Hoffnung auf Wagner in Taschkent
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Seit dem Tod des langjährigen Diktators Islam Karimow erlebt Usbekistan eine vorsichtige Öffnung zum Ausland hin. Die Kulturschaffenden des Landes schwanken zwischen Skepsis und großen Träumen. Der Wandel vollzieht sich aber nur in kleinen Schritten.
Der Raum der dramaturgischen Freiheit verbirgt sich in einem Keller von Taschkent. Was früher ein Lagerraum für Kartoffeln eines darüber stehenden Hotels war, ist zum Theater geworden: das "Ilchom", usbekisch für Inspiration. Hier unten müssen sich Bühne, Technik und 150 Zuschauerstühle den engen Platz teilen.
Während oben an der Erdoberfläche bis vor wenigen Jahren verschiedene Regime den Raum des Denkens oftmals brutal und eng begrenzten, kamen hier unten die Themen zur Sprache, über die oben geschwiegen werden musste: Politik, Korruption, Religion, Gewalt.
Der Theatergründer wurde von Islamisten ermordet
"Die Existenz eines Theaters wie Ilchom in einem demokratischen Staat, wie er ja immer genannt wurde, war im Interesse dieses Staates. Wenn es Vorwürfe gab, konnte er immer sagen: Dort haben wir Ilchom. Wir haben Demokratie und Redefreiheit", sagt Irina Bcharat, stellvertretende Direktorin des Theaters. "Wir haben immer getan, was wir wollten".
Was sie fast mit einem Achselzucken sagt, war und ist in Wahrheit keine Selbstverständlichkeit und ein komplizierter Weg; im Jahr 2007 stand alles ganz nah am Abgrund.
Irina Bcharat schließt die Tür zu einem Zimmer auf, das seit nun zwölf Jahren nicht verändert wurde. Hier hat Gründungsdirektor Mark Weil gearbeitet. Er wurde damals erstochen, von Fanatikern, weil in einem Stück der Islam thematisiert wurde. Usbekistan ist ein weitgehend muslimisch geprägtes Land.
Skepsis und Gewöhnung an die Angst
Aber das Theater hat auch das Karimow-Regime überlebt. Nun bricht im Land eine neue Zeit an, die zu vermessen noch schwer fällt. Mehr Investoren und Touristen kommen, so viel steht schon fest. Aber mehr Kunstfreiheit auch an der Erdoberfläche, nicht nur in diesem Keller? Der künstlerische Leiter, Boris Gafurow, ist skeptisch:
"Keiner weiß es. Menschen ändern sich nicht so schnell innerhalb von zwei, drei Jahren. Das Denken wurde über Jahre unfrei. Wir haben uns daran gewöhnt, in Angst zu leben. Das sitzt schon im Unterbewusstsein, unter der Haut. Jetzt sagen sie dir: 'Freiheit', aber du glaubt nicht an sie."
Neu sei, dass der Name Ilchom nun im Staatsfernsehen genannt werde. Das Theater will so bleiben, wie es ist: selbstständig, ohne staatliche Einmischung, aber auch ohne großes Geld. Ein Schauspieler verdient kaum mehr als 100 Euro monatlich. Alle haben zwei oder drei Jobs.
Die Träume des Operndirektors
Besser ausgestattet ist das Ensemble der staatlichen Oper und des Balletts, das eines der prachtvollsten Gebäude Taschkents seine Heimstatt nennt. Das Büro des Direktors liegt im hinteren Teil, könnte man durch seine Zimmerwand sehen, schaute man direkt auf die Bühne.
Spricht Machmud Muratow von seinen Träumen, die ihm die beginnende Öffnung des Landes ermöglicht, fällt ein Name: Richard Wagner. "Wir haben diesen Traum. Wir denken darüber nach, weil wir möchten, dass ein Werk des genialen Wagners auch auf die Bühne der usbekischen Oper kommt."
Der Usbeke sucht noch Partner aus Deutschland für sein Projekt. Dem neuen Präsidenten Mirsijojew gebühre Dank, dass von Wagner nun immerhin geträumt werden könne, was früher unmöglich war. Direktor Muratow hat deshalb nicht vor, sich mit seinen inzwischen 69 Jahren zur Ruhe zu setzen. "Unser Präsident schafft Bedingungen, unter denen wir von neuem tief durchatmen können, um zu arbeiten, arbeiten, arbeiten."
Das Kulturministerium bestimmt das Programm mit
Was jedoch nicht bedeutet, dass Oper und Ballett in Taschkent Orte politischer Debatte werden wollen. Der Direktor hält eingeübte Distanz:
"Ich kann sagen, dass in diesem Theater, der Visitenkarte Usbekistans, niemals Fragen aufgebracht wurden, die mit Politik zu tun haben. Hier gibt es nur die reine hohe Kunst."
Das Programm, versichert der Direktor, werde in enger Abstimmung mit dem Kulturministerium festgelegt. Mit der sogenannten Liberalisierung Usbekistans gehen sie hier sehr zurückhaltend um.
Worin dann aber doch, neben dem Traum von Wagner, die kleinen Schritte bestehen, die im Land selbst größer wirken, zeigt die Abschiedsszene: Der Operndirektor muss vom Interview aufstehen, weil gleich die Vorstellung beginnt. Eine kasachische Folklore-Tanzgruppe betritt die Bühne. Für die beiden Nachbarländer Usbekistan und Kasachstan ist so ein Auftritt symbolisch, denn jahrelang war ein Austausch nicht möglich.
Der Wandel mag nicht erheblich wirken, aber er hat begonnen.