High Society im Blutbad
Der australische Regisseur Simon Stone hat mit der Inszenierung von Aribert Reimanns Oper "Lear" sein Debüt bei den Salzburger Festspielen gegeben. Stone habe packende Bilder gefunden, die sich einbrennen, meint unsere Kritikerin.
Aribert Reimanns 1978 uraufgeführter " Lear" ist mittlerweile eine der erfolgreichsten zeitgenössischen Opern, obwohl der Komponist Shakespeares zeitlos schreckliches Drama um den Niedergang der Macht zunächst für unkomponierbar gehalten hatte. In Salzburg tritt nun der kanadische Bariton Gerald Finley als Lear in Dietrich Fischer-Dieskaus Fußstapfen und Franz Welser-Möst beschwört in Höchstkonzentration mit den Wiener Philharmonikern die seelischen Abgründe der gewaltigen Partitur bis zur Schmerzgrenze mit separiert dröhnendem Schlagwerk auf einer Empore.
Der erste Teil auf einer Blumenwiese
Regisseur Simon Stone hat dabei einen sehr schmalen Laufsteg parallel zum Orchestergraben als Bühne gewählt, die er für den ersten Teil mit einer Blumenwiese begrünt. Unter den Arkaden der Felsenreitschule sind Sitzreihen installiert, auf denen Publikum in Abendgarderobe platznimmt. Ein sehr genauer Spiegel der anwesenden Gesellschaft. Aus ihm heraus betreten die Sänger die Szene. Dieser Lear ist ein Smoking tragender High Society Potentat, sein Gefolge besteht aus einer sexlustigen, marodierenden Männerhorde, die mit Bierdosen bewaffnet die Blumenwiese zertrampelt.
Gerald Finley verkörpert Lear als starken, lebenshungrigen Mann und singt die große Partie mit bewundernswertem Körpereinsatz. Er wälzt sich im Nieselregen in der feuchten Blumenerde und entblößt sich bis auf die Unterwäsche. Trotz kleiner Texthänger ist Finley stimmlich voll auf der Höhe seiner Möglichkeiten. Die beiden machtgierigen Töchter Goneril und Regan zeigt Stone als spießige Zicken im pastellfarbenen Chanel-Kostüm, lässt sie aber weniger über szenische Aktion als über Reimanns extreme Musik sprechen. Evely Herlitzius und Gun-Brit Barkmin übertreffen sich gegenseitig mit herausragend hysterischen Spitzentönen.
Der wahnsinnige Lear verendet in einem Krankenhausbett
Erst in der Schlusszene hat Anna Prohaska als zarte Cordelia ihren großen Auftritt, für die Stone den wahnsinnigen Lear im weißen Krankenhausbett verenden lässt. Zuvor wird noch das Statisten-Publikum von Security Mitarbeitern aus den Sitzen gerissen und in einer großen Blutpfütze hübsch der Reihe nach gebadet und entsorgt. Der ebenfalls in den Wahnsinn geflüchtete Edgar kehrt im Mickey Mouse Kostüm mit Luftballons in die grausame, sich selbst vernichtende Welt zurück.
Die letzte Neuproduktion der diesjährigen Salzburger Festspiele ist ein akustisch wie szenisch extremes Erlebnis. Stones starke Bilder auf der Laufsteg-Bühne brennen sich ein, die Wucht der musikalischen Interpretation wirkt erschlagend, doch ein begeistert wirkender Aribert Reimann wird am Ende der Premiere vom Publikum gefeiert.