ORF-Sparpläne "am Rande der Kulturschande"

Paul Jandl im Gespräch mit Dieter Kassel |
Das Publikum habe seine Stimme erhoben, um den Bachmann-Wettbewerb zu retten, sagte Paul Jandl, der in diesem Jahr als Juror in Klagenfurt dabei ist. Zumindest was die Lebendigkeit angehe, sei der traditionsreiche Wettbewerb der "legitime Nachfolger des 'Literarischen Quartetts'".
Dieter Kassel: Gestern wurden die Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt eröffnet mit der Rede zur Literatur und der Auslosung der Reihenfolge, in der die eingeladenen Autoren lesen. Aber aus Publikumssicht wird es natürlich ab heute spannend. Heute, in einer guten Stunde, geht es los mit den Lesungen, und über mangelnde Aufmerksamkeit werden sich Autoren und Juroren wohl nicht beklagen können, denn seit der ORF damit gedroht hat, die Lesetage aufgrund von Sparzwängen ab 2014 nicht mehr finanzieren zu wollen, ist Klagenfurt in aller Munde, wenn auch nicht unbedingt wegen der Literatur. Der Kritiker und Lektor Paul Jandl ist seit einigen Jahren einer der sieben Juroren, und ihn begrüße ich jetzt in Klagenfurt, natürlich im ORF-Studio. Schönen guten Tag, Herr Jandl!

Paul Jandl: Guten Tag!

Kassel: Sehen Sie sich in diesem Jahr unter besonderer Beobachtung?

Jandl: Ja. Man könnte sagen, unter Beobachtung von zwei Seiten. Es hat sich gezeigt in den Debatten der letzten Tage, dass das Publikum, das jetzt seine Stimme erhoben hat, um den Bachmann-Wettbewerb zu retten, doch einigermaßen groß ist, und auf der anderen Seite stehen natürlich die Leute, die unter Umständen den Bachmann-Wettbewerb abschaffen wollen, aus welchen Gründen auch immer, oder ob das nur eine Drohung ist oder ob es mehr ist, das wird sich ja noch herausstellen. Also, wie sich das Publikum zusammensetzt, pro und kontra, ist jetzt einigermaßen klar, und es ist jedenfalls erstaunlich, wie hohe Wellen die Möglichkeit allein schon geschlagen hat, dass der Bachmann-Wettbewerb möglicherweise 2014 nicht mehr stattfinden wird.

Kassel: Zu denen, denen man öffentlich vorwirft, sie könnten die Absicht hegen, diesen Wettbewerb abzuschaffen, gehört der Generaldirektor des ORF, Alexander Wrabetz. An den haben Sie, also alle sieben Juroren, und damit auch Sie, einen offenen Brief geschrieben, und Sie haben ihn eingeladen nach Klagenfurt zum Gespräch. Wird er denn nun kommen?

Jandl: Er hat versprochen, am Sonntag, den 7. Juli, da zu sein und mit uns über dieses Thema zu sprechen.

Kassel: Dann sprechen wir jetzt über diesen 37. Bachmann-Wettbewerb. Als Juror, der schon einige Erfahrung hat – freuen Sie sich auf die nächsten Tage?

Jandl: Ja. Es ist immer wieder ein neues Abenteuer, und ich finde, dass der Bachmann-Wettbewerb in den letzten Jahren kontinuierlich besser geworden ist oder noch besser geworden ist, spannender geworden ist. Und dieser Jahrgang ist ein besonders spannender, wo wirklich viele der vielversprechenden jungen Autoren lesen werden in den nächsten Tagen, und das ist wirklich eine ganz interessante Sache jetzt.

Kassel: Sie kennen ja, wie alle Juroren, nicht nur die Texte der beiden, die Sie vorgeschlagen haben, sondern alle. Gibt es da in diesem Jahr über das, was Sie gerade beschrieben haben, hinaus eine Art Trend, vielleicht ein häufig wiederkehrendes Thema?

Jandl: Nein. Das finde ich auch gut so. Es gab ja – der Bachmann-Wettbewerb stand ja auch einige Zeit in Verruf, ganz bestimmte Themen zu generieren. Das schlimme Vorurteil oder Urteil war, dass es sogenannte Bachmann-Preis-Texte gibt. Die gibt es definitiv in den letzten Jahren nicht mehr, es wird kein Text mehr auf dieses Ereignis hin geschrieben, auf den Verdacht allein hin, dass es bestimmte Themen seien, die hier besonders gut ankämen. Das ist nicht mehr so, und manche und vielleicht auch zunehmend mehr Texte erscheinen demnächst dann auch in Buchform, in der langen Version sozusagen, als Roman. Also es gibt diesen Wettbewerb, der so ein bisschen im eigenen Saft köchelt, den gibt es nicht mehr. Das ist ein ganz offenes Feld, und so offen sind auch die Themen mittlerweile. Da ist alles drinnen, da geht es von der Liebe bis hin zum Tod. Da kommen die absonderlichsten Figuren vor. Alles, was sich die Fantasie ausdenken kann, wird hier vertreten sein in den nächsten Tagen.

Kassel: Da würde ich doch auch mal schließen, dass es Ihnen im Vorfeld nicht leicht gefallen sein wird, diese beiden auszuwählen, die Sie vorschlagen konnten?

Jandl: Nein, das fällt nie leicht. Das Feld ist sehr breit geworden in den letzten Jahren. Das hat nicht zuletzt auch mit den Schreibschulen zu tun, die sich intensiv mit dem Nachwuchs befassen. Die Verlage haben vor allem in den letzten Jahren auch mehr Augenmerk gelegt auf die speziell jungen Autoren. Und diese Faktoren führen dazu, dass das Feld wirklich sehr breit ist und dass es viele gute und interessante Kandidaten für Klagenfurt gibt. Und meine beiden sind einfach nur zwei davon.

Kassel: Herr Jandl, Sie haben es jetzt regelrecht provoziert, ich muss es machen – Sie haben jetzt mehrmals von jungen Autoren gesprochen, von Nachwuchsautoren. Es gibt einen in Deutschland lebenden und natürlich Deutsch schreibenden Brasilianer, der teilnimmt, der ist 57, es gibt mehrere Teilnehmer, die sind über 40 – kann man da wirklich noch von jungen Nachwuchstalenten sprechen?

Jandl: Nein, jedenfalls nicht ausschließlich, und es ist auch gut so, dass das ein Teil des Bachmann-Wettbewerbs ist und dass sich die jungen Talente messen an dem, was an gestandenen Schriftstellern da ist. Olga Martynowa hat voriges Jahr gewonnen, Peter Wawerzinek hat hier gewonnen, Maja Haderlap hat hier gewonnen – also gerade die letzten Jahre haben auch gezeigt, dass der Bachmann-Wettbewerb von dem Image auch ein bisschen weggekommen ist, er sei ausschließlich für junge Talente, und das Feld hat sich auch in dieser Hinsicht geöffnet.

Kassel: Ich hab auch erstaunlicherweise nachgelesen, dass in den Statuten, in ihrer aktuellen Version auch gar nichts mehr von "jung" drin steht. Das ist auch ganz offiziell keine Voraussetzung mehr?

Jandl: Nein. Also es gibt keine Altersgrenze, und wenn sich jemand berufen fühlt, mit 90 sein Debüt zu schreiben, dann ist er selbstverständlich hier herzlich willkommen. Und Zé do Rock, Sie haben es genannt, das ist jetzt nicht gerade ein Jungtalent. Und seine Konjunkturen waren vielleicht auch schon mal andere, aber das könnte sich auch hier ändern, man wird sehen.

Kassel: Wir reden heute Vormittag hier im Deutschlandradio Kultur mit Paul Jandl. Er ist einer der sieben Juroren des Bachmann-Preises, das Wettlesen, wie es ja manche nennen, beginnt in einer knappen Stunde. Herr Jandl, Wettlesen – da sind wir schon beim Thema. Zunächst mal ganz persönlich: In Ihrem eigenen Urteil, das Sie ja dann öffentlich treffen müssen, was ist wichtiger: die Texte, so wie sie auf dem Papier stehen, oder der Vortrag?

Jandl: Definitiv sind die Texte wichtiger. Der Vortrag begleitet die Texte allenfalls, und da kann man vielleicht noch Zehntelsekunden in der Schlusswertung vielleicht rausholen, aber jedenfalls keine Bestzeit mehr. Die Texte kennen die Juroren vorher und haben sie in der Regel auch mehrmals gelesen. Also das Urteil bildet sich nicht erst nach dem Vortrag.

Kassel: Aber daran gab es ja auch immer wieder Kritik. Nimmt das nicht auch ein bisschen die Spannung raus, dass Sie eigentlich hingehen und da sitzen, und bevor er oder sie liest, wissen Sie ja eigentlich schon, was Sie von dem Vortrag halten werden.

Jandl: Was man von dem Text halten wird, ist einigermaßen klar. Man hat sich ein Urteil gebildet, und man sitzt ja trotzdem beisammen, um die Texte zu diskutieren. Und ausgeschlossen ist es nicht, dass man seine Meinung noch mal revidiert oder dass es Argumente gibt, für die man dann letzten Endes doch zugänglich ist. Und das macht die Diskussion spannend. Sonst würde man ja nur nebeneinander sitzen und einer nach dem anderen würde seine Meinungen vortragen, und das wäre wohl dann für niemanden interessant.

Kassel: Es ist so, dass die meisten Autorinnen und Autoren, ich würde vermuten, fast alle, aber nicht alle geben es zu, regelrecht üben für ihren Vortrag für ihren Vortrag in Klagenfurt. Machen das manche Juroren auch?

Jandl: Das kann ich nicht beurteilen, ich kann nur sagen, dass es bei mir …

Kassel: Machen Sie es?

Jandl: Ich mache es nicht. Bei manchen Juroren ist es geschliffen, das stimmt, und das muss aber auch nicht bedeuten, dass sie irgendwas üben. Ich habe festgestellt, dass man quasi übertrainiert sein kann, und das schadet der eigenen Performance dann sehr, weil man das, was man sich vorher quasi in brillanten Sätzen überlegen würde, dann wirklich auch herüberbringen muss. Und also mir hätte das nicht geholfen, zu trainieren.

Kassel: In diesem Jahr, das ist ganz sicher, es ist ja auch schon losgegangen, sind die Tage der deutschsprachigen Literatur, formal gesehen, so, wie sie immer waren. Ganz persönlich, egal, was nun mit dem ORF ist, es gibt widersprüchliche Fakten, es gibt Sponsorenangebote – vom Gefühl her, fürchten Sie wirklich, dass das das letzte Mal ist, dass sie zumindest in dieser Form stattfinden?

Jandl: Die Befürchtung steht im Raum, und ich hätte da wirklich auch große Sorge. Also wenn mir jemand wirklich sagen würde, im nächsten Jahr ist es genauso wie dieses Jahr und in den letzten Jahren, dann würde ich beinahe in Jubel ausbrechen. Da sind verschiedene Faktoren am Werk. Das eine ist die ökonomische Situation oder Fragen, die damit im Zusammenhang stehen. Das andere sind die Sender, die dieses Ding übertragen, 3Sat. Es gibt verschiedene Begehrlichkeiten, und man muss diese Leute, und das war in den letzten Jahren schon sehr viel Mühe, davon überzeugen, dass das wirklich die beste Literatursendung ist, die es im deutschen Fernsehen im Augenblick gibt. Lebendiger wird nirgendwo sonst diskutiert. Verschiedene Formate wurden innerhalb kürzester Zeit auch wieder eingestellt, und wenn es legitime, zumindest was die Lebendigkeit betrifft, einen legitimen Nachfolger des Literarischen Quartetts gibt, dann ist das der Bachmann-Wettbewerb. Und den gibt es ja auch nur einmal im Jahr. Also da jetzt auch noch zu sagen, das ist uns zu viel, ist einfach lächerlich und schon am Rande der Kulturschande. Und man kann wirklich nur hoffen, dass die Leute, die dafür zuständig sind, bei ihren Entscheidungen dann bei Sinnen sind.

Kassel: Man kann, wenn man möchte, an den nächsten Tagen auch vergessen, daran zu denken. Denn jetzt ist es ganz sicher noch so, dass alles bei 3Sat übertragen wird und im Internet zu sehen ist und dass man, ja, das darf man, glaube ich, bei Literatur auch mal haben, auch Spaß haben kann, wenn man diesen Debatten und natürlich den Lesungen zusieht. Heute geht es los in inzwischen einer knappen Stunde. Paul Jandl war das, er ist einer der insgesamt sieben Juroren des Bachmann-Preises. Herr Jandl, ich danke Ihnen und wünsche Ihnen mal trotz aller Sorgen vor allem auch viel Spaß und viel intellektuelle Erleuchtung.

Jandl: Das wünsche ich mir jeden Tag. Danke schön, Danke!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Ingeborg Bachmann, österreichische Autorin
Ingeborg Bachmann, österreichische Autorin© AP Archiv
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