Eltern der Opfer fordern Aufklärung
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Die Pharmafirma Purdue vertreibt in den USA das Schmerzmittel OxyContin - ein Opioid, das stark abhängig macht oder zu Heroinsucht führen kann. Eltern von Drogentoten protestieren deshalb regelmäßig gegen Purdue. 35 Bundesstaaten haben die Firma verklagt.
"Schaut uns an!" "Schaut auf unsere Kinder!" – 40 Mütter und Väter, alle halten Schilder mit Bildern ihrer toten Kinder hoch, stehen im kalten Bostoner Winterwetter vor dem Oberlandesgericht des US-Bundesstaats Massachusetts.
In dunkelblauen Wollmänteln ziehen an ihnen ohne aufzusehen die Anwälte des Pharmakonzerns vorbei, der seit Mitte der 90er-Jahre mit Opioiden ein Milliardengeschäft betreibt, das Schmerzmittel in Amerika als vermeintlich unbedenkliches Massenmedikament etablierte. Für Tausende ging es von der sogenannten Blockbuster-Pille OxyContin direkt zu Heroin.
Vom Schmerzmittel zum Heroin
Der Schmerz, das eigene Kind beerdigen zu müssen, ist unvorstellbar, sagt Cheryl Juaire, eine Frau Anfang 50; sie trägt ein graues Sweatshirt, auf dem der Name ihres Sohnes steht, Corey. Ihre Stimme bricht kurz. Wir alle haben Geschichten, sagt sie. Alle von uns. Als ihr Sohn vor sechs Jahren starb, hinterließ er eine kleine Tochter. Heute ist sie acht.
Seit drei Jahren ist die Trauergruppe "Team Sharing Massachusetts" in Boston aktiv - mit inzwischen 600 Eltern, die wie Cheryl ihr Kind an Drogensucht verloren haben. Wo immer sie können, zeigen sie als Eltern der Opfer von Amerikas-Opioid-Epidemie Präsenz. Zuletzt haben sie in Stamford, Connecticut, vor dem Headquarter von Purdue Pharma protestiert.
Jeden Tag sterben 175 Kinder, meint Cheryl.
Es fehlen Entzugseinrichtungen
Die Kraft, die es kostet, sich als lobbylose Vorort-Mutter Gehör zu verschaffen, ist den Eltern anzusehen. Ihre Trauer und Verzweiflung spiegeln die Stimmung im Land: Nach mehr als 200.000 Drogentoten.
In über 35 US-Bundestaaten laufen mittlerweile Prozesse gegen die Verantwortlichen des Opioid-Hypes. Es geht vor allem um Entschädigung, um die Finanzierung der medizinischen Folgekosten. Viele bekämen gar keine Hilfe, sagt eine Mutter der Bostoner Trauergruppe, die nun ihr Enkelkind großzieht. Es fehle an Entzugseinrichtungen, an Betten, an allem.
Purdue Pharma und sechzehn Managern und Angehörigen des Familienunternehmens droht jetzt, mit der gegen sie von Massachusetts Staatsanwältin Maura Healey erhobenen Klage, erstmals ein Strafverfahren. Die Sacklers, die Purdue Pharma besitzen und zu den reichsten Familien im Land gehören, traten bisher nur als großzügige Förderer renommierter Kunstmuseen auf, nicht als Opioid-Produzenten, und schon gar nicht als Geläuterte.
Ein langer Weg zur Gerechtigkeit
Sie zeigen keine Reue, meint Cheryl. Die von Massachusetts Staatsanwaltschaft für die Klage zusammengetragenen Dokumente umfassen über 300 Seiten, enthüllen im wahrsten Sinne des Wortes eine über Leichen gehende Skrupellosigkeit, wie kalkuliert mit Spenden das medizinische System, von Krankenhäusern bis Universitäten, infiltriert wurde.
Cheryl hat alles gelesen. Sie kann sich nur schütteln.
Der von Purdue Pharma gegen eine uneingeschränkte Veröffentlichung dieser Dokumente erhobene Einspruch wurde Ende Januar abgelehnt. Für Cheryl ein erster Schritt auf dem noch langen Weg in Richtung Gerechtigkeit und Transparenz. Für sie gibt es jedenfalls keine Zweifel: der OxyContin-Clan landet hinter Gittern.