Prehabilitation

Fit werden für die Operation

23:44 Minuten
Frauenbeine auf einem Laufband
Auch Training auf einem Laufband kann auf eine Operation vorbereiten. © imago images / Addictive Stock /Bea Vera
Von Silvia Plahl |
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Ob bei Operationen mit künstlichem Knie, Hüftersatz oder bei Krebserkrankungen: Die Prehabilitation, also die gezielte Vorbereitung auf einen medizinischen Eingriff, hilft immer mehr Menschen. So sollen sie die Operation möglichst fit überstehen.
Eine 72-jährige Frau mit ernsthaften körperlichen Problemen bereitet sich aktiv auf ihre OP und auf die Zeit danach vor. Sie möchte Komplikationen vorbeugen und sich nach dem schweren Eingriff optimal und zügig erholen. Das Training, das sie dabei absolviert, nennt sich Prehabilitation. Sie soll die Patientin in einer langen schwierigen Phase unterstützen.
Die Prehabilitation umschreibt, dass Patientinnen und Patienten vor einer Operation oder einer medizinischen Behandlung gezielt ihre Fitness trainieren. Das kann ein Muskeltraining vor einem Hüftersatz sein, Fuß-, Bein-, Arm- und Rückenübungen, die auf ein neues Kniegelenk oder eine Schulter-OP vorbereiten.

Internationale Studien zeigen Wirksamkeit

Rudern, Gehen und Laufen, Strecken und Beugen gehören dazu. Ein spezielles Greif- oder ein Gleichgewichtstraining können aber auch dazu beitragen, die Behandlung einer Krebserkrankung besser zu verkraften und sogar deren Nebenwirkungen zu reduzieren.
Vor allem internationale Studien haben auf diesen Effekt erstmals aufmerksam gemacht, doch noch ist die Prehabilitation eine junge Disziplin. 2007 etwa zeigten erste Fallberichte die Bedeutung einer Preha-Behandlung bei Krebs. 2017 fand der erste Weltkongress zur Prehabilitation in Montreal statt. Ein Jahr später gründete sich die „International Prehabilitation Society“, gefördert von einem Team aus den Niederlanden, Kanada und Großbritannien.

Positive Effekte auch bei Eingriffen in Deutschland

Auch deutsche Kliniken, Tumorzentren oder orthopädische Praxen erproben inzwischen diese angestrebte Fitness vor einem Eingriff und beobachten gute Ergebnisse. Es gibt immer mehr Querschnittsstudien, die viele positive Effekte der Prehabilitation belegen. Wie genau sie dabei wirkt, wird weiter untersucht.
Im Mittelpunkt steht die Frage: Wie kriege ich eigentlich den Patienten dahin, dass er physisch in einem Zustand ist, der es dann erlaubt, dass er diesen Eingriff, diese Behandlung am besten übersteht?
Wilhelm Bloch, Professor für Kreislaufforschung an der Deutschen Sporthochschule in Köln, erklärt: Jeder Eingriff und jede Behandlung verlangten vom Körper Höchstleistungen. Er als Sportmediziner achte dabei vor allem auf die körperliche Leistungsfähigkeit eines Menschen: Ist die Sauerstoffaufnahme ausreichend? Wie gut pumpt das Herz? Wie stabil ist das Herz-Kreislauf-System?
Sportwissenschaftler Wilhelm Bloch
Jeder Eingriff fordert vom Körper Höchstleistungen, sagt Sportwissenschaftler Wilhelm Bloch.© Deutsche Sporthochschule Köln
Bloch möchte eine Prehabilitation dafür nutzen, allem voran die Herz- und Lungenleistung von Patientinnen und Patienten in kurzer Zeit zu verbessern. Also Radfahren, Kniebeugen, Bankpressen, Rudern – und Ausdauer und Kraft trainieren.

Muskeltraining stärkt Immunsystem

Wilhelm Bloch erklärt: „Durchs Training setzt man einen Belastungsreiz, das Herz kriegt kurzzeitig einen Sauerstoffmangel, während der OP hat das Herz einen hohen Stress. Aber ich habe durch diese kleinen Stressreize das Herz vorbereitet.“
Die Immunabwehr wird gestärkt. Der Muskel ist auch ein Organ. Das steuert letztendlich auch das Immunsystem. Das heißt also: Dieses Training der Muskulatur stabilisiert gleichzeitig dann auch das Immunsystem. Ein Atemtraining kann zudem eine Lungenentzündung verhindern.

Im besten Fall zugeschnitten auf eine Person

Während einer Operation müssen viele Muskel beatmet werden; danach springen trainierte Zwerchfellmuskeln eher wieder richtig an. Frisch Operierte, die hingegen nicht genug ausatmen können, haben ein erhöhtes Risiko für eine Lungeninfektion.
Eine Prehabilitation ist im besten Fall genau zugeschnitten auf eine Person und ihre Beschwerden – und auf das, was die anstehende medizinische Behandlung noch zusätzlich erzeugt: erwartbare weitere körperliche Herausforderungen. Das sollen durchdachte Bewegungsabläufe auffangen. Dosierte Trainingsreize aktivieren die Muskulatur und das Herz-Kreislauf-System und bereiten den Bewegungsapparat und das Immunsystem auf die OP-Belastung vor. Welche Übungen für welchen Menschen nützlich sein können, muss vorab festgestellt werden.

Prehabilitation kann Heilungsprozesse verbessern

Gut abgestimmte Übungen können die Heilungsprozesse des Körpers unterstützen. Patientinnen und Patienten trainieren vernachlässigte Nachbarmuskeln, korrigieren ihre Beinachsen, bauen ihr Fußgewölbe auf. Sie stabilisieren ihre Tiefenmuskulatur. Vor einer Knie-, Hüft- oder Schulter-OP können sie Schultergürtel, Rumpf und Beinmuskulatur stärken.
Sich sinnvoll bewegen trotz akuter Bewegungseinschränkungen. Viele müssen von dieser noch ungewöhnlichen Kombination erst überzeugt werden. Doch sie funktioniert bereits bei immer mehr Erkrankten.
Silke, 43 Jahre alt, möchte davon erzählen. Sie ist im vergangenen Jahr an Brustkrebs erkrankt. Mit der Diagnose erhielt sie die übliche ärztliche Empfehlung, auch als Krebspatientin stets aktiv zu bleiben.
„Wenn mir jemand sagt: Mach doch ein bisschen Sport, dann denke ich: Wie soll ich das denn machen? Geht ja auf gar keinen Fall. Ich kann nicht mal ohne Hilfe zur Toilette gehen. Wie soll ich denn da bitte Sport machen? Es geht aber tatsächlich!“
Silke fand einen Rettungsanker für sich: die Onkologische Trainingstherapie am Centrum für Integrative Onkologie der Uniklinik Köln. „Manchmal musste ich mit dem Taxi hingefahren und dann bis zur Tür so gestützt begleitet werden - und dann konnte ich auch nicht alle Übungen so machen, wie es vielleicht ursprünglich mal vorgesehen war. Aber ich habe jeden Termin wahrgenommen, bin zweimal die Woche hier für eine Stunde hin und habe mich bewegt.“

Oft Sensibilitätsstörungen bei Krebserkrankung

Sportwissenschaftlerin Stefanie Siebert betreut die Patientin für die laufende Studie „Körperliche Aktivität und Ernährung während einer onkologischen Therapie“:
„Das ist ein ganz klassisches Werkkastensystem, wo wir vor Ort versuchen, Patienten in der Akutphase, aber auch gern prehabilitativ zu betreuen: Polyneuropathie, Fatigue, Harninkontinenz. Wir versuchen rauszufinden: Was sind Nebenwirkungen, die da sind? Was sind Nebenwirkungen, die wir vorhersagen können, weil wir vielleicht schon Erfahrungen gesammelt haben? Dann versuchen wir, diesen Baukasten für den Patienten zu bauen.“
Viele Krebspatientinnen und -patienten leiden während einer Chemo- oder Immuntherapie unter Sensibilitätsstörungen, die sie als Kribbeln, Taubheitsgefühl oder Schmerzen erleben und die durch neurotoxische Wirkstoffe ausgelöst werden.

Auch Bewegung kann helfen

Auch hier versucht die Onkologische Trainingstherapie möglichst früh gegenzusteuern, am besten noch vor der Krebsbehandlung – um die Nervengesundheit zu stärken. Seit 2010 entwickelt Professor Freerk Baumann das Konzept der Onkologischen Trainings- und Bewegungstherapie an der Kölner Uniklinik, das mittlerweile in Deutschland und auch international Schule macht. Er sagt: Die Bewegung könne teilweise besser wirken als Medikamente, die üblicherweise eingesetzt werden, um die Nebenwirkungen einer Krebserkrankung zu bekämpfen. Oder auch die Nebenwirkungen der medizinischen Behandlung. Bewegung reduziert diese Nebenwirkungen oft oder verhindert sie sogar.
Freerk Baumann, Sportwissenschaftler an der Universität Köln
Freerk Baumann entwickelt das Konzept der Onkologischen Trainings- und Bewegungstherapie an der Kölner Uniklinik.© Universität Köln

Dazu zählt beispielsweise das Fatigue-Syndrom. Das ist die Erschöpfung. Die Müdigkeit der onkologischen Patienten. Und da können wir ganz eindeutig sagen: Ja, das Medikament Bewegung ist hier deutlich besser, deutlich wirksamer, effektiver und das Beste ist sogar noch: ganz ohne Nebenwirkungen.

Freerk Baumann, Sportwissenschaftler

Im Rahmen der Onkologischen Trainingstherapie, kurz OTT, versuchen Freerk Baumann und sein Team zuerst zu klären, wie stark die Fatigue bereits ist. Nicht wenige Krebskranke wollen nur noch liegen bleiben. Die chronische Erschöpfung gilt inzwischen auch als mögliches Symptom einer Covid-19-Infektion, nicht selten als Langzeitfolge oder Post-Covid-Fatigue. Auch sie sollte sehr gezielt aufgefangen werden.
Ausdauer kann die Fatigue vermindern, aber auch ein Krafttraining. Welches Programm die besten Ergebnisse erzielt, will auch das Forschungsteam durch die Onkologische Trainingstherapie noch herausfinden.

Wichtig: Es ist einfacher, eine Fatigue-Problematik von vornherein zu verhindern, als eine vorhandene Fatigue wieder zu reduzieren. Wenn die Patienten erst einmal in diesem Loch stecken, aus einer Erschöpfung, aus einer möglichen Depression, die oft mit einer Fatigue einhergeht, dann ist es echt schwierig, die Patientinnen und Patienten wieder aus diesem Loch herauszuziehen. Dann schaffen sie es in der Regel nicht mehr alleine.

Freerk Baumann, Sportwissenschaftler

In der Onkologie sollte die Bewegungstherapie als Prehabilitation ab der Diagnose beginnen. Damit die Krebspatientinnen und -patienten sich gut auf alles vorbereiten können, was da noch auf sie zukommt.
Eine gute Prehabilitation aktiviert die Ressourcen und das Bewegungspotenzial kranker Menschen. Sie fordert sie, ohne sie zu überfordern. Das OTT-Konzept der Uniklinik Köln berücksichtigt daher immer das Alter und Geschlecht der Krebspatientinnen und -patienten, auf welche Art sie sich gern bewegen und welche Bewegungen in ihrem Lebenslauf eine Rolle spielen oder gespielt haben. Die Erkrankten bestimmen dann von Anfang an mit, welches Trainingsprogramm zu ihnen passt.

Konferenzen an der Berliner Charité

Die Berliner Charité hat für eine möglichst maßgeschneiderte „Preha“ groß angelegte Konferenzen ins Leben gerufen, an denen auch die Patientinnen und Patienten beteiligt sind.
Die Professorin und Chefärztin Claudia Spies, Anästhesistin und Intensivmedizinerin und der Physiotherapeut Jörn Kiselev koordinieren an Europas größter Universitätsklinik gerade eine deutschlandweite Studie für Menschen über 70 mit einem Gebrechlichkeitssyndrom. Auch sie haben einen chirurgischen Eingriff vor sich. Bei den meisten geht es um ein künstliches Knie- oder Hüftgelenk.
"Es ist das erste Mal", erläutert Claudia Spies, "dass man in einem Team, in einem Shared-decision-Prozess mit Beteiligung der Patienten, der Geriater, der Chirurgen, Anästhesisten, Psychologen, der Physiotherapeuten, der Ernährungsberater, sagt: Was sind die Einschränkungen, die evaluieren wir vorher – und diese Einschränkungen, die werden dann trainiert. Jeder weiß Bescheid, dass die trainiert werden. Der Patient hat auch ein Ziel, daran arbeitet man dann auch gemeinsam.“

Wer als gebrechlich eingestuft wird

Das Ziel ist hier: Die Gebrechlichkeit der über 70-Jährigen zu reduzieren. Jörn Kiselev, Physiotherapeut an der Charité Berlin, sagt dazu: "Wir machen zwei Messungen: Wir messen die Handkraft, mit einem Hand-Dynamometer. Da weiß man, dass die Kraft in der Hand sehr repräsentativ ist für die gesamte Körperkraft. Wir wollen wissen, ob jemand 4,57 Meter – in mehr als sieben Sekunden oder bei größeren Menschen mehr als sechs Sekunden absolvieren kann.“
Wer langsamer geht, wird in diesem Punkt als gebrechlich eingestuft, erklärt Jörn Kiselev, der auch Medizinwissenschaftler ist. Das Gehen gab der Charité-Studie ihren Namen: „Prep-Go“. Claudia Spies erklärt: „Man prehabilitiert Patienten preoperativ und das Go steht auch dafür, dass Patienten hinterher wirklich gehen können. Mit ihrem Gehen meine ich nicht nur das Gehen am Rollator, sondern das freie Gehen. Wenn sie vorher einen Rollator haben, dass sie dann nicht bettlägerig werden. Diese Verschlechterungen wollen wir verhindern.“
Aus anderen Studien ist bekannt, dass eine Gebrechlichkeit in der Tat umkehrbar ist, wie Jörn Kiselev erläutert: „Wir wollen vor der Operation den Gebrechlichkeitszustand verbessern, damit während und direkt nach der Operation weniger Komplikationen auftreten, die mit einer Gesamtverschlechterung einhergeht oder einem verlängerten Krankenhausaufenthalt oder einer schlechteren Kapazität für den Rehabilitationsprozess.“

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