Bora Ćosić: „Operation Kaspar“

Europa als Saustall

05:52 Minuten
Auf dem Buchcover ist aus der Vogelperspektive ein Mann und eine Frau zu sehen, die auf eine Unzahl in Reihe stehender Lederkoffer blicken, die auf dem Trottoir stehen. Der Mann weist mit dem Zeigefinger auf einen der Koffer und trägt seinen Mantel über den Unterarm gelegt. Die Frau trägt eine Handtasche. Auf dem Kopfsteinpflaster der Straße und des Bürgersteigs sind der Autorenname und er Buchtitel zu lesen.
© Schöffling Verlag

Bora Cosic

Aus dem Serbischen von Brigitte Döbert

Operation KasparSchöffling, Frankfurt/Main 2022

128 Seiten

18,00 Euro

Von Roland Zschächner · 02.02.2022
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Was Flucht, Isolation und Angst mit Menschen machen können, zeigt Bora Ćosić in „Operation Kaspar“. Dort begleitet er die Flucht eines Paares vom Balkan nach Deutschland und stellt zugleich die europäische Zivilisation infrage.
Irgendwo in der südlichen Peripherie Europas leben eine Frau und ein Mann zusammen in einer Wohnung, die so unordentlich und zugestellt ist, dass man sie getrost als Abbild ihres Lebens ansehen kann. Sie läuft leicht bekleidet mit einem Unterrock hektisch und nervös von Zimmer zu Zimmer, um immer etwas anderes zu suchen.
Er dagegen sitzt in einer Ecke, trägt Hut, verfolgt in alten Zeitungen den Pferderennsport und wenn es ihm beliebt, dreht er in den vier Wänden eine Runde auf dem Fahrrad.
Viel zu sagen haben sich die beiden nicht, man lebt, ohne recht zu wissen, wofür. Doch dann kommt der Krieg hinzu. Aus der Zeitung entspringen die Bilder von Gewalt und Gräueltaten. Veränderung muss her. So entschließen sich die beiden Namenlosen, ihre Heimat zu verlassen.
Der mitgenommene Koffer ist leer, was sollen sie schon mitnehmen von den Tausenden Sachen, die ihre Wohnung verstopfen? In der Ferne, einem Land im Norden, wo die Menschen deutsche Namen tragen, werden sie von der Polizei aufgegriffen. Auf Fragen bleiben sie Antworten schuldig. Denn es fehlt nicht nur die Sprache zwischen den Partnern, sondern auch für die Kommunikation mit der neuen Umwelt.

Ein Roman wie ein Kammerspiel

Doch wo es keine Wörter gibt, können sie gelernt werden. Das denkt sich zumindest Professor Daumer, der ein Landgut mit allerlei Pflanzen unterhält. Für deren Pflege benötigt er Helfer, die vorherigen waren über Nacht verschwunden. Nun also kann der philanthropische Wissenschaftler nicht nur seinen Forschungen an der Botanik, sondern auch an Menschen nachgehen. Doch fällt es den Geflüchteten schwer, das angetragene Wissen aufzunehmen, zudem endet die Geschichte für sie tragisch.
Ćosić ist ein Meister der essayistischen Ausführungen. Seine Assoziationen spannen den Bogen zwischen Allgemeinem und Besonderem, zwischen Individuum und Gesellschaft. Der Saustall von Wohnung wird zum Kontinent Europa, in dem eine fragile Ordnung herrscht, die die Bewohner lähmt. Ein Schicksal, das von der Vergangenheit bestimmt ist. Die Flucht ist naheliegend, doch wird der Ausweg zur Gefahr für Leib und Leben, zertretene Hoffnung inklusive.
„Operation Kaspar“ heißt der Roman, der einem Kammerspiel ähnlich ist und 1998 in Serbien erschien. Pünktlich zum anstehenden 90. Geburtstag von Bora Ćosić liegt das Buch nun von Brigitte Döbert übersetzt auf Deutsch vor.

Der Fall Kaspar Hauser

Der Titel des Romans verweist auf den historischen Fall Kaspar Hauser. Das Findelkind sorgte im 19. Jahrhundert für Aufmerksamkeit und regte die Fantasie an. Das Bürgertum in Nürnberg – darunter der Gelehrte Daumer – macht sich daran, den groben Jungen mit Bildung in die vermeintliche Zivilisation zurückzuholen.
Wenn Ćosić diese Geschichte in den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts aufgreift, dann als Analogie des Schicksals der Geflüchteten dieser Zeit. Nicht wenige von ihnen kamen damals vom als unzivilisiert gebrandmarkten Balkan und suchten Schutz in Deutschland. Auch der Autor verließ 1992 Belgrad vor der beginnenden blutigen Zerstörung Jugoslawiens, sein Exil fand er in Berlin.
Was Flucht, Isolation und Angst mit Menschen machen können, zeigt Ćosić in „Operation Kaspar“. Dabei führt ein außerhalb der Szenerie stehender Icherzähler durch die Geschichte. „Das Leben macht Menschen das Leben schwer“, fasst dieser das Schicksal des Paars zusammen.
In einem beschreibenden Plauderton sieht er genau hin, ohne moralisch zu werden; zuweilen werden Details unter die Lupe genommen und gleich im nächsten Moment weitet sich der Blick oder schweifen die Gedanken wild und frei umher.
Dass dies nicht gestelzt daherkommt, ist dem schriftstellerischen Können des Autors zu verdanken. Die Kraft seiner Worte zeichnet Situation, die manchmal so grotesk und surreal erscheinen, weil sie dem Alltag entspringen.
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