Organisiertes Verbrechen in Italien

Kinder der 'Ndrangheta

Proteste gegen die Mafia Organisation 'Ndrangheta im kalabrischen Reggio Calabria.
Proteste gegen die Mafia Organisation 'Ndrangheta im kalabrischen Reggio Calabria. © picture alliance / dpa / Franco Cufari
Von Jan-Christoph Kitzler |
Die kalabrische 'Ndrangheta ist die wohl mächtigste Mafia-Organisation der Welt. Ihre Machtbasis sind die Clans, und deshalb ist der Kampf gegen sie so schwierig. Seit einigen Jahren setzen Anti-Mafia-Kämpfer deshalb bei den Frauen und Kindern der Clans an, um diese dem Netzwerk zu entreißen.
Das ist eine Geschichte, in der die Hauptfiguren nicht zu Wort kommen können. Jugendliche, manchmal fast noch Kinder, die ein neues Leben kennenlernen sollen und die deshalb in staatlicher Obhut sind. Anonym, an geheimen Orten. Ihre Väter, Brüder, Onkel, sitzen oft im Gefängnis, sind auf der Flucht oder tot. Ihre Mütter haben manchmal den Mut, sich aufzulehnen – einige haben dafür einen hohen Preis bezahlt.
Das ist eine Geschichte über eine neue Art, gegen die Mafia zu kämpfen, genauer gesagt gegen die 'Ndrangheta, die Mafia in Kalabrien. Wer sich mit ihr anlegt, hat es mit der wohl mächtigsten Mafia-Organisation der Welt zu tun.
Laut einer Studie von 2014 erwirtschaftet die 'Ndrangheta einen Jahresumsatz von 53 Milliarden Euro, vor allem mit Drogenschmuggel, Waffenhandel, illegaler Müllentsorgung. 60.000 Menschen sind in die Geschäfte verstrickt. In 30 Ländern, auch in Deutschland.
Aber tief verwurzelt ist die 'Ndrangheta immer noch in Kalabrien. Machtbasis der Familien sind die Clans – sie halten zusammen. sie sorgen auch für den eigenen Nachwuchs.
Reggio Calabria, über 180.000 Einwohner. Zehn Prozent von ihnen, so wird geschätzt, haben mit der 'Ndrangheta zu tun. Die meisten Einzelhändler zahlen hier Schutzgeld, richtigen Widerstand aus der so genannten Zivilgesellschaft gibt es zu wenig.

Aufwachsen mit den Werten der Mafia

Mimmo Nasone ist einer der wenigen, die öffentlich Stellung beziehen. Er arbeitet als Religionslehrer, war früher mal Priester, hat dann geheiratet. Er engagiert sich in der Antimafia-Organisation "Libera", ist dort landesweit verantwortlich für den Bereich Jugendliche, Justiz, Gefängnisse. Er weiß, warum es immer neuen Nachwuchs für die Clans gibt:
"Wer in diese Familien hineingeboren wird, wächst mit den Werten der Mafia auf: Die Schweigepflicht, die Gewalttätigkeit, die Rache. Man muss immer auf der Hut sein. Doch besonders die mächtigen Mafiabosse leben im Luxus, ohne dafür zu schwitzen. Ein Reichtum, für den sie nie gearbeitet haben . In dieser Situation lebst du und hast dich darin eingerichtet."
Das heißt, für die Jungen aus den 'Ndrangheta-Familien ist es ganz normal, dazuzugehören. Und wer verurteilt wird, wer ins Gefängnis muss, bindet sich normalerweise nur noch enger an das Verbrechen.
Der Antimafia-Aktivist Mimmo Nasone
Der Antimafia-Aktivist Mimmo Nasone© Deutschlandradio - Jan-Christoph Kitzler
Mimmo Nasone hat immer wieder Kinder der Bosse unterrichtet. Immer wieder hat er erlebt, dass Strafe wenig ausrichtet:
"Wenn sie im Gefängnis landen, ist das für sie eine Auszeichnung. Es gab letztes Jahr Mafiosi, die, nachdem sie aus dem Gefängnis gekommen sind, ein Feuerwerk gemacht haben. Das ist also keine Schande. Es ist so, als absolviere man einen Master an der Universität. Und man steigt in der Hierarchie auf, wenn man ein paar Jahre im Gefängnis verbracht und der Mafiafamilie Treue bewiesen hat, indem man kein Kollaborateur der Justiz geworden ist."
So gesehen ist das ein aussichtsloser Kampf. Roberto di Bella kämpft diesen Kampf schon lange. Und er hat erlebt, dass die Probleme schon früh anfangen. Seit 20 Jahren arbeitet er in der Jugendgerichtsbarkeit, davon 15 in Reggio Calabria. Seit einiger Zeit ist er hier der Präsident des Jugendgerichts:
"In den letzten 20 Jahren hat das Jugendgericht von Reggio Calabria mehr als 100 Verfahren von organisiertem Verbrechen durchgeführt, darunter mehr als 50 Fälle von Mord oder versuchtem Mord. Verbrechen, die Minderjährige begangen haben, die zu 'Ndrangheta-Familien aus der Region gehörten, und die jetzt als Erwachsene verschärfte Haftbedingungen haben oder die jetzt die Führung ihrer Familie übernommen haben."

Die 'Ndrangheta züchtet ihren eigenen Nachwuchs heran

Die Mitgliedschaft in der 'Ndrangheta wird vererbt. Die 'Ndrangheta züchtet ihren eigenen Nachwuchs heran. Schon die ganz Jungen werden regelrecht abgerichtet:
"Es kommen Situationen ans Licht, die dem Minderjährigen schaden. Wir haben von Eltern erfahren, die ihren zehn-, elfjährigen Kinder das Schießen beibringen. Auch mit Kriegswaffen. Wenn wir das erfahren, greifen wir sofort ein. Denn wir können gewisse Situationen nicht dulden."
Gewisse Situationen. Die kennt auch Giuseppe Lombardo. Er lebt das Leben vieler, die an vorderster Front gegen die Mafia kämpfen. Rund um die Uhr bewacht, bewegt er sich nur mit Eskorte. Sein Büro ist im schwer bewachten Justizkomplex von Reggio Calabria. Hochsicherheit.
Giuseppe Lombardo ist Antimafia-Staatsanwalt. Seit Jahren schon. Immer wieder haben die Clans versucht, ihn einzuschüchtern. Mal haben sie ihm einen Brief geschickt mit Patronen, mal gab es offene Morddrohungen per Telefon.
Giuseppe Lombardo, Antimafia-Staatsanwalt in der Reggio Calabria
Giuseppe Lombardo, Antimafia-Staatsanwalt in der Reggio Calabria© Deutschlandradio - Jan-Christoph Kitzler
Trotz allem: Auch Giuseppe Lombardo denkt, dass man die 'Ndrangheta mit immer mehr Druck, mit immer mehr Strafen nicht besiegen kann. Man müsse bei den Familien ansetzen, sagt er:
"Ich muss so früh wie möglich eingreifen. Ich kann nicht warten, bis ich vor deinem Sohn stehe. Abgesehen davon, dass wir immer wieder dieselben Personen verurteilen. Das ist kein Sieg, das ist eine Niederlage, weil es bedeutet, dass wir nichts erreicht haben, dass auch das Gefängnis nichts genützt hat, denn nach 10, 15 Jahren sind sie wieder dabei. Doch die größte Niederlage ist es, wenn du erst den Kindern, dann den Enkeln und schließlich den Urenkeln den Prozess machst."

Kinder, die nie Kinder waren

Sie haben zusammen ein Konzept entwickelt. Lombardo, der Staatsanwalt, Di Bella, der Jugendrichter, und noch ein paar andere. Seitdem ist der Kampf gegen die Clans der 'Ndrangheta ein anderer.
Natürlich jagen sie immer noch Bosse, versuchen Gewaltverbrechen aufzuklären und den Clans die Wirtschaftsgrundlage zu entziehen, indem ihr Vermögen beschlagnahmt wird. Aber es gibt jetzt hier noch einen weiteren Ansatz:
"Wir haben vorgeschlagen, über die Staatsanwaltschaft, über das Jugendgericht, dass alle Beweise, die bis dato nur für ein Strafverfahren gesammelt worden waren, um die Mafiaorganisationen aufzudecken, auch für den Schutz der Minderjährigen eingesetzt werden dürfen. Und so wurde zum ersten Mal eine so außergewöhnlich wichtige Maßnahme angewandt."
Vor ein paar Jahren war das. Die Journalistin Angela Iantosca recherchiert nicht erst seitdem im Umfeld der Clans. In einem lauten Café mitten in Rom erzählt sie von den Büchern, die sie geschrieben hat, über die 'Ndrangheta-Frauen, über die 'Ndrangheta-Kinder. Sie hat beobachtet, wie schon die ganz Jungen ganz selbstverständlich dazu gehören, wie schon der Weg der Kleinsten vorbestimmt ist – und wie schwer es ist, sie dann noch davon abzubringen:
"In der Mittelstufe der Schulen ist es in gewissen Regionen schon zu spät. Denn da sind die Kinder schon für den Krieg abgerichtet. Ich erinnere mich an diesen Jungen. Er sprach kein Italienisch, Kalabrisch nur mit Schwierigkeiten, eigentlich brummte er nur. Ich habe ihn gefragt, wie er sich seine Zukunft vorstellt und er hat, ohne zu reden, ein Handgelenk über das andere gekreuzt - mit 11 Jahren!"
Eines ihrer Bücher heißt "Bambini a Metà", "Zur Hälfte Kinder". Mit normaler Kindheit hat das, was Angela Iantosca in den Clanfamilien erlebt hat, nicht viel zu tun:
"Wir sprechen über Kinder oder Menschen, die nie Kinder waren - die mit 14 wegen Mordes angeklagt sind, versuchten Mordes, Raubüberfällen, Erpressung, Besitz von Waffen, deren Kennung entfernt wurde, geladen - sie waren also auf dem Weg zu einem Verbrechen -, oder auch wegen Beschädigung von Einsatzwagen der Bahnpolizei, wie zum Beispiel im ersten Fall".
Der erste Fall: Ein paar Jahre ist es jetzt schon her, dass sie zum ersten Mal versucht haben, neue Wege im Kampf gegen die 'Ndrangheta zu gehen. Der Junge war 16, als er vor dem Jugendgericht stand. Roberto di Bella hatte schon mit seinem älteren Bruder zu tun. Der Junge kommt aus einer der mächtigsten 'Ndrangheta-Familien. Sein Vater: ermordet. Viele andere Verwandte entweder tot oder im Gefängnis.
"Diese Kinder haben keine Kindheit. Sie stecken in einer emotionalen Zwangsjacke. Sie sind daran gewöhnt, ihre Gefühle zurückzuhalten, um sich und andere nicht zu verraten. Sie sind oft einsam, haben keinen Vater, mit dem sie ihren Alltag teilen können, weil er getötet wurde, im Gefängnis sitzt oder flüchtig ist. Die Familie, die so bedrängend, so übergriffig ist, um Sicherheiten und Regeln zu gewährleisten, ignoriert total das Innenleben ihrer Kinder, das schwere Leiden, das die Jugendlichen ertragen."

Die Familien missbrauchen ihre Kinder

Die Kinder, die Jugendlichen müssen raus aus den Familien, sagt Di Bella, der Jugendrichter. Sie müssen kennenlernen, dass es auch ein anderes Leben gibt.
Roberto Di Bella, Präsident Jugendgericht Reggio Calabria
Roberto Di Bella, Präsident Jugendgericht Reggio Calabria© Deutschlandradio / Jan-Christoph Kitzler
Es ist gar keine sehr weite Reise. Und doch ist es eine andere Welt. Die Fähre braucht über die Meerenge von Villa San Giovanni nach Messina rund eine halbe Stunde. Drüben, auf Sizilien, wartet Enrico Interdonato. Anfang 30, Psychologe. Er hat "Addiopizzo Messina" gegründet – die Organisation kämpft gegen das Schutzgeld, das die Mafia auch auf Sizilien erhebt. Sie hat ihren Sitz nicht weit vom Hafen.
Enrico Interdonato hat damals den ersten Jungen betreut, den sie aus seiner 'Ndrangheta-Familie geholt haben. Auch jetzt betreut er weitere Jugendliche. Auch er glaubt, dass der Staat eingreifen muss:
"Der Staat hat die Pflicht, in diesen Situationen einzugreifen. Denn die Familien missbrauchen ihre Kinder. Ja, die Mafia-Familien misshandeln ihre Kinder seelisch und setzen sie großen Gefahren aus. Denn wenn du ihnen zeigst, wie man mit Pistolen umgeht, wie man Kokain streckt, missbrauchst du deine Kinder wirklich."
Die Jugendlichen, um die er sich kümmert und gekümmert hat, sind traumatisiert, haben viel gelitten. Aber begeistert sind sie anfangs nicht, wenn sie, auf richterliche Anordnung, ihre Familien verlassen müssen. Im Gegenteil. Es gibt Widerstand, und zwar auch, weil "der Staat" im Kulturkreis der 'Ndrangheta durchweg negativ besetzt ist.
"Das Bild, das diese Jugendlichen vom Staat haben, ist ein Staat, der nachts kommt und das Haus durchsucht, der mit Pistolen und Sturmmasken kommt und den Vater wegbringt. In diesen Regionen gibt es einen großen Gegensatz zwischen den Institutionen und den kriminellen Gruppen. Ich spreche von Kalabrien. Die Möglichkeit, die wir haben, ist zu zeigen, dass der Staat aus Menschen besteht."

Die Mafia-Kinder sollen sich selbst neu erleben

Den Jugendlichen eine andere Welt zeigen, einen anderen Staat. Das ist das Ziel. Das funktioniert über persönliche Nähe, über viele Gespräche, durch Therapie, indem die Mafia-Kinder sich selbst neu erleben. Beim Theater-Spielen etwa, mit neuen Freunden, denen der Nachname ihres 'Ndrangheta-Clans, den sie drüben, in Kalabrien, wie ein Stigma tragen, nichts sagt.
"Ich benutze gern dieses Bild, diesen Scherz: Die Gesetzeshüter, die Polizei unterwandern die 'Ndrangheta mit verdeckten Ermittlern. Wir machen das Gegenteil, wir schleusen die Jugendlichen inkognito in die Antimafia-Welt ein. Dadurch haben die Jugendlichen eine Chance, ohne dass jemand ihren Nachnamen kennt. So können sie frei und spontan sein."
Der Psychologe Enrico Interdonato
Der Psychologe Enrico Interdonato© Deutschlandradio - Jan-Christoph Kitzler
Und was wird dann aus den Jugendlichen? Mit Erreichen der Volljährigkeit geht die Betreuungsmaßnahme zu Ende. Dann gehen viele 18-Jährige zurück in ihr altes Umfeld, in ihre Familien. Das ist ein Risiko.
Deshalb versuchen Interdonato und seine Mitstreiter auch, Kontakt zu halten, zu helfen bei der Suche nach Arbeit, am besten außerhalb von Kalabrien. An die 30 Kinder der 'Ndrangheta haben sie bis jetzt aus den Familien geholt. Und die Ergebnisse machen Mut. Alle haben weiter gemacht mit der Schule. Alle haben jetzt zumindest eine Idee davon, dass es möglich ist, einen anderen Weg einzuschlagen, als den, der ihnen vorherbestimmt war.
"Frei eine Entscheidung zu treffen, bedeutet: Du kannst oder besser, du musst deinen Vater lieben. Auch wenn du ihn jeden Monat im Gefängnis besuchen musst, auch wenn er getötet hat, bleibt er dein Vater. Ich weiß, dass du ihn liebst und das ist richtig so. Doch es steht nirgendwo geschrieben, dass du auch dort landen musst."
Gerade vor kurzem ist einer seiner Jungen zurück nach Kalabrien gezogen. Was ist aus ihm geworden?
"Wir haben telefoniert, ich habe ihn dort auch vor einigen Monaten besucht. Er macht gerade sein Abitur. Mit dem Vater, einem vorbestraften, hundertprozentigen Mitglied der 'Ndrangheta, haben wir uns unterhalten und er hat zu mir gesagt: Vergesst meinen Sohn nicht!"

Das Ziel: Dass die Eltern ein Einsehen haben

Zurück nach Kalabrien, das ist das Ziel. Dass die Eltern ein Einsehen haben. Dass auch sie ihre Kinder retten wollen und aus der Logik des Verbrechens reißen, die so viele Tote, so viele Jahre im Gefängnis fordert.
Dass die Väter sich einsichtig zeigen, ist selten. Aber in den letzten Jahren gibt es immer wieder Mütter, die aussteigen wollen. So war es auch im ersten Fall, sagt Angela Iantosca, die Journalistin:
"Am einfachsten ist es, wenn eine Mutter, wie beim ersten Fall, den sie gehabt haben, Witwe ist und den Wunsch hegt, ihren Sohn zu retten, vielleicht sogar ihren einzigen Sohn. Eine verbitterte Mutter, die beschließt, zu kollaborieren und das Gericht bittet: Helft mir, diesen Sohn davon loszubekommen."
Das ist kein leichter Schritt. Sich von den Clans loszusagen, ist lebensgefährlich. Immer noch sind es, wohl auch aus Angst vor dieser Gewalt, zu viele Frauen, die dabei bleiben, die aktiv mitmachen, sagt Roberto Di Bella, der Jugendrichter:
"Es gibt Frauen, einige Mütter von den Jugendlichen, die wir betreuen, die unbelehrbar sind. Sie indoktrinieren immer weiter. Wenn die Ehemänner im Gefängnis sind, halten sie die Zügel in der Hand und wachen über die Werte. Andere Mütter von denen, die wir betreuen, quälen sich und beklagen ihre Toten."
Giuseppe Lombardo, der Antimafia-Staatsanwalt, kennt aus seinen Ermittlungen die Qualen, die nicht nur die Kinder, sondern auch die Frauen der Clans mitunter erleiden. Er hofft, dass sie der Schlüssel sein können für den neuen Kampf gegen die Mafia:
"Die Frauen werden einen Mechanismus anschieben, der auch viele Ehemänner, die noch nicht verurteilt sind, dazu bringt, ihre Mafiaverbindungen abzubrechen. Das ist das Ziel. Wir wollen im Inneren der Familie einen Moment der Rebellion auslösen. Die Ehefrau muss zu ihrem Mann sagen: Wenn du so weitermachst, sitzt du nicht nur 15, 20 Jahre ein, du verlierst auch das Sorgerecht für deine Kinder! Ist es das wert?"
Giuseppe Lombardo hat nach den ersten Anordnungen Botschaften einiger Bosse bekommen. Sie haben ihn wissen lassen, dass es sie Zitat: "sehr stört", wenn ihnen ihre Kinder genommen werden. Eine Umschreibung dafür, dass er in ihren Augen zu weit gegangen war. Für ihn der Beweis, dass der Weg richtig ist.
Auf einem Video der italienischen Polizei wird die Festnahme von zwei Mafia-Bossen gezeigt.
Auf einem Video der italienischen Polizei wird die Festnahme von zwei Mafia-Bossen gezeigt. © picture alliance/dpa/ EPA/POLICE PRESS OFFICE
Als Staatsanwalt hat er im Kampf gegen die 'Ndrangheta ständig mit Verhaftungen zu tun, mit Beschlagnahmungen. Aber er sieht die Grenzen. Ansatzpunkt für den neuen Kampf gegen die Mafia müssen die Familien sein:
"Wenn eine aufmerksame Kontrolle stattfände, könnte man viele Prozesse vermeiden. Der Staat muss ein bisschen von dieser Sensibilität wiedergewinnen, die im jahrelangen Kampf gegen die Mafia verloren gegangen ist. Der Kampf gegen die Mafia ist wirklich zuerst ein kulturelles und gesellschaftliches Problem, und dann erst ein strafrechtliches. Aber das darf nicht nur ein Slogan von und für Journalisten sein."

Die Kinder vor der Mafia retten

Roberto Di Bella, der Präsident des Jugendgerichts kämpft gegen viele Widerstände. Noch immer ist das, was er macht, ein Experiment. Noch immer sind seine Kollegen zurückhaltend. Dabei geht es ihm um Kinder- und Jugendschutz:
"Ja, das Kind hat das Recht, von den eigenen Eltern aufgezogen zu werden. Das ist ein Grundrecht. Aber es ist kein absolutes Recht. Es muss abgewogen werden und kann zeitweise einem anderen Recht geopfert werden, das ebenfalls ein Grundrecht ist. Nämlich das Recht auf eine verantwortliche Erziehung, die vor Gefahren schützt, vor der Illegalität. In den Mafiakreisen wirst du getötet oder du landest im Gefängnis."
Deshalb ist es wichtig, dass die Anordnungen der Richter, der Entzug der elterlichen Sorge, zum Wohl für die Kinder ist, sagt Angela Iantosca, die Journalistin:
"Wenn die Familien der 'Ndrangheta begreifen, dass es ein Einsatz für und nicht gegen etwas ist, ist der Vorgang für sie nicht mehr so bedrohlich. Das Jugendgericht hat nicht das Ziel, die Mafia zu besiegen, es will die Kinder retten."

Perspektiven für ein Leben in der Legalität bieten

Mimmo Nasone, der Religionslehrer, hat in den letzten Jahren mit den vielen Toten auch in Reggio Calabria erlebt, dass Repression allein nichts bringt – gerade die Jungen aus den Clanfamilien brauchen Perspektiven für ein eigenes Leben in der Legalität:
"Die Hindernisse müssen weggeräumt werden. Und die Hindernisse werden nicht nur dadurch weggeräumt, dass du viele Mafiosi und Korrupte verhaftest. Du musst auch Alternativen schaffen. Denn wenn der Mafioso aus dem Gefängnis kommt und ein ehrliches Leben führen will, ist das unter den jetzigen Umständen schwer. Das ist die Schwachstelle."
Und der Psychologe Enrico Interdonato sagt: Es braucht mehr Engagement des Staates, will man diesen Kampf gewinnen:
"Momentan sind wir alle Freiwillige, wir behelfen uns. Doch ganz ehrlich, wir sind an einem Punkt, wo man nicht mehr improvisieren kann. Vier Jahre sind seit der ersten Anordnung vergangen. Wir können jetzt sagen: Okay, wir haben eine Ahnung, was wir brauchen, welche Bedürfnisse die Jugendlichen haben, wo wir investieren müssen. Das ist auch schon alles festgehalten, schwarz auf weiß. Ich weiß nicht: Es fehlt der Wille…"
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