Auf der anderen Seite, alles, was spannend ist oder auf jeden Fall nicht langweilig ist, ist legitim im Theater. Also, ich denke mal, wir sollten uns da nicht auseinanderdividieren lassen, zumal sehr viel Schauspielregisseure Oper machen, und wenn sie eine Oper gemacht haben, am liebsten nur noch Oper machen möchten ...
Führer: ... aber Herr Loebe, noch mal zurück zu dem Punkt: Also, jede Opernkarte in Deutschland im Schnitt wird mit 100 Euro subventioniert. Da sind die Opern doch auch in einer Rechtfertigung zu sagen, also, dass sie diese Steuermittel auch sinnvoll anwenden! Noch mal jetzt zu der Frage, Sie haben vorhin gesagt: Eine Aufführung, die nur zu 50 Prozent besucht ist, kann immens wichtig sein. Was ist denn Erfolg für eine Oper? Nach welchen Kriterien sollten die Subventionen verteilt werden? Man hat ja den Eindruck, es gibt ein Opernhaus, das wurde subventioniert, also wird es weiter subventioniert. Man guckt nicht darauf, ist dieses Opernhaus jetzt besonders subventionswürdig und das andere mehr oder weniger!
Loebe: Es gibt schon Kriterien für Qualität. Das bedeutet nicht automatisch, wenn die Wiener Staatsoper jeden Abend voll ist, weil so und so viel Japaner auf ihren Tourismustrips in Europa unterwegs sind, dass die Wiener Staatsoper dadurch automatisch ein fantastisches Haus ist! Wir in Frankfurt müssen jeden Abend unseren Erfolg erkämpfen, weil wir nicht einen Tourismus, eine Tourismusstadt sind, sondern weil wir mit unserem Produkt überzeugen müssen.
Ich glaube, es ist nach wie vor das Ensemble. Der Zuschauer muss spüren, dass die da auf der Bühne für ihr Haus, für die Stadt sich zerreißen, für das Stück, das sie, oder für die Oper, die sie singen, zerreißen. Es muss diese Harmonie spürbar sein im Haus, vom Pförtner bis zum Intendanten. Und dann ist das etwas, was ansteckt.
Die Oper hat alles, was die Welt im Großen hat. Ich sage immer, die Oper ist im Kleinen, was die Welt im Großen ist, nur haben wir die Chance, weil es kleiner ist, sie besser zu managen als die, unsere großen Politiker. Und wir sind abhängig von zwei, drei Menschen in einer jeden Stadt, die einfach die Priorität setzen und sagen, das ist nach wie vor ein Punkt, wo die Bürger sich versammeln.
Und wir haben, wie ich vorhin sagte, mehr und mehr soziale Aufgaben, wir gehen in die Schulen, wir machen zum Thema Multikulti unglaublich viel, wir gehen gerade in die Brennpunkte in der Stadt hinein. Und da gibt es erstaunlich viel Interesse von jungen Menschen, die sich, wenn sie einmal bei uns sind, wirklich schnell anstecken lassen.
Führer: Sagt Bernd Loebe, der Intendant der Oper Frankfurt. Herzlichen Dank fürs Gespräch, Herr Loebe!
Loebe: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.